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Umstrittene Sperrung im Lautertal

Landratsamt, Bürgermeister und Vertreter des Tourismus nehmen erneut Stellung zum Fall Gundelfingen

Dieses Schild wurde zeitgleich zur Sperrung an den Brücken aufgestellt und sorgt für Verwirrung.
Dieses Schild wurde zeitgleich zur Sperrung an den Brücken aufgestellt und sorgt für Verwirrung. Foto: Maria Bloching
Dieses Schild wurde zeitgleich zur Sperrung an den Brücken aufgestellt und sorgt für Verwirrung.
Foto: Maria Bloching

MÜNSINGEN. Seit Montag ist die Ortsdurchfahrt Gundelfingen gesperrt, weil dort nach Angaben des Landratsamts »akute Felssturzgefahr« besteht. Die kurzfristig anberaumte Sperrung samt Umleitung – die einen Umweg von rund 20 Kilometern bedeutet – sorgt für massiven Ärger bei Anwohnern und Gastronomen, aber auch im Münsinger Rathaus (der GEA berichtete). Das Landratsamt Reutlingen nimmt nun erneut Stellung und räumt Versäumnisse in der Kommunikation ein.

Die Betroffenen fielen Ende vergangener Woche aus allen Wolken. Die Sperrung ist für sie keine Kleinigkeit und mit monatelangen Einschränkungen verbunden – die Straße soll bis Ende September dicht sein. Der Kommunikationsweg der Behörde war eher unglücklich gewählt. Die kurzfristig lancierte Pressemitteilung kam gar nicht gut an. Die Argumentation des Amts: Gefahr im Verzug, der sogenannte Nadelfels ist nicht mehr standsicher, außerdem drohen auf einer Länge von rund 150 Metern »zahlreiche großvolumige Felskörper aus dem Oberhang auf die Fahrbahn zu stürzen«.

Die Felsen seien »mitunter etwa so groß wie ein Kühlschrank«, schreibt die Behörde. Das heißt: Wenn sie sich lösen und den steilen Hang hinunterrollen, dann mit einer solchen Wucht, dass Prallwände sie nicht aufhalten könnten. Die einzige Alternative, die als Provisorium denkbar gewesen wäre, um eine Straßensperrung zu vermeiden, falle also weg. Was möglich ist und – nach den Sicherungs- und Räumarbeiten durch eine Spezialfirma – auch realisiert werden soll, ist ein »dauerhafter Steinschlagschutz«. Dieser soll, schreibt das Landratsamt, »im Folgejahr angebracht werden«. Die Lautertalbewohner dürfen also einer weiteren Sperrung entgegensehen.

Für Unverständnis sorgt auch dieses Detail: Gesperrt ist die Straße zwar schon jetzt – im Hang gearbeitet wird aktuell aber noch nicht. Warum? Aus Naturschutzgründen. Der Bereich liegt laut Landratsamt in sage und schreibe fünf Schutzgebieten, die sich dort überlagern. Er ist Lebensraum geschützter Arten, darunter Uhu und Kolkrabe. Die Vögel sollen beim Brüten und der Aufzucht ihrer Jungen nicht gestört werden.

»Sicher ist, dass auchjetzt wieder mit Einbußen im Tourismus zu rechnen ist«

Die Ausführungen der Behörde dazu werden die Anwohner und Pendler wenig trösten: »Solche Habitate sind eine Besonderheit unserer Region. Sie zeichnen den Landkreis aus und sind Teil der einzigartigen Fauna und Flora im Großen Lautertal. Um diese Gebiete zu schützen und zu erhalten, sind unter anderem Schutzzeiten einzuhalten. Zudem sind in jedem Falle vor Eingriffen in die genannten Schutzgebiete Ausgleichsmaßnahmen (sogenannte Kohärenzsicherungsmaßnahmen) zu erstellen. Aufgrund dieser Gegebenheiten kann nach aktuellem Stand eine Sperrung bis September nötig sein.« Die Behörde verspricht immerhin, die »notwendigen Arbeiten durchzuführen und die Strecke wieder freizugeben«, sobald das »naturschutzrechtlich vertretbar« sei.

