PFRONSTETTEN. Nico ist 19 Jahre alt und hat gerade seinen Führerschein gemacht. Gelernt und geübt hat er bei der Paravan-Fahrschule in Pfronstetten-Aichelau. Denn Nico ist schwer behindert, auf den Rollstuhl angewiesen und kann seine Arme kaum bewegen. Dass er jetzt ein Stück mehr am Alltagsleben teilnehmen kann, verdankt er einem einzigartigen Unternehmen: Paravan - der Name steht für Paraplegie und Van für Auto - hat sich darauf spezialisiert, Behinderten Zugang zur Mobilität zur verschaffen.
Firmenchef Roland Arnold hat seine Geschichte und die Entwicklung von Paravan in einer Autobiografie niedergeschrieben. »Genial gezündet - Der Gamechanger der Fahrzeugindustrie mit meiner Drive-by-Wire-Erfindung« heisst das Buch, das jetzt im Buchhandel erhältlich ist.
Am Anfang stand eine zufällige Begegnung. Arnold half auf einem trostlosen Autobahnparkplatz in strömendem Regen einem Mann zurück in seinen Rollstuhl. Und dann gemeinsam mit dessen Frau in den Beifahrersitz. Das müsste doch auch anders gehen, meinte Arnold. Rampen zum Einfahren gäbe es, wusste die Ehefrau, aber dann säße ihr Mann wie ein Gepäckstück im Rückraum. Das Erlebnis ließ Arnold nicht los, der Gedanke, Behinderten selbstbestimmt das Fahren zu ermöglichen, war geboren. Bis Nico seinen Führerschein machen konnte, war es aber noch ein weiter Weg.
Nico rollt in das Paravan-Fahrschulauto. Der Rollstuhl wird per Joystick gesteuert, der sitzt genau da, wo er noch hinlangt, heben kann er seine Arme nicht. Den Rollstuhl dockt er routiniert dort ein, wo sonst der Fahrersitz steht. Den Kleinbus steuert er wie den Rollstuhl mit einem Stick: Hebel nach hinten bedeutet Gas, nach vorn wird gebremst, links und rechts sind selbsterklärend. Alle anderen Funktionen werden per Sprachsteuerung bedient, vom Blinker bis zum Scheibenwischer. Selbst die Sonnenblende: »Nico könnte nicht nach oben fassen«, erklärt Arnold.
Hartnäckigkeit zahlt sich aus
Als der Wunsch entstand, Behinderten zu helfen und daraus eine Geschäftsidee zu machen, stand Arnold noch am Anfang seines Berufslebens. Haupteinnahmequelle war eine Reifen- und Reparaturwerkstatt, im Sommer ging es mit dem eigenen Mähdrescher in die neuen Bundesländer zum Ernteeinsatz. Bei der Rückfahrt aus dem Osten kam es zu besagter Begegnung auf dem Parkplatz. Zufall? Ohne seine umtriebige Art, ständig unter Strom, wäre es zu der Initialzündung für ein neues Unternehmen auf jeden Fall nicht gekommen.
Hartnäckig ist Arnold auch. Wie überzeugt man Banken, die eigenen Mitarbeiter, den Gemeinderat, der Gewerbeflächen zur Verfügung stellen sollte, von der Idee, dass ein gelernter Kfz-Mechaniker und Nebenerwerbs-Erntehelfer etwas auf die Beine stellen könnte, dass es so bisher noch nirgends gab? Wie das gelang, kann man in »Genial gezündet« nachlesen. Shirley Michaela Seul hat aus Arnolds Erinnerungen eine süffig zu lesende Story gemacht, mit vielen überraschenden Wendungen. Und reich bebildert, Familie Arnold und der Paravan-Stab haben tief in Foto-Kisten und Zeitungsarchiven gewühlt, schon die Bilderstrecke ist ein lokal- und wirtschaftshistorischer Gewinn.
Anleitung zum Durchhalten
Arnold will sich nicht selbst beweihräuchern: »Ich möchte jungen Menschen mit Ideen Mut machen, hartnäckig zu bleiben und auch ungewohnte Wege einzuschlagen«. Eigentlich sollte eine sachlich-schlichte Chronik des Unternehmens entstehen, für das Umfeld, für Geschäftspartner. Aber Paravan ist ohne Roland Arnold eben nicht zu denken, aus der Chronik wurde schnell die Biografie.
»Etwas machen, was es so noch nie gab«: Ein Auto mit dem Joystick, per Drive-by-Wire, über den Draht, nicht nur steuern, sondern komplett bedienen, das Ganze erdacht von einer kleinen Werkstatt auf der Alb: Arnold musste mit dem Kopf nicht nur durch eine Wand. Die Technik musste entwickelt werden, es brauchte Straßenzulassungen für die völlig neue Konzeption, der TÜV musste mitspielen - wie's gelang, kann man unter anderem in den Kapiteln »Verbündete im Kraftfahrtbundesamt« oder »Eine neue Dimension: Space Drive« nachlesen. »Widerstand als Motivation«, textet Arnold.
Es hat sich gelohnt, nicht nur für die Familie Arnold, die ein internationales Unternehmen aufgebaut hat. Der frisch gebacken Führerscheininhaber Nico lenkt den Bus aus der Garage auf dem Paravan-Gelände, eine Hand am Joystick. Das Lenkrad bewegt sich wie von Geisterhand, die Rundstrecke durch Aichelau bereitet ihm keinerlei Probleme. Jetzt soll schnell ein eigener, auf ihn maßgeschneiderter Paravan her. »Es ist ein Stückchen Freiheit«, sagt der junge Franke. Die er nicht mehr missen möchte.
Die Geschichte geht weiter
Die Paravan-Fahrzeug sind mittlerweile straßenerprobt. Und durch dreifach redundante, dreifach vorhandene System auch übers Kabel absolut sicher, denn wer keine Hände hat, kann nicht ins Lenkrad eingreifen, wie es bei Fahrzeugen, die mehr oder weniger autonom fahren, verlangt wird.
Die Geschichte von Paravan ist noch lange nicht zu Ende. Roland Arnolds Söhne Kevin und Luca schlagen mit ihrer eigenen Firma »Arnold Next G« ein neues Kapitel in der Familiengeschichte auf. Die Technologie der beiden Brüder bringt die Grundlagen für wirklich autonomes Fahren mit, das - ähnlich wie im Behindertenbereich - ohne einen menschlichen Aufpasser hinterm Steuer auskommt. »Wir sind 20 Jahre voraus«, sagt Kevin Arnold, »wir garantieren Redundanz, Sicherheit und Verfügbarkeit in jeder Situation.« So wie herkömmliche Fahrzeuge behindertengerecht umgebaut werden können, können die Arnold-Systeme fürs autonome Fahren in den Pkw, Lkw oder sonstige Logistik-Fahrzeuge eingebaut werden. »Warum auf Herstellerpläne warten, wenn die Lösung heute schon verfügbar ist?«, fragt Kevin Arnold. (GEA)
Das Buch
Die Autobiografie »Genial gezündet - Der Gamechanger der Fahrzeugindustrie« ist im Härter-Verlag, Reutlingen, erschienen, hat 320 Seiten und kostet gebunden 24 Euro. (wu)