REUTLINGEN/MÜNSINGEN. Der Kreistag hat sich mit der drohenden Schließung der Bereitschaftspraxis an der Albklinik in Münsingen befasst. Dabei herrschte Einigkeit über alle Fraktionen: Die Schließung wird abgelehnt. Dr. Doris Reinhardt, Stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW), stand den Kreistagsmitgliedern Rede und Antwort, viel Neues war vonseiten der KVBW allerdings nicht zu hören. Wer hoffte, dass Signale für einen Sinneswandel zu sehen sein würden, wurde enttäuscht. Die KVBW bleibt bei ihrer landesweiten Planung, eine Ausnahme für die Alb scheint nicht im Raum zu stehen.
Die KVBW begründet die Schließung - am 30. September soll Schluss sein - mit Ärztemangel. Nicht so sehr, weil weniger Ärzte zur Verfügung stehen, aber die Arbeitswelt ändert sich. Ein angestellter Arzt, attraktiv für junge Mediziner, der Wochenenddienst schiebt, fällt irgendwann unter der Woche in der Gemeinschaftspraxis aus. Und bei der Suche nach Praxisnachfolgern seien Wochenenddienste auch ein Entscheidungskriterium. Also besser, den regulären Dienst zu stärken, als am Wochenende flächendeckend ein Netz von Bereitschaftspraxen zu erhalten, das ja auch nur für leichte Fälle, nicht für echte Notfälle zuständig ist. Und in Münsingen an Sams-, Sonn- und Feiertagen auch nur von 10 bis 16 geöffnet hat.
Nicht mit dem Rasenmäher rationalisieren
Die Kreisräte störten sich weniger an der grundsätzlichen Begründung. Dass in Münsingen aber ein gut funktionierender Standort aufgegeben werden soll und die Arbeitslast dann eben auf Reutlingen und Ehingen verteilt werden soll, leuchtete keinem ein, auch Landrat Ulrich Fiedler nicht. Zu gleichwertigen Lebensverhältnissen in der Stadt und auf dem Land gehöre auch die Notfallversorgung. Bereitschaftspraxen sind zwar nur für leichte Fälle, in denen man unter der Woche zum Hausarzt geht, zuständig. Patienten, die vor verschlossenen Türen stehen, würden dann aber die Notaufnahmen besuchen und belasten - »und damit die Versorgung derjenigen, die es benötigen, erschweren«. Das habe sich schon bei der Schließung der Bereitschaftspraxis in Bad Urach gezeigt. Rat Frank Glaunsinger, selbst Rettungssanitäter, schlug in dieselbe Kerbe. Die Zahl der Einsätze der Rettungsdienste steige ständig, und die Fahrzeuge seien ständig unterwegs.
Doris Reinhardt ließ das nicht gelten. Anfang April wurden bereits elf Bereitschaftspraxen geschlossen, negative Rückmeldung habe die KVBW nicht erhalten. Weder von den Praxen, die die aufgelösten auffangen, noch von den Notfallpraxen oder den Rettungsdiensten. Glaunsinger hatte seine Zweifel: »Die Realität zeigt, wenn zu lange gewartet werden muss, wird der Rettungsdienst angefordert.« Auch wenn die Notrufnummer 116 117 nicht erreichbar ist, was eher die Regel, als die Norm sei, so Glaunsinger. Auf die Telemedizin setzt die KVBW große Hoffnungen. Beratung kann am Telefon stattfinden, vor allem aber könnten Patienten von Anfang an zu den richtigen Stellen geschickt werden. Glaunsinger konnte aus eigener Erfahrung nicht bestätigen, dass das so reibungslos funktioniert.
Verhältnisse auf der Alb im Blick behalten
Die Räte waren sich in einem weitgehend einig: Die besonderen Verhältnisse auf der Alb seien von der KVBW nicht ausreichend - wenn überhaupt - gewürdigt worden. Was er nicht verstehe sei, dass alle Standorte, alle Landkreise, gleich behandelt würden, »mit dem Rasenmäher - dafür haben wir kein Verständnis«. Doris Reinhardt stimmte dem ausdrücklich zu. Bei der Auswahl der verbleibenden Standorte würden Faktoren wie Auslastung, Qualität der Arbeit oder Verfügbarkeit von Ärzten nicht gewertet. Die KVBW orientiert sich vor allem an den Wegstrecken, die nächste Bereitschaftspraxis soll in 95 Prozent der Fälle in 30, spätestens in 45 Minuten erreicht werden. Fahrten nach Reutlingen und Ehingen hält sie »für vertretbar«. Aber was wird gewonnen, fragte Rätin Heike Bader, was wird attraktiver? Für die Patienten sicher nichts, und auch für die Ärzte von der Alb wären die Fahrten ins Unterland wenig attraktiv. Und das Reutlinger Krankenhaus ist auch nicht scharf auf weitere Kunden. »Aus Kliniksicht schwierig, wir arbeiten uns so durch«, sagte Dominik Nusser, Geschäftsführer der Kreiskliniken. Und ob es für junge Mediziner attraktiv sei, am Anschlag zu arbeiten, wagte er zu bezweifeln. Besser sei es, einen guten Standort zu halten.
Die KVBW habe »robust geplant«, sagte Reinhardt, die Erfahrungen aus anderen Schließungen würden das auch bestätigen. »Wir reduzieren keine ärztlichen Leistungen, wir konzentrieren.« Auch die Patienten müssten dazu lernen, die richtige Anlaufstelle finden: »Es geht nicht ums - gefühlte - Bedürfnis, es geht um die Versorgung.«
Trochtelfingens Bürgermeisterin Katja Fischer appellierte an Reinhardt: »Bitte überdenken Sie Ihren Entscheid, die Absolutheit, und hinterfragen Sie das Gutachten.« Doris Reinhardt gab aber nicht zu erkennen, dass die KVBW ihren Weg verlassen könnte. (GEA)