Besteht Hoffnung, dass das schnell geht? Die Antwort ist eher verhalten. »Für einen Eingriff in diesen sensiblen Bereich ist ein Ausnahmeantrag bei der Höheren Naturschutzbehörde zu stellen«, teilt Katja Walter-Frasch als Pressesprecherin des Landratsamts mit. Klartext: Das Regierungspräsidium (RP) mischt mit, hier werden Artenschutz und andere öffentliche Belange gegeneinander abgewogen. »Es handelt sich um ein sehr aufwendiges und vielschichtiges Verfahren«, so Walter-Frasch. »Aktuell werden diese Grundlagen erarbeitet, sodass schnellstmöglich über die Ausnahme entschieden werde.« Ausnahme heißt: In diesem besonderen Gebiet bedürfen Sicherungsmaßnahmen am Fels grundsätzlich einer besonderen Genehmigung – das RP entscheidet also, wann es losgehen kann.

Für Irritation und Empörung gesorgt hat vor allem auch die zeitliche Schiene. Es seien »mehrere zeitintensive geologische und naturschutzfachliche Gutachten« nötig gewesen, »um die Lage zu analysieren, erforderliche Sicherungsmaßnahmen zu definieren und die naturschutzrechtlichen Vorgaben abzuwägen«, teilt die Behörde mit. Die Sperrung hat also eine längere Vorgeschichte.

Wann wurde wer ins Boot geholt? Gespräche mit der Stadt habe es bereits Ende 2024 gegeben, wehrt sich das Landratsamt gegen die Vorwürfe aus dem Münsinger Rathaus. Am 10. März, schreibt die Behörde, habe es zudem einen Vor-Ort-Termin gegeben. Dabei waren allerdings nur die Naturschutzverbände, die zur Sache gehört werden müssen: »Da die Stadt Münsingen in diesem Zusammenhang über keine Zuständigkeit verfügt, fand der Termin ohne eine Vertretung der Kommune statt«, teilt das Landratsamt mit.

Nach wie vor unverständlich für Bürgermeister Mike Münzing. »Man achtet auf die Sicherheit der Verkehrsteilnehmenden, aber es stehen ja auch bewohnte Häuser unterhalb der Felsen. Und die fallen sehr wohl in den Zuständigkeitsbereich der Stadt.« Zwar sei man darüber informiert worden, dass Maßnahmen unumgänglich sind. Von einer Sperrung, die bis September dauern könnte, sei aber nicht die Rede gewesen. Davon habe er erst durch die Pressemitteilung erfahren.

»Wir kommen auf jeden Fall, immerhin geht es um die Existenz der Gastronomen«

Das ungünstige Timing begründet das Landratsamt auch damit, dass es vom Regierungspräsidium Tübingen selbst eine »klare Frist« gesetzt bekommen habe.: Die übergeordnete Behörde hatte verfügt, dass die Straße aus Sicherheitsgründen bis spätestens Ende März gesperrt werden müsse. Das Kreis-Straßenbauamt habe einen Antrag auf Befreiung gestellt, der jedoch abgelehnt worden sei. »Deshalb wurde kurzfristig die Sperrung mit den zugehörigen Umleitungen umgesetzt. Nun werden mit Hochdruck die natur- und artenschutzrechtlichen Belange bearbeitet, um die Sicherungsmaßnahmen schnellstmöglich durchführen zu können.«

Das ist für den Münsinger Tourismuschef Hans-Peter Engelhart zwingend nötig. Er hofft auf eine »schnelle und verträgliche Lösung«. Das Lautertal hatte gehofft, endlich wieder in ruhigere Fahrwasser zu kommen. Alle Betriebe, die am Tourismus hängen, hätten unter der zweijährigen Sperrung der Ortsdurchfahrt Hundersingen von März 2020 bis Mai 2022 und schließlich im gesamten letzten Jahr unter der Baustelle am Radweg zwischen Gundelfingen und Indelhausen gelitten. »Das war schon fatal. Sicher ist, dass auch jetzt wieder mit Einbußen im Tourismus zu rechnen ist«, so Engelhart. Denn auch der Premiumwanderweg »hochgehswiggert« ist gesperrt. Das heißt, die Burgruine Hohengundelfingen kann nur vom Heiligental, vom Parkplatz bei Dürrenstetten und von der Dürrenstetter Steige aus angelaufen werden. Optimistisch bleibt Engelhart trotzdem: »Die Gäste im Lautertal werden sich selbst zu organisieren wissen. Radfahrer und Wanderer kommen auch in diesem Jahr.« Aber: »So, wie es von Seiten des Landratsamtes gelaufen ist, war es nicht in Ordnung. Die Kommunikation war schlecht, man hätte gemeinschaftlich eine bessere Lösung finden können.«

