MÜNSINGEN. Als nach dem Zweiten Weltkrieg der GEA vor 75 Jahren zum ersten Mal wieder auf den Markt kam, hatte die französische Armee als Besatzungsmacht auf der Albhochfläche das Sagen. Seit Sommer 1945 waren die Franzosen die Hausherren des Truppenübungsplatzes Münsingen, der beiden Soldatensiedlungen Altes Lager und Neues Lager in Münsingen sowie des Remontedepots Breithülen. Es vergingen zwölf Jahre, bis dort nach und nach wieder deutsche Soldaten auf der Mittleren Alb ihren Dienst versahen.
Der 12. November 1955 gilt als Geburtsstunde der Bundeswehr. Knapp zwei Jahre später, am 8. Oktober 1957, rückte Major Kurt Fiebig im Alten Lager ein, wo er mit drei Kameraden die Dienststelle »Deutscher Verbindungsoffizier für die Truppenübungsplätze Münsingen und Heuberg« einrichtete. Sie hatte die Aufgabe, in Zusammenarbeit mit der französischen Truppenübungsplatz-Kommandantur einen provisorischen Übungsbetrieb aufzubauen.
Bereits zwei Tage später kamen die ersten Bundeswehrsoldaten der 1. Luftlandedivision auf die Alb zum Üben. Zu dieser Zeit wurde auf der Haid in Großengstingen bereits kräftig gebaut. Dort entstand der erste Kasernenneubau in Baden-Württemberg nach dem Zweiten Weltkrieg. Offizielle Einweihung der späteren Eberhard-Finckh-Kaserne war am 23. Februar 1958. Im Gleichschritt marschierten Kommandeur Oberstleutnant Hans-Werner Voss und die Männer des Luftlandeartilleriebataillons 9 bei dichtem Schneetreiben durch die Gemeinde, ist im GEA von damals nachzulesen. Die Bevölkerung stand am Straßenrand und begrüßte die Soldaten. An den meisten Häusern wehten zur Feier des Tages Flaggen.
Sondermunitionslager Golf
Acht Monate später wurde Münsingen wieder Garnisonsstadt. Am 22. Oktober 1958 rückte Kommandeur Major Gottfried Tornau mit seinem Panzerbataillon 310 in die Barackenunterkunft Neues Lager ein, die später durch Neubauten ersetzt wurde und Ende 1965 den Namen Herzog-Albrecht-Kaserne erhielt. Gebaut wurde unter strenger Geheimhaltung auch in einem Waldstück auf den Gemarkungen Meidelstetten und Trochtelfingen, knapp einen Kilometer südöstlich von der Eberhard-Finckh-Kaserne entfernt. Dort nahmen die Militärs Ende der 1960er-Jahre das sogenannte Sondermunitionslager Golf in Betrieb.
Als NATO-Mitglied ist die Bundeswehr heute noch dazu verpflichtet, in Deutschland Nuklear-Gefechtsköpfe der US-amerikanischen Armee einzulagern. Im Lager Golf, das die Militärs nur »J« nannten, lagerten seinerzeit zuerst Gefechtsköpfe für die Sergeant-Raketen, von Mitte der 1970er-Jahre an dann für die damals leistungsfähigeren Lance-Raketen, im angrenzenden Lager »K« die Raketenmotoren sowie Munition aller Art der Bundeswehr.
1981 deckte der »Stern« auf, wo in Deutschland atomare Sprengköpfe und Kurzstreckenraketen stationiert waren. Das Sondermunitionslager Golf wurde in diesem Zusammenhang ebenfalls genannt. Von nun an kamen die Friedensbewegungen ein Jahrzehnt lang nicht nur mehr nach Heilbronn, Mutlangen und Neu-Ulm zum Demonstrieren, sondern auch in den »Einödstandort«, wie die Soldaten die Garnison Engstingen nannten. Unter den Demonstranten waren unter anderen Petra Kelly, Gründungsmitglied der Grünen, Schriftsteller Walter Jens und ein gewisser Cem Özdemir, der heutige Bundeslandwirtschaftsminister.
1991 teilte das Verteidigungsministerium überraschend mit, dass die Eberhard-Finckh-Kaserne in absehbarer Zeit geschlossen werde. Hintergrund war die deutsche Wiedervereinigung. Die beschlossene Truppenreduzierung von 550.000 auf 370.000 Soldaten, in Baden-Württemberg von 48.000 auf 40.000 Männer, machte sich auch im Landkreis Reutlingen auf der Albhochfläche bemerkbar.
Es sollte noch bis Ende 1993 dauern, bis der letzte Soldat die Garnison Engstingen verließ. Die US-Armee hatte bereits zwei Jahre zuvor, still und leise, ohne großes Aufsehen, das Sondermunitionslager Golf geräumt. Die Garnison Münsingen hatte noch ein Jahrzehnt Schonfrist. Im Frühjahr 2004 wurde in der Herzog-Albrecht-Kaserne, die im Lauf der Zeit acht verschiedene Bataillone beherbergte, die Bundesdienstflagge zum letzten Mal niedergeholt. Ende des Jahres wurde das ehemalige Remontedepot Breithülen am südöstlichen Rand des Schießplatzes dicht gemacht. Es hatte der Bundeswehr von 1961 an als Mobilmachungsstützpunkt und später als Übungsgelände gedient.
Biosphäre statt Bundeswehr
Der 6.700 Hektar große Truppenübungsplatz Münsingen und die 72 Hektar große Soldatensiedlung Altes Lager, die 1992 nach dem Abzug der französischen Armee unter deutscher Verwaltung standen, musterten die deutschen Streitkräfte zum 31. Dezember 2005 aus.
Seitdem hat sich in den ehemaligen militärischen Liegenschaften der Bundeswehr viel getan. Der Truppenübungsplatz Münsingen ist das Herzstück des Biosphärengebietes Schwäbische Alb und auf rund 50 Kilometern zu Fuß und auf dem Fahrrad zu erleben. Auf dem Gelände der ehemaligen Herzog-Albrecht-Kaserne, der heutigen Parksiedlung, stehen inzwischen knapp 200 Ein- und Zweifamilienhäuser. Das Remontedepot hat ein Schuhhersteller gekauft, außerdem können Firmen und Privatleute das Gelände für Feiern und Events mieten.
Weitere Informationen
Weitere Informationen zu den ehemaligen Bundeswehrliegenschaften auf der Mittleren Alb gibt es im Internet.
Events, Ausstellungen und Messen gibt es auch im Alten Lager, heute Albgut, das seit 2015 einem privaten Investor gehört. Auf dem Gelände der ehemaligen Eberhard-Finck-Kaserne haben Engstingen, Hohenstein und Trochtelfingen den Gewerbepark Engstingen-Haid ins Leben gerufen. Die großen und kleinen Bunker in den nicht weit entfernten Lagern »J« und »K« sind an Firmen, Vereine und Privatpersonen vermietet. (GEA)