GAMMERTINGEN. Gewerbebetriebe dürfen sich freuen, für sie fällt vom kommenden Jahr an deutlich weniger Grundsteuer an. Das ist allerdings keine Gammertinger Besonderheit: Gewerbeflächen haben generell einen niedrigeren Bodenrichtwert als bebaute Wohngrundstücke. Sehr viel teurer wird es für Besitzer unbebauter Bauplätze, auf alle anderen Immobilienbesitzer kommen Veränderungen zu, nach oben oder nach unten.
Der Gammertinger Gemeinderat musste sich, wie alle Gemeindeparlamente, noch vor dem Jahresende mit der grundlegend neuen Ausgestaltung der Grundsteuer befassen. Entscheiden kann der Rat nur über eine Stellschraube, den Hebesatz. Mit diesem Schräubchen musste Cornelius Fischer vom Fachbereich Finanzen im Gammertinger Rathaus ein Ziel erreichen: Die Grundsteuerreform soll für die Kommunen »aufkommensneutral« sein, so will es die Landesregierung. Die Gemeindekassen sollen weder belastet noch über Gebühr gefüllt werden.
Die Grundsteuern sind eine wichtige Einnahmequelle. 937.999 Euro hat Gammertingen durch Grundsteuer A und Grundsteuer B im Jahr 2024 eingenommen. 959.526 Euro sollen es nach dem neuen Verfahren werden, mit 2,3 Prozent im Plus sehr nahe an der Aufkommensneutralität. Wobei Fischer noch nicht alle Daten zur Verfügung stehen und er mit einer fundierten Prognose arbeitet. Das leichte Plus sei daher auch ein kleines Sicherheitspolster, sagte er, endgültig abgerechnet wird voraussichtlich Mitte nächsten Jahres. Dann könnten die Hebesätze nachjustiert werden.
Niedrige Bauplatzpreise, hohe Hebesätze
Was ändert sich? Die grundlegende Veränderung ist, dass künftig nur noch Quadratmeter besteuert werden, egal was auf dem Grundstück steht. Was der Quadratmeter wert ist, bestimmt der Bodenrichtwert, den haben die Gutachterausschüsse landauf, landab ermittelt, er kann über die Plattform BORIS des Landes flurstücksgenau abgefragt werden kann. Was letztendlich fällig wird, bestimmt dann der Hebesatz der Kommune. Fischer hat mit verschiedenen Werten gerechnet, mit einem Hebesatz von 600 Prozent sowohl für die Grundsteuer A (land- und forstwirtschaftliche Flächen) als auch für die Grundsteuer B (bebaute und unbebaute Flächen) hat er sein Ziel erreicht. Das klingt hoch, auch im Vergleich zu anderen Gemeinden, aber als Maßstab taugten die Hebesätze nicht mehr, machte Bürgermeister Andreas Schmidt klar, auch nicht zur Vergangenheit. Zuerst kommen die Bodenrichtwerte und die liegen in Gammertingen eben sehr niedrig. Ein hoher Hebesatz bedeutet also eher, dass hier das Bauland noch günstig ist.
Aufkommensneutral für die Kommune bedeutet nicht aufkommensneutral für den Steuerzahler. Cornelius Fischer hatte einige interessante Beispielrechnungen mitgebracht. Als Faustformel gilt: Große Grundstücke werden eher teurer, kleine können günstiger werden - wenn der Bodenrichtwert niedrig ist. Bei einem Grundstück im Ortskern eines Teilorts könnte die Steuerlast sinken: Bei einem Bodenrichtwert von 40 Euro und einer Grundstücksgröße von 1.328 Quadratmetern - die Durchschnittsgröße läge in Gammertingen eher bei 700 Quadratmetern, ergänzte Kämmerer Siegfried Hagg - sinkt die Grundsteuer auch mit dem Hebesatz von 600 Prozent von 364 auf 289 Euro. Bei einer ähnlich großen Fläche - 1.206 Quadratmeter -, aber einem Bodenrichtwert von 85 Euro im Neubaugebiet eines Teilorts steigt sie dagegen von 356 auf 560 Euro. Beim Beispiel einer Wohnung in Gammertingen halbiert sich der Zahlbetrag dagegen um mehr als die Hälfte. Freuen können sich Gewerbetreibende. Für ein 5.000 Quadratmeter-Grundstück waren bisher 3.957 Euro fällig, künftig werden es 936 Euro sein. Grund ist der niedrige Bodenrichtwert von 30 Euro. Diese Einsparung müssen natürlich die anderen Steuerzahler auffangen.
Gewinner und Verlierer
Es wird also Gewinner und Verlierer geben: Aber daran könne der Gemeinderat nichts ändern, sagte Feldhausens Ortsvorsteher Hans Steinhart. Von Gerechtigkeit sei man weit weg, für die Gemeinderäte sei das ärgerlich und eine undankbare Vermittlungsaufgabe gegenüber den Bürgern, ergänzte Gerhard Jaudas.
Für die Besitzer von »unbebauten Flächen« wird es auf jeden Fall richtig teuer. Fischer hat einen Anstieg von 74 auf 608 Euro in guter Lage mit einem Bodenrichtwert von 95 Euro errechnet. Das ist im System durchaus so gewollt, Bauland ist knapp, Innenverdichtung heißt die Devise, »Enkelgrundstücke« oder beleuchtete Wiesen sollten genutzt werden. Das sei ein spürbarer Anreiz für Bebauung, meinte Wolfgang Lieb. Deswegen verzichtete der Gemeinderat vorerst auch auf die Einführung der Grundsteuer C. Mit der können leerstehende Bauplätze noch deutlich höher belastet werden, der Druck, zu bauen oder zu verkaufen, könne noch einmal erhöht werden. Die Kommunen im Land sind bei der Nutzung des Folterinstruments generell noch zurückhaltend. Gerade einmal drei der 1.101 Kommunen in Baden-Württemberg führen die Grundsteuer C ein, schreibt die Stuttgarter Zeitung, darunter Tübingen. Gammertingen will erst sehen, wie sich die Reform auswirkt. Der Verwaltungsaufwand für die Einführung der Grundsteuer C sei auch nicht zu unterschätzen, meint Fischer.
Rat Karl Endriß wies darauf hin, dass es die Landwirte über dem Schnitt belastet werden, und zwar doppelt: Die Grundsteuer A steigt und die bewohnten Höfe mit teils großen Gärten wandern in die Grundsteuer B. Von der oft versprochenen Entlastung der Bauern sei hier nichts zu spüren. (GEA)
Grundsteuerberechnung
Mit den Hebesätzen der Gemeinden liegt der letzte Baustein vor, um die eigene Grundsteuer zu berechnen. Eine Beispielrechnung findet man auf der Webseite des Finanzministeriums des Landes (fm.baden-wuerttemberg.de) unter »faq-zur-grundsteuer«. Grundstücksflächen werden auf dem Grundbuchauszug oder dem Grundsteuerwertbescheid ausgewiesen, die Bodenrichtwerte stehen flurstückgenau im Bodenrichtwertinformationssystem Baden-Württemberg – BORIS-BW. (wu)