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Aktuell Neujahrsempfang

»Mehr Eigenverantwortung, weniger All-Inclusive-Staat« in Gammertingen

Gammertingens Bürgermeister Andreas Schmidt fordert beim Neujahrsempfang Rückbesinnung auf alte Geisteshaltung.

Bürgermeister Andreas Schmidt mischte sich beim Neujahrsempfang zum Austausch unter die Gäste.
Bürgermeister Andreas Schmidt mischte sich beim Neujahrsempfang zum Austausch unter die Gäste. Foto: Butscher
Bürgermeister Andreas Schmidt mischte sich beim Neujahrsempfang zum Austausch unter die Gäste.
Foto: Butscher

GAMMERTINGEN. »Wir müssen das Wünschenswerte vom Machbaren trennen. Was wir vorhaben, können wir nicht umsetzen.« So stimmte Gammertingens Rathauschef Andreas Schmidt die Bürgerinnen und Bürger beim traditionellen Neujahrsempfang im Rathaussaal auf das neue Jahr ein. Er sei zuversichtlich, dass dieser Spagat gelingen werde, »weil wir fähig sind, gemeinsam Kompromisse zu finden, hinter denen am Ende die meisten stehen können«.

Den Empfang eröffnete und umrahmte das Posaunenensemble Quintessenz unter der Leitung von Dietmar Pelz mit flotten Rhythmen. Bevor Schmidt seinen Rückblick aufs vergangene Jahr begann, begrüßte er die im Schlosssaal Anwesenden, allen voran die Gammertinger Bürgerschaft, aber auch die Vertreter der großen und kleinen Politik. Mit von der Partie waren Thomas Bareiß (CDU) und Robin Mesarosch (SPD), beide Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Zollernalb-Sigmaringen, Landrätin Stefanie Bürkle und die vielen Gammertinger Lokalpolitiker. Ihnen allen dankte Schmidt dafür, dass »sie sich für die Gemeinde einsetzen«.

Erster Platz für Teilgemeinden

In seinem Rück- und Ausblick listete der Schultes auf: »Was hat uns bewegt? – was bewegt uns weiter?« In seinem Blick aufs vergangene Jahr nannte er unter anderen die Themen Einführung der E-Akte und digitaler Prozesse, die Relaunch der städtischen Homepage, das neue Stadtlogo, den Breitbandausbau, für den Zuschüsse in Höhe von 22 Millionen Euro erwartet werden, die Beinahe-Fertigstellung des kleinen Schlossplatzes und die Planung des Neubaus des Pflegeheims. Als »Highlight« bezeichnete er den ersten Platz im Bezirksentscheid »Unser Dorf hat Zukunft« für die Teilgemeinden Harthausen und Feldhausen.

Nach dem Rückblick der Ausblick: Im neuen Jahr gelte es, »aus der Komfortzone herauszukommen«. Eine Einstellung nehme gerade überhand: »Der Staat, das Land, die Stadt soll alles richten.« Er höre so oft »ma sott - und ma ist immer jemand anderes.« Selbst anzupacken, miteinander reden – »ein Geist, der uns verloren gegangen ist« - »Wir brauchen wieder mehr Eigenverantwortung und weniger All-Inclusive-Staat«, so lautete Schmidts Forderung. »Veränderung braucht es dazu in jedem von uns.« Für diese Aussagen erntete er großen Applaus. Applaus auch für seine abschließende »Wahlempfehlung«, zur Wahl zu gehen und die Chance zu nutzen, mitbestimmen zu können.

Jugend im Fokus

Dann übergab der Bürgermeister das Mikrofon an den Gastredner Kilian Hampel. Ihn kennt er schon aus seiner Zeit an der Konstanzer Uni. Dort sei Hampel sein »Hiwi« (Hilfswissenschaftler) gewesen. Heute ist er Politikwissenschaftler, Organisationsforscher und Jugendforscher. In der Trendstudie »Jugend in Deutschland« untersucht er gemeinsam mit den Koautoren Simon Schnetzer und Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, wie es der jungen Generation geht und welchen Einfluss Trendthemen auf die Lebens- und Arbeitswelten von morgen haben. Die neueste Ausgabe der Trendstudie Jugend in Deutschland 2024 mit dem Titel »Verantwortung für die Zukunft? Ja, aber« stellte er dem Gammertinger Publikum vor und beantwortete dabei Fragen wie »Wie geht es der Jugend 2024? Was bereitet jungen Menschen Sorge? Welche Parteien präferieren sie? Wie wollen sie arbeiten und wollen sie Verantwortung übernehmen?«

In seinen Ausführungen zeigte Hampel auf, dass deutsche Jugendliche ihr Vertrauen in das politische System verloren hätten. Junge Menschen sähen sich mit existentiellen Ängsten wie Altersarmut, Krieg, Klimakrise, Inflation und anderen finanziellen Problemen konfrontiert. Beängstigend: Über ein Fünftel der Befragten gaben an, verschuldet zu sein. Psychische Probleme hätten zugenommen, genauso wie die Sucht nach Social Media, die Jugendlichen fühlten sich vergessen, so die Studie. Seit zehn Jahren zeige sich in ein deutlicher Rechtspopulismus, 22 Prozent der Jugendlichen gaben 2024 an, AfD wählen zu wollen. Allerdings relativierte Hampel diese Zahl, indem er sagte, 25 Prozent der Befragten wüssten gar nicht, wen sie wählen würden. Somit sinke die Zahl der jugendlichen AfD-Wähler auf rund 14 Prozent. Näheres zeige die kommende Bundestagswahl.

Besser als ihr Ruf

Bei der Frage nach der Arbeitsmoral bezog der Referent das Publikum mit ein und ließ es vermuten, wie Jugendliche zu Motivation und Leistung stünden. Entgegen der landläufigen Meinung sind, so die Studie, junge Menschen im Vergleich zu anderen Generationen nicht fauler. Sie wollen arbeiten und Geld verdienen. Und sie wollen sich einbringen. Am Ende von Hampels Ausführungen stand die Erkenntnis: »Die Jugend ist besser als ihr Ruf.«

Darüber und über vieles andere konnten die Besucherinnen und Besucher des Neujahrsempfangs im Anschluss an den offiziellen Teil reden und diskutieren. Schultes, Politiker und Referent mischten sich zum Austausch unters Publikum, am Ende gab es das, was Bürgermeister Schmidt sich und seinen Gästen gewünscht hatte: »Gute Gespräche, gute Begegnungen und gute Getränke.« (GEA)