MÜNSINGEN-TRAILFINGEN. Den Fahrtwind im Gesicht spüren, minimalistisch leben, Natur und Menschen kennenlernen, ganz bei sich sein: Für den Trailfinger Justus Bronner gibt es nichts Erfüllenderes, als sich auf sein E-Bike zu schwingen, loszuradeln und die Welt an sich vorbeiziehen zu lassen. Er ist schon viel und weit gereist: mit dem Flugzeug, mit dem Wohnmobil und mit dem Segelboot. Zwischenzeitlich auch mit dem Fahrrad. Denn eine nachhaltigere, umweltschonendere und gesündere Art zu reisen gibt es für ihn nicht.
Als der Immmobilien-Ökonom im Januar 2020 vorzeitig in den Ruhestand ging, war ihm klar, dass er für sich etwas brauchte, um Abstand zu gewinnen: von der Arbeit, vom Zeitdruck und von der gesundheitlichen Belastung. »Schon länger spielte ich mit der Idee, den Jakobsweg mit dem Rad zu fahren«. Laufen kam für den 63-Jährigen wegen der Bandscheiben nicht in Frage. Zuvor hatte er bereits mehrtägige Touren mit dem E-Bike absolviert und so war er sich sicher, dass er die 2.560 Kilometer und 22.000 Höhenmeter bewältigen konnte.
Er begann zu planen, im Juni 2020 ging es los. Trotz Corona. Justus Bronner wartete den Lockdown ab, startete in Trailfingen so, dass er zwei Tage nach der Grenzöffnung in Frankreich einradeln konnte. »Ich bin kein ängstlicher Mensch und war gut ausgestattet.« Rund 24 Kilogramm Gepäck hatte er bei sich: Schlafsack, Isomatte und Zelt, Kochsachen, einen zweiten Akku, Regensachen und Kleidung zum Wechseln. Er schlief bei Freunden, auf Zeltplätzen, im Freien und in Herbergen.
Seine Handy-Navigation führte ihn auf den Wegen der Fußpilger, aber größtenteils auf Radwegen. Manchmal waren diese so schwierig, dass er sein Rad nur noch schieben konnte. »Jeden Tag fuhr ich zwischen 60 und 100 Kilometer. So schaffte ich drei Fußpilger-Stationen an einem Tag«, berichtet Bronner. Die Route führte ihn durch ganz unterschiedliche Landschaften, an Flüssen entlang, über Mittelgebirge und durch mittelalterliche Dörfer. Die gesammelten Eindrücke waren vielfältig und bleibend. Justus Bronner radelte bei Regen und bei großer Hitze, er begegnete Menschen und kam mit ihnen ins Gespräch, er fand zu sich selbst und zu einer großen Dankbarkeit: »Ich konnte sehen, wie gut es mir geht und wie dankbar ich für alles sein darf.« Er sah Sonnenaufgänge und hatte viel Zeit zum Nachdenken über sein eigenes Leben und das der anderen. »Ich bin schon viele Wege gefahren, aber der Jakobsweg ist etwas ganz Besonderes. Dieser Weg hat etwas mit mir gemacht.«
»Dieser Weg hat etwas mit mir gemacht«
Jeder – ob Fußpilger oder Radler – sei für sich allein unterwegs und doch sei man nie einsam. Auch Justus Bronner, der sechs YouTube-Filme über seine Tour drehte, konnte diese gelebte Gemeinschaft erfahren, die den Zauber des Jakobswegs ausmacht. Er meisterte die 2.560 Kilometer in 36 Tagen, ohne Unfall und mit nur einer Panne, nachdem er über einen Reißnagel gefahren war. Doch jeden Tag in den Sattel zu steigen, war dennoch eine Qual. »Mein Sattel bereitete mir Probleme, das war richtig schwierig, weil ich mich von den ersten Tagen bis zum Schluss wund gesessen hatte.« Ans Aufhören dachte der damals 60-Jährige dennoch nie. Aber klar war, dass er vor seiner nächsten großen Tour einen anderen, guten Sattel brauchte.
Den schaffte er sich dann auch an, bevor er im vergangenen Jahr seine bis dahin längste Reise antrat: rund 3.500 Kilometer und 32.000 Höhenmeter von Kanada bis nach Mexiko. Mit Sattel und Gepäck flog Bronner nach Vancouver. Dort kaufte er sich ein gebrauchtes E-Bike und fuhr zweieinhalb Monate - von August bis Oktober - an der amerikanischen Westküste entlang. »Das war zwar nicht so spirituell wie auf dem Jakobsweg, aber die Natur war überwältigend.« Er sah Bären und Elche, den mächtigen Pazifik und riesige Städte. Angekommen an der mexikanischen Grenze verkaufte er das E-Bike wieder und flog zurück nach Hause. Und fing natürlich gleich wieder mit Planungen für zukünftige Touren an.
So will er in diesem Jahr mit seiner Frau von Salzburg nach Venedig fahren und mit einem Freund von Rostock nach München. »Fahrradfahren ist eine wirklich schöne Art zu reisen. Man fühlt sich mit der Natur verbunden, sieht sehr viel und kommt zügig vorwärts. Solange ich noch sportlich bin und es mir gut geht, werde ich das deshalb weitermachen.« Die Fahrt auf dem Jakobsweg wird ihm aber unvergessen bleiben: eine Fahrt, die ihn bewegt und inspiriert hat, körperlich wie spirituell. (GEA)
Vortrag
Beim Männervesper am Donnerstag, 7. März, um 19 Uhr berichtet Justus Bronner im evangelischen Gemeindehaus in Gammertingen in einem Bilder- und Videovortrag über die Hochs und Tiefs der Tour auf dem Jakobsweg. Anmeldung bis zu Dienstag, 5. März, bei Gemeindediakon Jürgen Rist unter juergen.rist@kirche-reutlingen.de. (in)