GAMMERTINGEN. Bei den Ausgrabungen rund um die St. Michaelskapelle wurde Archäologe Sören Frommer klar: »Da ist Potenzial. Man muss die ganze Stadt in den Blick nehmen, ich brauche einen ausgebildeten Historiker.« Er wollte die Forschung auf das gesamte historische Gammertinger Stadtgebiet ausweiten, aber nicht allein. Und holte den Quellen-Experten Joachim Jehn ins Boot. Mit dem, was Frommer aus der Gammertinger Erde und Jehn aus allerlei Archiven schürften, entstand eine grundlegend überarbeitete Geschichte Gammertingens und der näheren Umgebung. Das Buch »Vnser Schloß und statt Gammertingen« liegt jetzt in den Buchhandlungen und ist im Bürgerbüro im Gammertinger Rathaus erhältlich. Dargestellt wird die Entwicklung an der Lauchert von der Bronzezeit bis ins 20. Jahrhundert. Der Schwerpunkt liegt auf der Zeit zwischen dem späten 10. und dem frühen 19. Jahrhundert. Archäologie und Geschichte sind nun zum ersten Mal in diesem Umfang verzahnt und erzählt worden.
In dieser Form ist die Stadtgeschichte noch nicht dargestellt worden. Frommer hat die Ergebnisse seiner Grabungen einfließen lassen, ältere Befunde aufgenommen. Jehn hat den gar nicht so toten Steinen mit schriftlichen Zeugnissen Leben eingehaucht. Das Sahnehäubchen sind die Illustrationen von Roland Gäffgen. Basierend auf den Erkenntnissen von Frommer und Jehn wird die Stadt - und ihre Vorformen - grafisch dargestellt, von den Anfängen des »modernen Gammertingens« um eine Flachmotte bis hin zur Neuzeit, in der schon Gebäude sichtbar werden, die auch heute noch das Stadtbild prägen. Die »Motte« hat mit dem lästigen Getier übrigens nichts zu tun, eine Motte ist eine einfache Burg, meist nur ein Holzturm auf einem Erdhügel - »Motte« ist französisch für Erdklumpen. Wer sich eine rekonstruierte Motte anschauen will, sollte einen Ausflug zur Bachritterburg bei Kanzach (Landkreis Biberach) unternehmen.
Die Geschichte Gammertingens ist von zahlreichen Brüchen geprägt. Auf Dynamik folgte Stagnation, häufige Wechsel in der Herrschaft dürften dazu beigetragen haben, auch wenn das im Mittelalter so ungewöhnlich nicht war. Allerdings waren die Herren von Gammertingen oft auf der falschen Seite der Geschichte, waren zu oft in Händel verstrickt, selten auf der Gewinnerseite. Die verkehrsgünstige Lage, die die älteren Gammertinger Grafen mit dem Bau der damals hochmodernen Höhenburg Baldenstein zur Kontrolle der Handelswege genutzt hatten, konnte das nicht retten.
Die Burg kontrollierte den Fernweg zwischen Donau und Alb. Der Beginn war vielversprechend. Aber in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhundert brennt die Siedlung komplett ab und bleibt danach lang klein. »Die Entwicklung war erbärmlich«, sagt Frommer, »Gammertingen hätte mit Tübingen in einer Liga spielen können.« Aber die Tübinger hatten wahrscheinlich das noch kleine Gammertingen niedergebrannt, die »Tübinger Fehde« fiel in die turbulente Zeit, in der das Laucherttal eine internationale Rolle spielte. Wobei Gammertingen in den Quellen fast nicht erwähnt wird, wie Jehn bedauert. Und dass um das Jahr 1410 die um 1300 gegründete Stadt komplett abbrannte, machte die Entwicklung auch nicht leichter.
Für den Archäologen Frommer ergaben sich aus der Katastrophe aber zahlreiche Funde, viele von ihnen sind erst bei den jüngsten Grabungen, etwa am Schlossplatz, erschlossen worden. Mit diesen handfesten Befunden zusammen mit den von Jehn gefundenen Dokumenten ergibt sich ein noch lückenhaftes Bild. Schärfer wird der Blick in die Vergangenheit im Jahr 1530. Dietrich von Speth gab ein »Urbar« in Auftrag, ein Lagerbuch, in dem die Rechte der Herrschaft und die Pflichten der Untertanen erfasst wurden. Dabei wurden die Abgaben an den Grundstücken festgemacht, woraus eine detailgenaue Stadtkarte rekonstruiert werden konnte.
Das Buch
Das Buch »Vnser Schloß und statt Gammertingen« ist im Gmeiner Verlag Meßkirch erschienen und ab sofort im Buchhandel und im Bürgerbüro im Rathaus Gammertingen erhältlich. Gebunden 336 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Fotos und Illustrationen. ISBN-Nr. 978-3-7801-1013-8, Verkaufspreis 25 Euro. (GEA)
Solche Kostbarkeiten, zusammen mit der Fülle an Ausgrabungen und Archivfunden, ergeben eine faszinierendes Bild einer über 1.000 Jahre andauernden Siedlungsgeschichte. Viel Raum nimmt die Darstellung der Herrschaftsverhältnisse ein, von der recht kurzen Geschichte der Grafen von Gammertingen bis zu den von Speths, deren Name ja heute noch die Stadt prägt. Größeren Raum nehmen neben dem »Urbar« die »Sagenhafte Gründung des Klosters Mariaberg« und die Geschichte der von Speths und ihrer Residenz ein. Die Illustrationen, zahlreiche Fotos von Grabungen und historischen Gebäuden sowie Skizzen, runden das Bild der Topografie- und Herrschaftsgeschichte ab.
Frommer und Jehn haben die älteren Werke über die Stadtgeschichte von Herbert Burkharth und Joseph Wiest erheblich erweitert, teils revidiert. Zu Ende ist die Gammertinger Geschichtsschreibung aber noch lang nicht. Die Ergebnisse der archäologischen Untersuchungen auf dem kleinen Schlossplatz im vergangenen Jahr sind noch nicht eingeflossen, und von den Baumaßnahmen im Zuge der kommenden Neugestaltung der Hohenzollernstraße versprechen sich die Autoren weitere Erkenntnisse. (GEA)