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Selbst mit der Axt im Christbaumwalde

Bei Jürgen Goller in Würtingen schlägt man seinen Weihnachtsbaum noch selbst

Er kennt es aus der nordischen Heimat nicht anders, als den Christbaum selbst zu schlagen: Janis Majeva aus Finnland mit Ehefrau
Er kennt es aus der nordischen Heimat nicht anders, als den Christbaum selbst zu schlagen: Janis Majeva aus Finnland mit Ehefrau Elsie und Tochter Lea. Foto: Kirsten Oechsner
Er kennt es aus der nordischen Heimat nicht anders, als den Christbaum selbst zu schlagen: Janis Majeva aus Finnland mit Ehefrau Elsie und Tochter Lea.
Foto: Kirsten Oechsner

ST. JOHANN. Für Jürgen Goller verlaufen die Adventswochenenden alles andere als ruhig und besinnlich, sie sind vielmehr mit jeder Menge Hektik verbunden. Doch die Reaktion seiner Kunden lässt ihn das vergessen: »Sie strahlen alle«, hat der Würtinger beobachtet. Selbst wenn seine Töchter Simone und Sarah oder Ehefrau Gertrud mit dem Meterstab anrücken und der Geldbeutel gezückt werden muss, sind die Kunden voller Freude. Denn sie zahlen nicht irgendetwas, sondern ihren Christbaum, den sie selbst geschlagen haben: »Frischer geht es nicht mehr«, erklärt Jürgen Goller, der mit seinem Konzept schon seit über 20 Jahren den Nerv der Zeit trifft. »Regionalität ist gerade bei den Christbäumen schon lange ein Thema«, weiß er. »Viele Leute wollen ganz genau wissen, woher sie kommen.«

»Ich möchte keinen zusammengefalteten Baum vom Baumarkt«

Mehr Verbindung zu dem Baum, der die Weihnachtszeit über das Haus schmückt, geht nicht mehr – gerade für Familien mit Kindern hat sich der Besuch auf Gollers Christbaumkultur zu einem vorweihnachtlichen Muss entwickelt. Viele Stammkunden kennen sich aus und sind ausgestattet mit einer Handsäge – auf Wunsch wird der Wunschbaum aber auch von einem der Helfer geschlagen – und andere schleppen sogar Motorsägen an. Jani und Elise Majeva und Töchterchen Lea aus Kohlstetten sind zwar zum ersten Mal in Würtingen auf Christbaumsuche, doch der junge Papa weiß ganz genau wie’s geht einen Baum zu schlagen: »Ich bin aus Finnland und kenne es gar nicht anders«, erzählt er. »Meine Eltern haben dort ein Waldstück.« Ihn freut es, dass er diese Tradition auch auf der Alb pflegen kann.

Treffpunkt Christbaumverkauf: Drei Metzinger Familien tauschen Erfahrungen aus.
Treffpunkt Christbaumverkauf: Drei Metzinger Familien tauschen Erfahrungen aus. Foto: Kirsten Oechsner
Treffpunkt Christbaumverkauf: Drei Metzinger Familien tauschen Erfahrungen aus.
Foto: Kirsten Oechsner

Für die Trösters aus Pfullingen ist es längst zu einer geworden. Die Familie ist auf der Suche nach einer Fichte: »Weil sie so gut duftet«, meint Mama Kristina. Ein Prachtexemplar haben sie sich schon ausgesucht, aber vielleicht findet sich ja noch ein besseres und die vier machen sich weiter auf die Suche über das weitläufige Gelände: »Wir haben den Baum mit einem Handschuh markiert, damit wir ihn später wieder finden«, plaudert sie aus dem Nähkästchen. Für sie und Ehemann Andres sowie die Kinder Pauline und Theo ist es eine ganz besondere Form, zur Ruhe zu kommen und als Familie etwas gemeinsam zu machen.

Als Teilfamilie sind dagegen die Werners aus Gönningen unterwegs, die Suche nach dem passenden Christbaum ist Männersache: »Der wird Mama sicher gefallen«, sind sich Hannes und Paul sicher. Stolz und übers ganze Gesicht strahlend schleppen sie ihren ganz persönlichen Traumbaum in Richtung Kasse, wo dessen Länge gemessen und nach laufendem Meter bezahlt werden muss. Die Freude über den gelungenen Kauf wird noch größer, als Hannes und Paul von Familie Goller einen Schokolutscher bekommen – so schön kann der Christbaumkauf sein.

Bei Werners aus Gönningen ist der Christbaumkauf Männersache.
Bei Werners aus Gönningen ist der Christbaumkauf Männersache. Foto: Kirsten Oechsner
Bei Werners aus Gönningen ist der Christbaumkauf Männersache.
Foto: Kirsten Oechsner

»Ich möchte keinen zusammengefalteten Baum vom Baumarkt«, erklärt Jörg Rangno aus Metzingen die Motivation, nach Würtingen gekommen zu sein und wird von Thorsten Knecht bestätigt. Deren Familien pflegen diese Tradition seit vielen Jahren gemeinsam, zufällig treffen sie auf weitere Bekannte und weisen sie ins aktive Suchen mit abschließendem Baumschlagen ein. Das große Plus nach Jörg Rangnos Ansicht: »Es werden die Wünsche von allen berücksichtigt, es gibt nichts zu meckern und der Familienfriede ist gesichert.«

»Es gibt nichts zu meckern und der Familienfriede ist gesichert«

Für viele ist diese ganz besondere Art des Christbaumkaufs ein Ausflug, der gemütlich bei einer roten Wurst und einem Glühwein oder einem Punsch endet. Jürgen Goller möchte Jung und Alt einen erlebnisreichen Aufenthalt ermöglichen: »Die Kinder springen hier fröhlich herum«, freut er sich, auch wenn der eine oder andere minikleine Jungbaum den Besucheransturm nicht überlebt. Doch diesen Verlust habe er einkalkuliert, den müsse er akzeptieren. Welcher Baum bei Gollers stehen wird, bleibt bis zum letzten Moment offen: »Ich nehme spontan einen mit von denen, die übrig sind«, erzählt er, denn bei Gollers können auch bereits geschlagene Bäume gekauft werden. »Und wenn das nicht der Fall ist, schlage ich mir eben einen.« (GEA)