ENGSTINGEN-KLEINENGSTINGEN. Sein 75-jähriges Bestehen feiert dieses Jahr der Posaunenchor Kleinengstingen. Grund genug für die Bläsergruppe, die Teil der evangelischen Kirchengemeinde ist, diesen Geburtstag umfassend zu feiern. Bereits im September brillierte der Landesjugendposaunenchor mit einem Konzert auf hohem Niveau und einer enormer Bandbreite in der Blasiuskirche. Am Sonntag, 19. Oktober, folgt um 10.30 Uhr der musikalische Festgottesdienst.
Die Schrecken des Zweiten Weltkrieges waren endlich vorbei, die Menschen konnten die Gestaltung ihres Lebens wieder in die Hand nehmen. In der damals noch unabhängigen Gemeinde Kleinengstingen startete 1945 auch die kirchliche Jugendarbeit wieder mit Laienspielen, Altenfeiern oder Jugendlagern, ein Mädchen- sowie ein Jungmännerkreis wurde gegründet.
»Die Instrumente waren teilweise nur in Einzelteilen verfügbar«
Bei dessen jährlicher Generalversammlung beschlossen die werten Herren am 1. Januar 1950 die Gründung eines Posaunenchors, zum Vorstand wurde Karl Christner ernannt. Leider waren die Beteiligten nicht im Besitz von Instrumenten, deren Finanzierung zum Erwerb oder auch der Kauf von Noten waren ein großes Problem. So musste jedes Mitglied einen Betrag von 25 Pfennigen im Monat erbringen, außerdem konnte Wilhelm Baisch durchsetzen, dass das Opfer der Weltgebetswoche dem neuen Chor zugute kam. Ein Laienspiel brachte zudem 80 Deutsche Mark ein, sodass am 13. Mai 1950 ein Tenorhorn als erstes Instrument erworben werden konnte, das bis heute seinen Dienst tut.
»Hörte man unsere Herzen pochen oder waren das unsere Füße im Takt«
Zwei Leihinstrumente ermöglichten zumindest einfache Übungsstunden, weil sich immer zwei oder drei Personen ein Gerät teilen mussten. Ludwig Kurzenberger, der die Leitung des Chores übernommen hatte, konnte dann »durch glückliche Umstände« in Erfahrung bringen, dass vom ehemaligen Grafenecker Posaunenchor noch Instrumente vorhanden sein sollen. »Aber die waren einerseits in sehr schlechtem Zustand und teilweise nur noch in einzelnen Teilen tatsächlich verfügbar«, hatte Gründungsmitglied Erwin Glück in einer Chronik geschrieben.
Da nach Kriegsende und folgender Währungsreform so gut wie keine neuen Instrumente zu bekommen waren, erwarben die Kleinengstinger die Einzelteile, zwei ganze Rucksäcke voll. Und weil Grafeneck dringend Lebensmittel benötigte, wurden diese Teile durch Lieferung zweier Wagenladungen Kartoffeln be-zahlt. Ein Ebinger Musikhaus setzte sie zusammen und so hatte der Posaunenchor acht Instrumente zur Verfügung. 1950 absolvierte die Gruppe im Juni ihren ersten Auftritt. Zwar nicht in der Kirche, die gerade renoviert wurde oder auch nicht im Anbau des Gotteshauses, der als Gemeindesaal genutzt wurde, dafür aber zu klein war, sondern in der Turnhalle.
Die Aufregung bei allen Beteiligten einschließlich den Gemeindegliedern war hoch. »Hörte man unsere Herzen pochen oder waren das unsere Füße, die den Takt intensiv mitschlugen«, soll einer der Spieler im Anschluss gefragt haben.
Auch die Grafenecker wurden nicht vergessen, zum zweiten Advent 1950 fuhren alle Musiker auf ihren Rädern mit den wertvollen Instrumenten auf den Rücken in die Nachbargemeinde um musikalisch Danke zu sagen.
»Kein Blasmusikabend, aber auch nicht nur kirchliche Musik«
Einzig Wilhelm Spohn durfte mit seinem großen Bass als Sozius auf dem Motorrad des Dirigenten mitfahren. Und so kam es, wie es kommen musste. Eine Kurve, Glatteis und ein Fahrer, der ein kleines bisschen zu viel Gas gab und schon saßen die beiden Musikusse auf der Straße und das kostbare Musikwerkzeug bekam seine ersten Beulen.
Nach Kurzenberger übernahm Ernst Spohn für kurze Zeit das Dirigat, bevor 1955 Wilhelm Etter die Leitung übernahm, der diese 1968 an Manfred Magel weitergab, der den Dirigierstab für dreißig Jahre schwang. 1999, als Wolfgang Tröster die Leitung übernahm, wurde auch mit der Jungbläser-Ausbildung begonnen, der Start mit über 20 Kindern übertraf alle Erwartungen. Seit 2011 ist Markus Neumann Dirigent, er wird seit letztem Jahr von Amelie Bindewald unterstützt.
Im Laufe der Jahre fand der Chor neben seiner kirchlichen Tätigkeit wie Mitgestaltung und Umrahmung von Gottesdiensten oder Beerdigungen sowie dem Musizieren an Adventssonntagen auf Plätzen und Straßen in Engstingen auch Platz in der bürgerlichen Gemeinde. So spielt er etwa alljährlich zum Fassanstich der Sauerbrunnenhockete, beim Maibaum-Aufstellen oder bei der Gedenkfeier am Volkstrauertag.
Aktuell sind 18 Musiker aktiv, zwei Jungmusiker werden ausgebildet. Am Sonntag wird der Posaunenchor gemeinsam mit der Gemeinde bei einem musikalischen Festgottesdienst zum Thema »Gott ist gegenwärtig« nach dem gleichlautenden Lied von Gerhard Tersteegen und anschließendem Ständerling mit Fingerfood und Getränken seinen Geburtstag feiern, langjährige Musiker werden vom Bläserbezirk Reutlingen des Evangelischen Jugendwerks geehrt.
Los geht’s am Sonntag um 10.30 Uhr in der Blasiuskirche. »Einen Blasmusik-Konzertabend können und wollen wir nicht gestalten«, meint der Vorsitzende der Kirchengemeinde Jörg Stooß und versprach: »Aber unsere Lieder am Sonntag werden nicht nur kirchlicher Art sein.«
Jetzt hoffen sie natürlich auf viele Kirchgänger und treue Fans, die beim Fest dabei sein wollen und die Bläser kräftig unterstützen. (GEA)

