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Schlaflose Nächte: Münsinger Entführungsopfer hat die Tat noch nicht verkraftet

Am Montag schilderte der 19-Jährige aus Münsingen vor dem Tübinger Landgericht, was er bei seiner Entführung im Dezember 2024 alles erdulden musste.

Das Tübinger Landgericht verhandelt den Fall einer brutalen Entführung in Münsingen. Das Opfer schildert seine schrecklichen Erl
Das Tübinger Landgericht verhandelt den Fall einer brutalen Entführung in Münsingen. Das Opfer schildert seine schrecklichen Erlebnisse. Foto: Tom Weller/DPA/dpa
Das Tübinger Landgericht verhandelt den Fall einer brutalen Entführung in Münsingen. Das Opfer schildert seine schrecklichen Erlebnisse.
Foto: Tom Weller/DPA/dpa

MÜNSINGEN/TÜBINGEN. »Ich kann heute noch nicht richtig schlafen, hab' Angstzustände.« Auch wenn der 19-Jährige aus Münsingen am Montag vor dem Tübinger Landgericht die Erlebnisse seiner Entführung recht locker schilderte, die Nachwirkungen des Geschehens sind bei ihm immer noch deutlich spürbar. Er habe weniger Vertrauen in Menschen, sei nicht mehr so offen, meinte er. Er will jetzt auch eine Therapie in Anspruch nehmen. »Dazu kann ich Ihnen nur raten«, unterstützte Richter Dirk Hornikel die Pläne des 19-Jährigen.

Was ist ihm passiert, an jenem 14. Dezember 2024? Ein 20-Jähriger aus dem Raum Münsingen hatte die dumme Idee, sich an dem Tag als Rächer aufspielen zu wollen. Der Grund: Er warf dem 19-Jährigen vor, seinen Kumpel an die Polizei verraten und Mutter und Schwester geschlagen zu haben. »Das stimmt aber alles nicht«, beteuerte der 19-Jährige am Montag vor Gericht sehr glaubhaft.

Schläge ins Gesicht und auf den Oberkörper

Was er an diesem 14. Dezember alles durchmachen musste, war heftig. Ein langjähriger Freund von ihm hatte ihn abgeholt, weshalb der 19-Jährige auch arglos in dessen Auto eingestiegen war und sich auf die Rückbank gesetzt hatte. Kurze Zeit später aber stürmte der 20-Jährige in das Fahrzeug und »schlug auf mich ein, ins Gesicht und auf den Oberkörper. Das tat schon weh«. Außerdem habe ihm der 20-Jährige eine Pistole, die sehr echt ausgesehen habe, an den Kopf gehalten.

Später fesselte der Angreifer den 19-Jährigen mit einem Kabelbinder, band ihn mit einem Abschleppseil an die Anhängerkuppel des Wagens und forderte seinen Komplizen, der am Steuer saß, auf, loszufahren, was der auch tat. Nach ein paar Metern auf dem Feldweg riss allerdings die Gürtelschnalle und der 19-Jährige stürzte auf den Boden und zog sich dabei eine schmerzende Verletzung am Knie zu. Während er hilflos dalag, trat der 20-Jährige auf ihn ein und schlug ihn auch mehrmals.

Opfer ins Auto gelockt

Danach fuhren alle zusammen zu einer Bankfiliale in Münsingen. Dort zwang der 20-Jährige sein Opfer, an einem Geldautomaten 700 Euro von seinem Konto abzuheben und ihm auszuhändigen. Die Tour ging weiter nach Mehrstetten. Dort ließen die beiden Männer ihr Opfer frei, drohten ihm aber, dass, wenn er zur Polizei ginge, ihm etwas passieren würde. Davon ließ er sich aber letztlich nicht abschrecken. Am nächsten Tag ging der 19-Jährige mit Mutter und Schwester zur Polizei. Kurz darauf wurden die Täter verhaftet und sitzen seitdem, jetzt rund sechs Monate, in Untersuchungshaft.

Am ersten Verhandlungstag hatte der Komplize des selbst ernannten »Rächers«, ein 24-Jähriger, der ebenfalls aus dem Raum Münsingen stammt, ein umfassendes Geständnis abgelegt und mit vielen Details die Entführung geschildert. Er sei damals nicht gut auf den 19-Jährigen zu sprechen gewesen, habe sich von ihm ausgenutzt gefühlt, deshalb habe er mitgemacht, erzählte er dem Gericht.

Er hat bei dem Geschehen allerdings in erster Linie das Opfer ins Auto gelockt und danach am Steuer des Wagens gesessen und so die Entführung unterstützt. An den Gewalttätigkeiten gegenüber dem 19-Jährigen war er nicht beteiligt. Dies bestätigte auch das Opfer am Montag.

Auch der zweite Angeklagte legt ein Geständnis ab

Gewalttätig war allein der 20-Jährige. Am ersten Verhandlungstag hatte er noch geschwiegen. Am Montag gab dann seine Verteidigerin Julia Geprägs eine Erklärung für ihn ab. Warum der Angeklagte nicht gleich diese Erklärung abgegeben habe, umschrieb Geprägs vielsagend als »jugendtypisch«.

Und so begann das Geständnis: Der Angeklagte »räumt das in der Anklageschrift vorgeworfene Fehlverhalten vollumfänglich ein.« Die Tat tue ihrem Mandanten sehr leid und er wolle sich auch beim Opfer entschuldigen. Außerdem will er eine finanzielle Wiedergutmachung leisten. Da er aber kein Geld hat, soll dies über ein Familiendarlehen geschehen, erklärte Geprägs. In welcher Höhe dies sein wird, ist noch nicht klar.

Dies ist bei dem 24-jährigen Mitangeklagten anders. Sein Verteidiger Alexander Hamburg kündigte an, dass sein Mandant 5.000 Euro als Wiedergutmachung an das Opfer zahlen wolle. »Das Geld habe ich hier dabei«, meinte der Verteidiger am Montag zur Überraschung des Gerichts. Beide Angeklagte erhoffen sich durch die Zahlungen eine mildere Strafe, die sonst durchaus recht hoch ausfallen könnte, schließlich geht es um schweren erpresserischen Menschenraub, schwere räuberische Erpressung und Körperverletzung. (GEA)

Im Gerichtssaal

Gericht: Dirk Hornikel, Kim Posselt. Schöffen: Dr. Tobias Neuman, Ulrike Ruf. Staatsanwaltschaft: Mona Medic, Edith Zug. Verteidigung: Michael Kolaczkowski, Alexander Hamburg, Julia Geprägs. Nebenklagevertreter: David Mühlberger. Jugendgerichtshilfe: Laura Glöckler.