Die Kritik verhallt nicht ungehört, offenbar nimmt man die Reaktionen der Öffentlichkeit ernst: »Die Kommunikation des Landratsamts gegenüber den Betroffenen war ungenügend«, räumt die Behörde ein. »Für die Zukunft sagen wir eine klare Verbesserung zu. Wir werden viel früher im Prozess informieren und runde Tische einrichten. Solche aufwendigen Verfahren erfordern mehr Transparenz und Kommunikation.«

Veit Senner kommt mit seinen Nostalgie-Mofa-Touren von "Rad der Zeit" regelmäßig ins Lautertal und kehrt im Bauhofstüble ein. "Mit 2.500 Gästen habe ich hier allein im vergangenen Jahr Halt gemacht", berichtet er. Jetzt einfach weg zu bleiben, nur weil er dann nicht weiter talabwärts fahren kann, kommt für ihn nicht infrage, er hat sich Alternativen überlegt. »Wir kommen auf jeden Fall, immerhin geht es um die Existenz der Gastronomen«, sagt Senner. Er nimmt dafür einen Umweg von rund 15 Kilometern in Kauf. "Die Radwegsperrung mitten in der Hauptsaison im letzten Jahr war schon ein Schlag ins Gesicht der Gaststättenbetreiber. Man kann es schon als allerschlimmste Ignoranz der Behörden gegenüber diesen Wirtschaftsbetrieben bezeichnen, was jetzt wieder abgeht."

Das Landratsamt signalisiert Verständnis für die Kritik, es sei der Behörde ein »ein großes Anliegen, die Einschränkungen für Bürgerinnen und Bürger, Tourismus und Landwirtschaft möglichst gering zu halten«, heißt es. Deshalb werden aktuell die Umleitungen optimiert und Lösungen für Radverkehr, ÖPNV, Pkw- und Schwerlastverkehr gesucht.

Derzeit wird der Busverkehr über einen land- und forstwirtschaftlichen Weg entlang der Lauter umgeleitet. Diese enge Straße wird auch als Radweg genutzt. Sobald das Wetter schön ist, muss also mit lebhaftem Radverkehr gerechnet werden. Das birgt Gefahren. Denn auch Anwohner weichen auf diese Strecke aus, um die 800 Meter zwischen Oberdorf und Wittstaig zu überbrücken oder zur Arbeit zu fahren, ohne dafür 25 Kilometer Umweg in Kauf nehmen zu müssen. Weiterhin entdecken immer mehr Ausflügler und Pendler die Strecke um den Schlossberg und durch den Ort für sich, wie die letzten Tage bei schönem Wetter bereits gezeigt haben.

»Der Missmut ist entstanden, weil es im Vorfeld keinerlei Informationen gab«

»Der Missmut der Bürger ist entstanden, weil es im Vorfeld keinerlei Informationen gab«, ärgert sich Landwirt und Gastronom Georg Erzberger vom Bauhofstüble. Es sei bekannt gewesen, dass Felsen entnommen werden sollen und dafür eine Sperrung der Straße notwendig ist. »Da können wir auch alle mitgehen, wenn das zwei Wochen dauert«, schrieb Erzberger an Landrat Dr. Ulrich Fiedler. Aber eine Sperrung der Straße über den ganzen Sommer sei »unzumutbar«, zumal eine solche auch eine enorme Verkehrsbelastung im eigentlichen Dorf mit sich bringe. »Und wenn dann die Polizei verstärkt kontrolliert, sind die Bürger zuerst bestraft.« Erzberger fordert die Behörde auf, »an einer guten und schnellen Lösung weiterzuarbeiten, auch wenn dadurch ein kurzfristiger und harter Einschnitt in die Schutzgebiete notwendig wird«.

Fragezeichen provoziert auch das neue Schild, das an den beiden Brücken von der Wittstaig ins Oberdorf parallel zur Straßensperrung angebracht wurde: Fahrzeuge mit einem Gewicht von mehr als zwölf Tonnen dürfen hier nicht mehr drüber. Selbst ein leerer Bus wiegt mehr als zwölf Tonnen, darf also eigentlich über diese Brücken gar nicht fahren. Jetzt findet hier dank Umleitung aber reger Busverkehr mit Personentransport statt.

Wer von den Anwohnern sich mit Peletts beliefern lassen will, kann paradoxerweise unter Umständen aber Pech haben. Denn von Rechtswegen darf der Tankwagen die Brücke nicht überfahren. Dasselbe gilt auch für Müllfahrzeuge. Auch hier fehlt eine klare Regelung von Seiten der Ämter, kritisieren die Anwohner. (GEA)