Logo
Aktuell Leute

Pfarrer Breitling verabschiedet sich nach zehn Jahren aus Kohlstetten

Pfarrer Martin Breitling verlässt Kohlstetten, einen Nachfolger wird es nicht geben. Damit enden zehn Jahre Pfarrer Breitling und 500 Jahre Kirchengeschichte in Kohlstetten.

Pfarrer Martin Breitling (rechts) mit Kirchengemeinderat Rudi Giest-Warsewa am Kohlstetter Tisch.
Pfarrer Martin Breitling (rechts) mit Kirchengemeinderat Rudi Giest-Warsewa am Kohlstetter Tisch. Foto: Steffen Wurster
Pfarrer Martin Breitling (rechts) mit Kirchengemeinderat Rudi Giest-Warsewa am Kohlstetter Tisch.
Foto: Steffen Wurster

ENGSTINGEN-KOHLSTETTEN. Ein Treffen am Kohlstetter Tisch bei strahlendem Sonnenschein vorm Gemeindehaus in Kohlstetten. Hier, an seinem Lieblingsplatz, zieht der scheidende Kohlstetter Pfarrer Martin Breitling Bilanz. Zehn Jahre war der Seelsorger hier auf der Alb, jetzt geht er in den Knast: Er wird Gefängnisseelsorger in Ulm.

In Kohlstetten endet nicht nur die Ära Breitling, der 39. und letzte Pfarrer in Kohlstetten. Da es keinen Nachfolger geben wird, wird Kohlstetten nach rund 500 Jahren, seit der Reformation, kein evangelisches Pfarramt mehr haben, die Gemeinde wird nun von Kleinengstingen aus betreut. »Ein historischer Einschnitt«, bedauert Breitling, »dessen Bedeutung nicht allen bewusst ist.« Denn ein Pfarrer prägt die Gemeinde, und die Gemeinde prägt ihn.

Geschichte, Glaube und Gemeinschaft

Wie hat Breitling seine Gemeinde geformt? Als Pfarrer, Mensch und Kohlstetter hat Breitling im kleinsten Engstinger Teilort viel angestoßen. Nicht nur den Kohlstetter Tisch unter der weit auskragenden Kastanie, in der Ortsmitte - ein Platz zum Schwätzen, für den Kaffee aus der Thermoskanne oder für ein selbst gebrautes Bier aus dem Lädle gleich um die Ecke. Beim Brauen hilft der Pfarrer immer wieder selbst, Mönchstraditionen fortsetzen, wie er einmal sagte. Kirchengemeinderat Rudi Giest-Warsewa beschreibt seinen Pfarrer frei nach Thomas von Aquin: Dem Mensch sind von Gott die Vernunft und die Hände gegeben. Und mit seiner Hände Arbeit war Breitling nie knauserig. Beim Aufstellen des Tischs, bei der Renovierung der Friedhofsmauer oder bei der Installation des Gedenkorts an die drei in Grafeneck ermordeten Kohlstetter Behinderten: Den Pfarrer traf man eher im Blaumann als im Talar.

Martin Breitling brachte immer wieder Kunst in die Kirche.
Martin Breitling brachte immer wieder Kunst in die Kirche. Foto: Steffen Wurster
Martin Breitling brachte immer wieder Kunst in die Kirche.
Foto: Steffen Wurster

Anna Barbara Frick, Christian Failenschmid und Christian Schnitzer gingen von Kohlstetten ins Gas nach Grafeneck. Der Besuch der Gedenkstätte gehört zum Konfirmandenunterricht, die Konfis stellten dann auch die Frage, ob Kohlstetter ebenfalls Opfer waren. Die Nachforschungen begannen, die Namen wurden recherchiert, 60 Menschen fuhren mit dem Pfarrer nach Grafeneck, am Volkstrauertag wird jetzt ihrer gedacht, mit den Bronzefiguren von Jochen Meyder bleibt etwas Greifbares. Für Breitling das anschaulichste Beispiel, wie aus dem Ort heraus die Brücke zur Religion geschlagen werden kann. »In der Bibel, im Glaubensbekenntnis, geht es nicht um die Erschaffung der Welt. Es geht um den Menschen als Kind Gottes, um seine Würde und um Verantwortung. In Grafeneck wurde die göttliche Würde getötet.« Die Kirche habe etwas zu sagen, wenn »Alles für Deutschland« - die Parole der SA - von AfD-Politikern bedenkenlos zitiert werde.

Kirbe, Kunst und Schätzle mit Spätzle

In Kohlstetten wird der Pfarrer eine Lücke hinterlassen. Seine teils provokativen, oft humorvollen Predigten wurden geschätzt. Dass aus der Kirbe wieder eine richtige Kirchweih wurde, geht aufs Engagement von Breitling und dem Lädle zurück, »Kirbe ohne Kirche geht doch nicht«. Leben und Religion zusammenzuführen, ist eines der Anliegen von Breitling. Die Unterscheidung zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen, verschiedenen Religionen oder Konfessionen sei überholt. »In der Kirche oder nicht, man kann Menschen in die Gemeinde holen.« Vielleicht beim »Schwätzle mit Spätzle« oder bei den wiederkehrenden Ausstellungen mit Künstlern aus der Region in der Kirche.

Das Bierbrauen im Lädle erinnerte den Pfarrer an mönchische Traditionen.
Das Bierbrauen im Lädle erinnerte den Pfarrer an mönchische Traditionen. Foto: Steffen Wurster
Das Bierbrauen im Lädle erinnerte den Pfarrer an mönchische Traditionen.
Foto: Steffen Wurster

Das Gefängnis ist eine andere Welt

Jetzt geht's in den Knast, nach Ulm, eine ganz andere Welt, mit einer 50 Prozent-Stelle, daneben wird Breitling weiter an der Berufsschule in Münsingen lehren. Was in Ulm auf ihn zukommen wird, kann er noch nicht sagen. Einen Schwerpunkt wird er wohl auf die Häftlinge in Untersuchungshaft legen. Auch wenn's nicht so klingt, die U-Häftlinge müssen schwierigere Bedingungen ertragen als später im Regelvollzug. Keine Besuche, keine Arbeit, von der gewohnten Umgebung und der Familie weg in einer Einzelzelle - der Seelsorger wird zu einem der wenigen Ansprechpartner. Seine künftige Aufgabe unterschätzt er nicht, »da ist niemand aus Versehen«. Aber auch ein Sexualstraftäter bleibe letztlich ein Mensch. Im Regelvollzug gibt es andere Möglichkeiten in der recht offenen Ulmer Strafanstalt, vielleicht sogar eine Radsportgruppe, falls der begeisterte Radler Breitling Vollzugsbeamte findet, die mitstrampeln.

Mit dem Radfahren begann auch die Zeit in Kohlstetten, der Ort war Breitling, als die Stelle ausgeschrieben war, von seinen Touren her bekannt. Und damit endet es ein Stück weit, das Kohlstetter Gotteshaus wird aktuell zur Radwegekirche. Martin Breitling wird der Gemeinde treu bleiben, da der Pfarrplan keinen Nachfolger vorsieht, kann die Familie im Pfarrhaus bleiben. Wäre auch schade um den schönen Garten. (GEA)