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Nach Sichtung in Trochtelfingen: Der Wolf und die 14 Fakten

Nach der Sichtung in Trochtelfingen beantwortet der GEA die wichtigsten Fragen rund um das berühmt-berüchtigte Raubtier in der Region.

Das alte Märchen vom bösen Wolf steckt immer noch tief in den Köpfen. Foto: Ondrejprosicky,T.den_team – stock.adobe.com
Das alte Märchen vom bösen Wolf steckt immer noch tief in den Köpfen.
Foto: Ondrejprosicky,T.den_team – stock.adobe.com

TROCHTELFINGEN/REUTLINGEN. Am 25. Oktober läuft ein Wolf in Trochtelfingen in eine Fotofalle, im Juli wurde ein Tier von Jägern in St. Johann und Lichtenstein beobachtet und gefilmt. Ist die Albwelt damit in der Hand der berühmt-berüchtigten grauen Räuber? Jetzt tun sich eine Menge Fragen auf. Wird die Region zum Wolfsland? Was tun, wenn einem ein Raubtier begegnet? Wie gefährlich ist »Isegrim«? Und wie gehen Politik und Naturschutz mit ihm um? Dürfen Schäfer ihn schießen? 

Wie viele Wölfe gibt es im Land?

Die FDP-Landtagsfraktion fordert von der Landesregierung endlich Klarheit über die Zahl der Wölfe im Land. Bestätigt sind die drei sesshaften Rüden im Schwarzwald, der Odenwälder Wolf ist wieder verschwunden. Dazu kommen die Wandervögel, die sich wenig um Grenzen scheren, nur selten warten, bis die Behörden vor Ort sind – und nicht immer Spuren hinterlassen. Die Grauzone ist so grau wie der Wolfspelz: Der Wildtierbeauftragte des Landkreises, Rupert Rosenstock, hält es für wahrscheinlich, dass viele der im Schwarzwald bestätigten Wölfe aus den Alpen oder den Karpaten kommen und vorher über die Alb marschiert sind. Die FDP wird auf ihre Frage also eher keine klare Antwort erhalten.

Eines oder mehrere Tiere?

Ist der Wolf, der Ende Juli in St. Johann und Lichtenstein gesehen wurde, nun in Trochtelfingen aufgetaucht? Möglich ist das, »das ist ja nur einen Spaziergang weit entfernt«, sagt Carola Walter vom Umweltministerium. Einen Beweis gibt es aber nicht, das geben auch die Fotos nicht her – und DNA-Spuren gibt es in beiden Fällen nicht. Rosenstock geht jedoch davon aus, dass die Tiere weitergezogen sind. Meldungen über gerissene Rehe oder Schafe gibt es nicht: »Und irgendwas müssen sie ja fressen …«

Wie steht es um die Jagd?

Eine zünftige Wolfshatz wird es noch lange nicht geben, Ise-grimm fällt im Land nicht unter das Jagdrecht beziehungsweise das Jagd- und Wildtiermanagementgesetz (JWMG) – in Sachsen und Niedersachsen schon. Aber auch dort hat er keine Jagdzeit, Feuer frei heißt es nur bei Problemwölfen. Eigentlich bietet das JWMG den richtigen Rahmen, meint zumindest der Landesjagdverband: Das Gesetz hat als Ziel gesunde und stabile heimische Wildtierpopulationen unter Berücksichtigung gesellschaftlicher, ökologischer und ökonomischer Belange.

Ein Wolf
Ein Wolf. Foto: Patrick Pleul/Archiv
Ein Wolf.
Foto: Patrick Pleul/Archiv

Wie vorbereitet ist die Region?

