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So lief der Notfallgipfel gegen die Praxenschließungen

Die SPD-Fraktion im Landtag setzt sich für den Erhalt aller Bereitschaftspraxen im Land ein. Beim »Notfallgipfel« im Stuttgarter Landtag war die Bürgerinitiative Albklinik stark vertreten. Das Vorgehen der Kassenärztlichen Vereinigung Baden Württemberg (KVBW) und von Gesundheitsminister Manne Lucha stieß auf Unverständnis.

Allein 50 Münsinger haben sich gen Stuttgart begeben.
Allein 50 Münsinger haben sich gen Stuttgart begeben. Foto: Steffen Wurster
Allein 50 Münsinger haben sich gen Stuttgart begeben.
Foto: Steffen Wurster

MÜNSINGEN/STUTTGART. Der Landtag in Stuttgart war mit etwa 200 Besuchern voll besetzt. 50 davon kamen aus Münsingen, die Bürgerinitiative (BI) Albklinik hatte einen Bus organisiert. Der war ebenfalls voll besetzt, die Warteliste lang, sagte Dr. Eberhard Rapp, Sprecher der BI. Worum ging es im Landesparlament außerhalb des regulären Sitzungsbetriebs? Um die von der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) angekündigte Schließung von 18 weiteren Bereitschaftspraxen im Land - acht sind bereits Geschichte -, darunter auch der in der Albklinik in Münsingen.

Beim Notfallgipfel unter sozialdemokratischer Regie kamen die betroffenen Akteure zu Wort. Besonderes Lob für ihr mutiges Erscheinen, weniger für ihren Standpunkt, bekam Dr. Doris Reinhardt, die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KVBW: Sie träte nicht gerade vor einem Fanclub auf, sagte Florian Wahl (MdL, SPD), der den Gipfel moderierte. Reinhardt hat die unangenehme Aufgabe, die Schließungen zu verteidigen.

Die KV begründet den »Kahlschlag«, so der SPD-Fraktionsvorsitzende und Gastgeber Andreas Stoch, mit 1.000 unbesetzten Stellen von Kassenärzten. Niedergelassene Ärzte, die Notdienste übernähmen, opferten ihre Freizeit. Und angestellte Ärzte, die ihr Stundenpensum am Wochenende oder in Nachtschichten aufbrauchen, fehlten dann unter der Woche, so der Standpunkt der KV. Und die Kassenärztliche Vereinigung ist nun mal die Vertretung ihrer Ärzteschaft, nicht der Patienten und auch nicht der Krankenhäuser oder der Bereitschaftsdienste.

»Die Notaufnahmen arbeiten am Anschlag, wenn Münsingen geschlossen wird, gehen wir in Reutlingen unter«

Hier setzte Kritik ein. Ein Notfallsystem aus Bereitschaftsdiensten, Notaufnahmen und Rettungsdiensten müsse als Ganzes gesehen werden, sagten die Kritiker der Schließungen. Wenn an einer Stelle gekürzt wird, bleibt die Decke insgesamt trotzdem zu kurz, meinte Andreas Stoch. Heißt: Wenn ein Patient keine Bereitschaftspraxis mehr erreichen kann, weicht er auf die Notaufnahme aus oder ruft den Rettungsdienst an. Zur Klarstellung: Die Bereitschaftspraxis soll Fälle abdecken, die unter der Woche der Hausarzt auffängt, die Notaufnahme - die in Münsingen weiter bestehen wird - kümmert sich um die schweren Fälle von Unfällen bis Herzinfarkt, die Rettungskräfte rücken aus, wenn der Patient ohne medizinische Betreuung nicht mehr aus dem Haus kommt.

Wenn die Bereitschaftspraxis jetzt von der Alb runter nach Reutlingen verlagert wird, steigen die Fälle, in denen die Notaufnahme aufgesucht oder das Rote Kreuz angerufen wird, fürchtet Stefan Kühner, Chefarzt für interdisziplinäre Notfallmedizin an den Kreiskliniken Reutlingen. Das zeigten die Erfahrungen aus Regionen, in denen die Bereitschaftspraxen bereits geschlossen oder konzentriert sind. Und die Notaufnahmen arbeiteten bereits am Anschlag, »wenn Münsingen geschlossen wird, gehen wir in Reutlingen unter«.

