SONNENBÜHL/GOMADINGEN/MÜNSINGEN.. Einmal wöchentlich, immer montags, macht sich der lokale Wetter-Experte Roland Hummel auf den Weg ins Große Rinnental in Sonnenbühl, um die Daten an seiner Klimastation abzulesen. Gestern hatte er dabei ein Déjà-vu, das auch für ihn überraschend kam, wie er einräumt. Um die Messstation hatte sich ein etwa ein Meter tiefer See gebildet - und das, obwohl sich die Regenfälle nach den Massen am Freitag und Samstag am Sonntag zumindest in Sonnenbühl sehr in Grenzen gehalten hatten. Die Erklärung dafür liegt nicht nur in den vergangenen drei, vier Tagen, sondern ist im Kontext des gesamten Monats Mai zu sehen: Er war der nasseste seit Beginn der lokalen Wetteraufzeichnungen 1985 in Engstingen.
Dass er - deshalb das Déjà-vu - zur Messstation hätte schwimmen können, hat Hummel bisher genau ein Mal erlebt: Vor elf Jahren war das, und zwar ziemlich genau am selben Tag im Juni und unter denselben Vorzeichen der Großwetterlage. Auch damals war es eines der gefürchteten Mittelmeertiefs, auf deren Konto unter anderem auch die Jahrhunderthochwasserereignisse an Elbe und Ahr gehen. Damals kam es sogar noch etwas schlimmer: Der »See« im Rinnental war nicht nur, wie gestern, einen Meter, sondern sogar doppelt so tief. Hummel schickte dem GEA damals ein Foto, wie er im Schlauchboot zur Messstation paddelte.
Trockentäler verwandeln sich in Flüsse
Wie kommt es zu diesem Phänomen? Hummel verwendet zur Erklärung ein anschauliches Bild: Man nehme eine Wassertonne, die im unteren Teil Löcher hat. »Wenn man sie füllt, rieselt das Wasser durch die Löcher wieder hinaus. Diese Löcher sind die Flüsse im Albvorland«, sagt Hummel. Dieser Mechanismus funktioniert eine ganze Weile, aber nicht ewig. Füllt man pausenlos immer mehr Wasser nach, steigt der Füllstand der Tonne: »Das Wasser quillt über ihren Rand. Dieser Rand ist die Alb.« Im Gegensatz zu den vergangenen beiden Jahren war das Frühjahr ziemlich nass, wochenlang fiel so viel Regen, »dass der Boden völlig durchtränkt war und nichts mehr aufnehmen konnte«, erklärt Hummel. Die Folge: Dem Wasser bleibt nichts anderes übrig, als oberirdisch abzufließen. Mit der Folge, dass sich ehemalige Flusstäler wie das Rinnental, die schon vor Jahrtausenden trocken gefallen sind, zumindest vorübergehend wieder in Bäche verwandeln.
In den vergangenen Tagen ist also so viel Regen dazu gekommen, dass das Fass buchstäblich übergelaufen ist und sich die kritische Lage bis in die Höhenlagen ausgedehnt hat - auch wenn es, im Gegensatz zum Vorland, auf der Alb selbst nicht zu flächendeckenden Hochwasserlagen gekommen ist. Flächendeckend - und das macht das Wetterereignis so besonders - waren die Niederschläge am Freitag und Samstag: Nicht nur punktuell, sondern quer über die ganze Alb fielen allein am Freitag zwischen 60 und 70 Millimeter Regen pro Quadratmeter. Anschaulicher ist die Menge, wenn man die Maßeinheit wechselt: Ein Millimeter entspricht einem Liter pro Quadratmeter. Wer sehen will, wie viel Wasser am Freitag vom Himmel fiel, stellt einfach sechs große Gartengießkannen auf eine Fläche, die einen Meter lang und einen Meter breit ist.
Am Samstag kamen - ebenfalls so gut wie auf der ganzen Alb - weitere 20 bis 30 Liter pro Quadratmeter runter, bevor sich die Lage am Sonntag insofern änderte, als dass die Niederschläge nur noch sehr lokal waren, wie Hummel berichtet. Summa summarum bekamen die Alb-Gemeinden in den vergangenen Tagen rund 100 Liter Wasser pro Quadratmeter. Hummel dreht das Rechenspiel weiter: Auf die Fläche eines Quadratkilometers kommen dann hundert Millionen Liter - eine unvorstellbare Menge, die da im karstigen Untergrund der Alb die Vorratsspeicher füllt. Was da unten los ist, sieht Hummel ebenfalls an der Oberfläche. Auf den Sonnenbühler Straßen gab's zwar keine größeren Überflutungen, aber kleine Seen und Strömungen um Schachtdeckel haben schon gezeigt, »dass da Dampf auf dem Kessel und gewaltiger Druck in den Kanalsystemen ist«.
Diesem Druck zumindest kurzzeitig nicht standgehalten haben die Kanäle im Gomadinger Teilort Dapfen. Dort musste die Feuerwehr am Sonntagnachmittag zu zwei Einsatzstellen ausrücken. In die einstige Ölmühle war Wasser, das auf der Straße stand und nicht mehr abfließen konnte, eingedrungen. Die Gullys wurden gereinigt, damit war das Problem behoben. Im Badnauweg errichtete die Feuerwehr einen Damm aus Sandsäcken, um Wohngebäude zu schützen: Von der Milchhalde flossen größere Wassermengen den Berg hinunter, durch den Damm wurden sie in Richtung Lauter umgeleitet. Das Flüsschen hat sich in den vergangenen Tagen in einen richtigen Fluss verwandelt: »Viel darf nicht mehr kommen«, sagt Bürgermeister Klemens Betz.
Unter den Lauter-Brücken ist nicht mehr viel Luft
So sieht es auch sein Münsinger Kollege Mike Münzing, der für den Bereich ab Buttenhausen zuständig ist. Zwischen Brücken und Wasseroberfläche sei derzeit vielleicht noch zehn, fünfzehn Zentimeter Luft, sagen Betz und Münzing übereinstimmend. Ausgeschwemmte Schotterwege, überflutete Wiesen und auch der eine oder andere Spielplatz, der unter Wasser steht: Viel mehr ist in Münsingen nicht passiert. Die Feuerwehr musste nicht ausrücken, wäre aber, wie auch Bauhof und THW, für den Ernstfall gerüstet gewesen - Sandsäcke liegen dort parat. Den einzigen kleinen Einsatz erledigte der Bürgermeister, der von Freitag bis Sonntag regelmäßig in allen städtischen Immobilien nach dem Rechten sah, selbst: »Nur in der Beutenlayhalle mussten Eimer aufgestellt werden, weil Wasser durch die Rauchschutzklappen eingedrungen ist.«
Licht am Ende des Tunnels und eine Entspannung der Lage sieht Wetterfrosch Roland Hummel: Die nächsten drei Tage soll es sonnig und warm werden, Regen ist nicht in Sicht. Am Wochenende bleibt es dann wohl zwar nicht überall komplett trocken, die kleineren lokalen Schauer und Gewitter stehen aber in keinem Verhältnis zu dem, was in den vergangenen Tagen los war. Auch eine vorsichtige Prognose für die Zeit danach wagt Hummel schon: »Es sieht nach ganz passablem Sommerwetter aus, in der ersten Juni-Hälfte bekommen wir zwar keine Hitze, aber Temperaturen um die 20 Grad.« Eine Phase ohne Extreme also - das hat doch auch mal was. (GEA)