Der Wildtierbeauftragte Rupert Rosenstock hat einen weiteren Blick als die amtliche Statistik. Er geht allen Hinweisen von Schäfern, Jägern und Naturfreunden nach, die glauben, einen der grauen Räuber gesehen zu haben und wird auch schon ohne klaren Beweis aktiv: »Wenn sich Hinweise in einer Gegend verdichten, informieren wir Schäfer und Jäger. Dann können erste Maßnahmen eingeleitet werden.« Rosenstock geht es darum, sein Informationsnetzwerk, das er seit Jahren aufbaut, dichter zu knüpfen. Mit der Zeit ergibt sich aus der Fülle an Daten wie bei einem Puzzle ein recht klares Bild über die Verbreitung unserer Wölfe.

Was bringen DNA-Nachweise?

Sicherer als ein Foto ist ein DNA-Nachweis. Am besten klappt das mit Kot, denn Genspuren an einem Riss verschwinden schneller, als der Krimi-Fan vermutet. Rosenstock hat sein Köfferchen dabei, damit nimmt er Abstriche mit dem Wattestäbchen an gerissenen Tieren – am besten von Speichel dort, wo der Täter zugebissen hat. Je schneller die Probe genommen werden kann, desto besser. Rosenstock bittet daher darum, ihn möglichst schnell zu informieren. Und den »Tatort« nicht zu kontaminieren: »Abstand halten und den Hund nicht ranlassen.«  

Dürfen Schäfer schießen?

Der niedersächsische Wanderschäfer Wendelin Schmücker, bereits mehrfach Wolfsgeschädigter, wollte seine Herde mit einer Flinte Kaliber 12, gerne mit nicht-tödlichen Gummigeschossen geladen, schützen. Daraus wird aber nichts, urteilte das Verwaltungsgericht Lüneburg. Ein Interesse des Klägers, Wölfe zum Schutz der Herde mit einer Schusswaffe zu töten oder zu verletzen, sei »nach der derzeitigen Rechtslage nicht anzuerkennen«. Wölfe sind nämlich streng geschützt, aber eben nicht Schafe und ihre Lämmer sowie andere Nutztiere.

Sind Wölfe gefährlich für Menschen?

Allzu viele Sorgen muss man sich nicht machen, Angriffe kommen aber vor. Eine Studie des Norwegischen Instituts für Naturforschung (NINA) dokumentiert 491 Wolfsangriffe auf Menschen zwischen 2002 und 2020, davon endeten 26 für den Menschen tödlich – weltweit. Ein genauer Blick lohnt: In 380 der Fälle waren die Angreifer tollwütig – und diese Krankheit ist in Europa weitgehend verschwunden. Angriffe gesunder Tiere sind selten, gerade einmal 68 gab es global in 20 Jahren. Und interessanterweise vor allem in Ländern, bei denen man nicht gleich an Wölfe denkt: Spitzenreiter sind der Iran (42) und Israel (10). Die Autoren der Studie vermuten, dass dort, wo wenig Beute in der Natur zu finden ist, die Wölfe rund um Dörfer Essenreste sammeln oder Haustiere erbeuten – der Mensch kann dann durchaus ins Beutespektrum »rutschen«. Europäer sind da schon sicherer: Die Studie zählt sieben Angriffe, keiner davon tödlich, auf: vier in Polen und je einer in Italien, dem Kosovo und Nordmazedonien.

Wird die Alb amtlich Wolfsgebiet?

Ob es sich bei den jüngsten Sichtungen um einen oder mehrere Tiere handelt, ist von mehr als akademischem Interesse. Wenn ein Wolf sich länger als sechs Monate niederlässt, wird sein Revier zum »Fördergebiet Wolfsprävention«. Für Tierhalter hat das Konsequenzen: Schutzzäune und Herdenschutzhunde werden gefördert. Schäden werden aber nur noch erstattet, wenn Schutzmaßnahmen auch durchgeführt wurden. Trochtelfingen liegt außerhalb der beiden Fördergebiete Schwarzwald und Odenwald. Da weder im Juli in St. Johann noch jetzt in Trochtelfingen DNA-Spuren vorliegen, wird die Alb nicht so schnell Fördergebiet.

Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte.

Trotz der nahen Verwandtschaft gibt es optische Unterschiede zwischen Hund und Wolf. Die Beine sind länger, das macht den Körperbau »quadratischer«, der Schädel sieht anders aus, die Ohren sind kleiner und stehen immer. All das ist aber relativ, die Forstliche Versuchsanstalt in Freiburg (FVA) ist sehr kritisch bei der Auswertung von Fotonachweisen. In Trochtelfingen hat sich die FVA eine Woche Zeit genommen. Das Foto war recht verpixelt, die FVA kam erst nach Rücksprache mit dem Jagdpächter, einem Größenvergleich mit einer Salzlecke und Aussagen zum Umfeld zu dem Schluss: Ja, es ist ein eindeutiger, also ein »C1-Nachweis«. Die Größe ist oft ein wertvolles Indiz: »Wenn mir einer von einem Tier so groß wie ein Fuchs erzählt, war’s auch ein Fuchs«, hat Rosenstock gelernt.

Wo taucht der Wolf auf?

Wer genau wissen will, wo sich der Wolf in Baden-Württemberg so herumtreibt, kann das beim Umweltministerium erfahren. Das hat eine landesweite Übersicht mit bestätigten Wolfsnachweisen (C1-Nachweise) ins Netz gestellt, einfach nach »Wolfsnachweise Baden-Württemberg« suchen.

Sind Mischlinge aggressiv?

Wolf-Hund-Hybriden sollen gefährlicher sein als reinrassige Wölfe. In Italien kreuzen sich Hund und Wolf fleißig, wohl wegen der großen Zahl wilder Hunde. Es gibt aber keine Belege, dass Mischlinge per se weniger ängstlich oder aggressiver sind. Falls eine verwilderte Hündin Menschenbindung mitbringt, könnte sie das ihren Welpen vermitteln, vermutet Rosenstock.

Sind Hunde gefährdet?

Hunden an der Leine oder, wie es so schön heißt, im Einflussbereich von Herrchen oder Frauchen dürfte nichts passieren, sagt Rosenstock. Wölfe sind eher scheu, halten Abstand und gehen auch Beißereien mit den »Verwandten« eher aus dem Weg.

Wann schützen Weidezäune?

Wenn Wolfsverdacht besteht, sollten Weidetierhalter das ernst nehmen, mahnt Rosenstock, schon aus Solidarität mit den Kollegen: »Wenn ein Wolf gelernt hat, einen ungeladenen Weideschutzzaun zu überwinden, geht er auch durch den geladenen.« Wenn’s dagegen einmal richtig funkt am Elektrozaun, merkt er sich das. Rechtzeitig vergrämen und den Wölfen früh deutlich machen, wo sie nichts zu suchen haben, sei daher ein wichtiger Schritt.

Ein Wolf kommt selten allein.

»Brüderlichkeit herrscht unter den Wölfen. sie gehen in Rudeln«, dichtete Hans Magnus Enzensberger. So eine Gruppe muss sich aber erst mal finden, denn wandernde Jungwölfe beiderlei Geschlechts müssen sich treffen und einen Bund eingehen. Das kann dauern, die drei Schwarzwaldrüden warten schon jahrelang auf weibliche Gesellschaft auf ihren Streifzügen. Es besteht aber Hoffnung für die Junggesellen: Denn Wölfinnen gehen genau so gern und weit auf Wanderschaft. (GEA)

Wo können gesichtete Wölfe gemeldet werden?

Hinweise zu Wolf und Luchs (getötete Tiere , Kot, Spuren, Sichtungen) nehmen der Wildtierbeauftragte Rupert Rosenstock (0172 76 22 466) und die Forstliche Versuchsanstalt (0761 4018 274 sowie 0173 60 41 117 – Notfallnummer) entgegen. Oder per E-Mail an info@wildtiermonitoring.de. (GEA)