Bei Dr. Reinhardt kamen diese Argumente nicht an. Das System der niedergelassenen Ärzte müsse gesichert werden, um die Gesundheitsversorgung als Ganzes zu gewährleisten. Das sei Nabelschau auf die eigenen Interessen, kommentierte das Münsingens Bürgermeister Mike Münzing. Immer dieselben Argumente, ohne Lösungsvorschläge für die Gesamtversorgung anzubieten und ohne auf andere zu hören, das sei konzeptionslos: »Sie wiederholen auf vielen Veranstaltungen ständig das gleiche, so viel Selbstbewusstsein muss man erst mal haben.«

»Sie wiederholen ständig das gleiche, so viel Selbstbewusstsein muss man erst mal haben.«

Dass in Münsingen die Wellen besonders hoch schlagen, hat die Zahl der nach Stuttgart Reisenden gezeigt. Für Müllheim setzte sich Bürgermeister Martin Löffler ein, auch andere Kommunen ärgern sich über das Vorgehen der KV. 13 Kommunen haben Klage eingereicht und argumentieren, dass sie in die Entscheidung überhaupt nicht eingebunden worden seien. Reinhardt merkte dazu an, dass zumindest die Landkreise angesprochen worden seien. Die Kläger haben nun immerhin Akteneinsicht bekommen, die Aktenlage sei aber mehr als dünn, sagte Löffler. Wie die KV zu ihren Entscheidungen kam, sei zum Beispiel völlig unklar. Deswegen forderte nicht nur Löffler Gesundheitsminister Manne Lucha auf, aktiv und seiner Aufsichtspflicht gerecht zu werden. Lucha stellt sich bisher auf den Standpunkt, dass das Thema Bereitschaftspraxen Sache der KV sei, nicht des Gesundheitsministeriums und auch nicht des Landtags. Ein Antrag der SPD, die Schließung der Praxen zu stoppen, wurde am vergangenen Mittwoch abgelehnt. Die Abgeordneten aus dem Wahlkreis Hechingen-Münsingen, Manuel Hailfinger (CDU) und Cindy Holmberg (Grüne) enthielten sich trotz Einsatz für den Standort Münsingen dabei ihrer Stimmen, folgten aber nicht dem Abstimmungsverhalten ihrer (Regierungs-)Parteien.

Auf dem Podium im Landtag saßen Dr. Doris Reinhardt (von links), Martin Löffler, Florian Wahl, Professor Dr. Andreas Pitz, Dr. S
Auf dem Podium im Landtag saßen Dr. Doris Reinhardt (von links), Martin Löffler, Florian Wahl, Professor Dr. Andreas Pitz, Dr. Stefan Kühner und Andreas Stoch. Foto: Steffen Wurster
Auf dem Podium im Landtag saßen Dr. Doris Reinhardt (von links), Martin Löffler, Florian Wahl, Professor Dr. Andreas Pitz, Dr. Stefan Kühner und Andreas Stoch.
Foto: Steffen Wurster

Zum Notfallgipfel nahm die Landes-CDU Stellung: »Die Vehemenz, mit der die SPD suggeriert, der Landtag oder die Landesregierung könnten unmittelbaren Einfluss darauf nehmen, wo die Kassenärztliche Vereinigung (KV BW) ihre Bereitschaftsdienstpraxen betreibt, ist in höchstem Maße irritierend und unanständig.« Der Sozialrechtler Professor Dr. Andreas Pitz sah das beim Gipfel nicht ganz so. Gesetzlich eindeutige Kriterien zur Notfallversorgung gebe es nicht. Die KV, aber auch die Aufsicht, also Minister Lucha, hätten einen Ermessensspielraum, und der müsse bewertet werden können. Ein Richter würde bei einer Klage fragen, »welche Alternativen haben Sie (die KVBW) geprüft?«. Und da könnten Lucha und die KVBW in Erklärungsnöte kommen, meinen die Bürgermeister Martin Löffler und Mike Münzing: »Das ist ein unglaublich schlampiger Beschluss«, sagte Löffler. (GEA)