MÜNSINGEN-BICHISHAUSEN. Die ganze Region hat sich auf diesen besonderen Tatort gefreut. Immerhin wurde er eine Woche lang im März 2023 im beschaulichen Bichishausen im Großen Lautertal gedreht, er konnte sich also einer wunderschönen Kulisse bedienen. Doch was dabei herauskam, war aus Sicht der Menschen im Lautertal eine einzige Verhöhnung eines ehrlichen, fleißigen und modernen Menschenschlags, der hier allem Anschein nach in stehen gebliebener Zeit »haust«, nur »betet und arbeitet«, täglich – umgeben von grottigen Tapeten und Tiertrophäen - Knödel und Haxen in sich hineinstopft, sein Dasein Schnaps trinkend am Stammtisch fristet und die böse Großstadt mit ihren Lastern und Verführungen fürchtet.
»Natürlich gibt es eine – durchaus auch gelebte – Dorfgemeinschaft. Diese ist aber sozial konstruktiv und nicht feindselig«
Menschen aus der Region hatten als Statisten und Komparsen mitgespielt, darunter auch rund 130 Akteure vom Tennisverein Münsingen. »Sie standen beim Filmdreh sieben Stunden in der Kälte, wovon schlussendlich nur wenige Augenblicke gezeigt wurden. Das ist völlig ineffizient«, findet Jochen Schuster, Vorsitzender des Tennisvereins, der mit großem Aufwand binnen zwei Wochen alle Darsteller aktiviert hatte. Diese saßen nun voller Spannung am Sonntagabend vor dem Fernseher. Was ihnen und Millionen anderen Zuschauern allerdings geboten wurde, wird als Affront sondergleichen aufgefasst. Dieser SWR-Film sorgt für Empörung, nicht nur wegen seines Mangels an Inhalt oder der gänzlich fehlenden Spannung und Ermittlungsarbeit der Kommissare. Er stützt sich auf uralte Klischees, die längst überholt sind, vielleicht sogar nie gegolten haben. Jochen Schuster hat deshalb einen Brief an die ARD und an die Produktionsleitung geschrieben und sich dahingehend geäußert, dass das Leben auf dem Land rückständig, engstirnig und von Vorurteilen geprägt dargestellt wird.
»Natürlich gibt es eine – durchaus auch gelebte – Dorfgemeinschaft. Diese ist aber sozial konstruktiv und nicht feindselig«, verteidigt Jochen Schuster das reale Gefüge. Auf der Alb gebe es weder einen Mob noch tropfende Wasserhähne oder allabendliche Besäufnisse. Solche Darstellungen, so zeigt sich jetzt anhand vieler Reaktionen von Fernsehzuschauern der Region, verletzen all jene Menschen, die in ländlichen Gebieten leben und deren Lebensrealität weit komplexer und vielfältiger ist.
»Ganz offensichtlich liegt der letzte Besuch der Drehbuchautoren auf dem Land Jahrzehnte zurück«
Klar ist: Die Realität auf dem Land hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten erheblich gewandelt, Landleben ist so attraktiv wie selten zuvor. Viele Dörfer sind lebendige Gemeinschaften, in denen Menschen aus verschiedenen Kulturen und mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenleben. Die Landbevölkerung genießt eine gute Ausbildung, engagiert sich in sozialen Projekten und ist technologisch versiert. »Selbstverständlich verlassen junge Leute bisweilen ihren Ort auf der Alb, beispielsweise um zu studieren, doch kommt man am Wochenende gerne wieder 'hoim'. Ganz offensichtlich liegt der letzte Besuch der Drehbuchautoren auf dem Land Jahrzehnte zurück«, kritisiert Schuster.
Dieses im Film skizzierte Dorfleben gibt es seit den 1950er-Jahren nicht mehr. Die Darstellungen in diesem Format scheinen dem Anschein nach lediglich dazu zu taugen, Menschen in Stadt und Land gegeneinander aufzuhetzen. Dabei, so bedauert Jochen Schuster, hätte er durchaus eine zeitgemäße Botschaft senden und die vorherrschenden Probleme wie etwa die Schließung von Infrastrukturen aufzeigen können. Manche Szenen machen sich stattdessen gezielt über die Menschen auf dem Land lustig. Dörfer sind nicht hinterwäldlerisch, hier gibt es längst gut funktionierendes Internet und fast jeder weiß, wie man es auch benutzt. Man fährt moderne Fahrzeuge, teilweise sogar E-Autos, hat eine hervorragende Bildung und geht guten Jobs nach. Landwirtschaft wird zunehmend nachhaltig betrieben, in der Küche gibt es viele vegane und vegetarische Gerichte, deren Zutaten frisch aus dem eigenen Garten kommen.
Die Zuschauer haben das Gefühl, dass die Art und Weise, wie dieser Tatort das dörfliche Leben darstellt, die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte ignoriert und nun dazu beitrage, ein verzerrtes Bild von ländlichen Gemeinschaften zu verbreiten. Sie haben Angst, dass solche Klischees nicht nur das Ansehen der modernen Landbevölkerung schädigen, sondern auch das Verständnis und die Wertschätzung für die Vielfalt des Lebens auf dem Land untergraben. Was in diesem Film zu sehen ist, sehen sie nicht als realistische, geschweige denn respektvolle Darstellung des ländlichen Lebens und der Landbevölkerung, die tagtäglich den tatsächlichen Herausforderungen gerecht wird und nicht selten zu maßgeblichen Errungenschaften beiträgt. Dieser Tatort hätte die Chance nutzen können, die positiven Aspekte des dörflichen Lebens hervorzuheben und die Zuschauer für die Realität im Jahr 2024 zu sensibilisieren, anstatt in alte, längst überholte Muster zurückzufallen. Ein sensibler Umgang mit diesen Themen wäre nicht nur wünschenswert, sondern auch notwendig gewesen, um ein authentisches Bild der Gesellschaft zu vermitteln. (GEA)