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Reutlinger Autor und Tübinger Darsteller kritisieren Alb-Tatort

Der Reutlinger Fallers-Autor Bernd Storz und Lindenhof-Schauspieler Franz-Xaver Ott aus Tübingen beziehen Stellung zum umstrittenen SWR-Tatort »Lass sie gehen«.

Szene aus dem umstrittenen Münsinger Tatort »Lass sie gehen«.
Szene aus dem umstrittenen Münsinger Tatort »Lass sie gehen«. Foto: Benoît Linder/dpa
Szene aus dem umstrittenen Münsinger Tatort »Lass sie gehen«.
Foto: Benoît Linder/dpa

REUTLINGEN/ MELCHINGEN. Wie haben Autoren und Schauspieler aus der Region den Tatort »Lass sie gehen« gesehen? Verstehen sie die Empörung der Alb-Bevölkerung? Der GEA fragte nach.

Der Reutlinger Schriftsteller und Drehbuchautor Bernd Storz (73) hat bereits für mehrere Folgen der Schwarzwaldserie »Die Fallers« die Drehbücher geschrieben. »Auch ein Tatort ist Fiktion« gibt es zu bedenken. »Es wäre naiv zu unterstellen, dass die Realität auf den Dörfern so aussieht, wie sie im Tatort dargestellt wird«. Andererseits sei es so, dass sich die Leute sehr stark mit dem Tatort identifizieren würden. Es sei klar, dass in Krimihandlungen »die Bilderbuchfassade der Landidylle brechen muss«. Nur können bei der Darstellung der Fassade auch etwas mehr Sensibilität vorgehen und müsse keine Klischees aus der Vergangenheit reproduzieren. Drehbuchautoren könnten auch aufs Land fahren und recherchieren, wie man heute auf den Dörfern lebe. »Die heutige Landbevölkerung ist viel interessanter als die Klischees aus der Vergangenheit«, sagt Storz, der in Ravensburg geboren ist und seit den 1970er Jahren in Reutlingen lebt.

Autor Bernd Storz bezeichnet den TV-dialekt als »fiktionale Kunstsprache«
Autor Bernd Storz bezeichnet den TV-Dialekt als »fiktionale Kunstsprache« Foto: Bernd Storz
Autor Bernd Storz bezeichnet den TV-Dialekt als »fiktionale Kunstsprache«
Foto: Bernd Storz

Auch bei dem seltsamen Schwäbisch, das im Fernsehen gesprochen wird, kennt sich der erfahrene Drehbuchautor aus seinen Erfahrungen mit den »Fallers« aus: »Das ist eine fiktionale Kunstsprache, die für Leute, die aus anderen Regionen kommen, so klingt, als würden die Leute Dialekt sprechen«, erklärt Storz. Bei den »Fallers« sei die Argumentation des Senders gewesen, dass man die Serie in ganz Deutschland verstehen müsse. »Die Bayern sind viel selbstbewusster mit ihrem Dialekt. Wenn im Fernsehen bayrisch gesprochen wird, dann verstehe ich oft manche Wörter nicht«, stellt Storz fest. Offensichtlich gebe es bei den ARD-Sendern unterschiedliche Haltungen zum Dialekt. Beim SWR gebe es im Hörfunk eine offenere Haltung zum Dialekt, sagt Storz. »Ich habe zwei schwäbische Hörspiele geschrieben, die von schwäbischen Schauspielern eingesprochen im SWR-Radio liefen«, erzählt Storz. Er glaubt, dass im Fernsehen die Einschaltquote offensichtlich wichtiger sei als die Authentizität.

Franz-Xaver Ott (62), Schauspieler und Dramaturg am Melchinger Theater Lindenhof ist gebürtiger Hayinger und lebt mittlerweile in Tübingen. "Ich schaue normalerweise nie Tatort. Aber dieses mal haben mich meinen Bruder und meine Schwägerin zu diesem Ereignis eingeladen", erzählt er. Der Film habe ihn "verwundert bis leicht verärgert", sagt Ott dem GEA. Obwohl er "eigentlich kein Leserbriefschreiber" sei, habe er dem SWR eine E-Mail geschrieben. Den genauen Wortlaut will er dem GEA gegenüber nicht wiederholen. Nur soviel: Das Wort "hanebüchen" sei gefallen. Auch im Kollegenkreis am Lindenhof-Theater habe man über den Tatort gesprochen – auch deshalb, weil mit Berthold Biesinger ein Ensemblemitglied den Dorfarzt spielte. Das Urteil der Kollegen sei von "leichtem Erstaunen" bis hin zu Empörung gegangen" berichtet Ott.

Franz-Xaver Ott ist empört.
Franz-Xaver Ott ist empört. Foto: Wolfgang Schmidt
Franz-Xaver Ott ist empört.
Foto: Wolfgang Schmidt

Als »Theatermensch« traue er sich durchaus ein Urteil zu, sagt Ott und spricht von einer ›antiquierten Erzählweise, die vielleicht vor 30 Jahren noch Relevanz gehabt‹ habe. Es sei weder das Drehbuch, noch die Umsetzung durch Regie und Besetzung gelungen. Die Menschen in der Region Schwäbischen Alb würden klischeeartig dargestellt. »Ich verstehe die Empörung auf der Alb«, sagt Ott.

»Was will das Fernsehen und der Tatort?«, fragt Ott und beantwortet seine Frage selbst mit »Unterhaltung und Einschaltquote«. Dennoch helfe es nicht, Klischee runterzuleiern. Er empfiehlt den Tatort-Autoren in anderen Ländern Nachhilfe zu nehmen. »Die Krimis in Norwegen, Schweden und Dänemark haben ein anderes Niveau. Gut geklaut ist halb gewonnen«, sagt Ott. »Als Drehbuchautor oder Journalist verfällt man zu oft in einfache Erzählstrukturen«, sagt Ott. »Man sieht das Phänomen auch im Journalismus. Da machen sich Leute in Stuttgart Gedanken darüber, wie die Leute auf dem Land denken. Und das klingt dann sehr fachmännisch, aber die Leute vom Land kommen nicht zu Wort«, analysiert Ott.

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Verstehen Sie die Empörung über den jüngsten Tatort im Lautertal?

Viele Szenen im jüngsten Stuttgarter Tatort spielten im Lautertal. Der Tennisclub Münsingen stellte zahlreiche Statisten für die Dreharbeiten und findet die Darstellung des Dorflebens völlig überzogen.

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Stattdessen müsse man sich folgende Fragen stellen: Was ist der Unterschied zwischen Stadt und Land? Warum gehen die Leute weg? Gibt es das repressive Umfeld auf dem Dorf noch? Dann könne ein gutes Drehbuch herauskommen. Manchmal sei das Dorf ja auch toleranter, weil man beispielsweise »nicht nur das Phänomen Homosexualität sieht, sondern auch den Menschen dahinter« während es in der scheinbar so toleranten Stadt »Blasen« gebe, philosophiert Ott. Vielleicht sei das aber »auch nur eine Idealvorstellung«. Er selbst sei von der Alb nach Tübingen gezogen und habe gemerkt, das »weggehen manchmal auch nicht so einfach« sei. (GEA)