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Münsinger Schuhhaus Pöhler schließt nach 104 Jahren

Im Jahr 1919 wurde in Münsingen das Schuhhaus Pöhler eröffnet. Mit dem Ruhestand der dritten Generation der Familie kommt nun das Aus. Nachfolger waren nicht zu finden.

Margrit und Wolfgang Göttler.
Margrit und Wolfgang Göttler. Foto: Steffen Wurster
Margrit und Wolfgang Göttler.
Foto: Steffen Wurster

MÜNSINGEN. Margrit Göttler hat 27 Kollegen angesprochen, aber keiner hatte Interesse, das Schuhhaus Pöhler weiterzuführen. »Einige sind selbst kurz davor, aufzuhören. Die Anderen glauben nicht, dass Ladengeschäfte sich noch lohnen«, bedauert Göttler. Deshalb ist zum Jahresende Schluss. Das Traditionshaus schließt, die Immobilie ist verkauft, Margrit und Wolfgang Göttler gehen ohne Nachfolger in den Ruhestand. »Ich hätte mir gewünscht, beim Vorbeifahren mal zu winken«, sagt Wolfgang Göttler mit leiser Wehmut. Aber die Entwicklungen im Einzelhandel sind auch für gut eingeführte Geschäfte nicht günstig. Auch Pöhler verkauft mittlerweile über das Internet, die Coronabeschränkungen haben die Entwicklung rasant beschleunigt. Beratung und Verkauf finden immer mehr im Netz statt, »und das ändert sich auch nicht mehr«, glaubt Margrit Göttler. Die Kunden kommen seltener, der Online-Kauf wird zur Gewohnheit, »ein Teufelskreis.«

»Wir müssen ein großes Sortiment vorhalten, die Ware muss finanziert und die Mitarbeiter müssen bezahlt werden«, erklärt Göttler das fehlende Interesse an eine Geschäftsübernahme. Als der Krieg in der Ukraine begann, kam einen Tag lang kein einziger Kunde in die Wolfgartenstraße und seither halten die Menschen ihr inflationsgeschmälertes Geld zusammen, sind sparsamer geworden: »Da bekommt man schon schlaflose Nächte«.

1919 empfahl sich Jakob Pöhler der Einwohnerschaft.
1919 empfahl sich Jakob Pöhler der Einwohnerschaft. Foto: Privat
1919 empfahl sich Jakob Pöhler der Einwohnerschaft.
Foto: Privat

Das Schuhhaus mit prominenter Lage an der Ecke Karlstraße/Wolfgartenstraße hat eine lange Geschichte. 1919 hat Margrit Göttlers Großvater Jakob Pöhler hier sein Schuhgeschäft aufgemacht. Damals war noch einiges anders, nachhaltiger. Der Konfektionsschuh von der Stange war noch nicht so verbreitet wie heute, wer Schuhe brauchte, ließ nach Maß fertigen. Egal ob Bauer oder Edelmann, egal ob den Sonntagsschuh für den Kirchgang oder den Tanzabend oder den Arbeitsstiefel. Zwei Monatsgehälter kostete die Investition den Durchschnittsverdiener, sagt Göttler. Der Kauf wollte gut überlegt sein und auch die Wahl des Schuhmachers.

»Qualität spricht sich herum«, ist Göttlers Credo, »aber schlechte Qualität noch schneller.« Besonders auf dem Land, wo jeder jeden kennt. Den handwerklichen Anspruch hat das Schuhhaus in die Moderne mitgenommen, auch als Schuhe von der Stange nach dem Krieg zur Regel wurden und das Geschäft schnelllebiger wurde.

Handwerk gab es aber auch noch, viele Jahre wurde mit dem Orthopädieschuhmachermeister Alex Hägele aus Würtingen zusammengearbeitet. Er kam regelmäßig ins Haus, um Schuhe anzupassen, Einlagen einzupassen oder schlicht, um Problemfüßler zu beraten. Damit wurde eine Tradition fortgesetzt, schon Jakob Pöhler und Sohn Eugen waren Orthopädieschuhmachermeister. Jakob starb 1928 an den Folgen einer Verletzung aus dem Ersten Weltkrieg, Eugen fiel 1943 in Russland. Kein Wunder, dass die Kriege in der Ukraine und in Israel und Palästina der Nachfahrin Sorgen bereiten: »Krieg, das kannten wir ja gar nicht mehr.«

Soldaten aber schon: Die Militärs von Bundeswehr und der französischen Armee beanspruchten ihr Schuhwerk stark. Reparaturen der Springerstiefel, aber auch exklusivere Ware fürs Offizierskasino beschäftigten teilweise bis zu 15 Mitarbeiter. »Alles Männer«, erzählt Göttler, »das war nicht immer leicht.« Ihre Großmutter Gretel und Mutter Fridl haben sich in der Männerwelt auf jeden Fall gut geschlagen, Fridl mit Unterstützung ihres Ehemanns Hermann Bühle.

Anfang der 1980er-Jahre hat sich dann die Frage nach der Zukunft des Geschäfts gestellt. Tochter Margrit arbeitete in einer Arztpraxis, ihr wurde aber klar: »Ich will selbstständig werden.« Es war noch Zeit, sie konnte sich vorbereiten, mit einer Ausbildung im Schuhhandel, als Assistentin der Geschäftsleitung in einem Unternehmen, als Filialleiterin in zwei anderen. Ihr Mann, der gelernte Raumausstatter und studierte Betriebswirt (BA) Wolfgang Göttler, passte gut in die Doppelspitze.

Das Ehepaar hat das Zepter 1988 in die Hand genommen, das ist auch schon 45 Jahre her. Der Laden bekam ein neues Konzept und wurde auch in den Folgejahren immer wieder neu gestaltet: »Die Modebranche erfindet sich immer wieder neu.« Als Schuhmoden-Ketten Trend wurden, sahen die Göttlers das als Herausforderung, nicht als Katastrophe: Sie richteten in Münsingen eine Filiale der Kette Quick ein. »Das war ganz andere Ware, andere Qualität und anderer Marken«, erinnert sich Margrit Göttler. Günstige Ware bei trotzdem guter Beratung lautete das Motto in der Lichtensteinstraße.

Mode hin, Trend her: »Ich verkaufe keinen Schuh, der nicht passt«, sagt Margrit Göttler. Ihre Stammkunden schätzen das. »Wir haben sogar Kunden aus Stuttgart, die uns im Urlaub besuchen«, weiß Göttler, »das heißt ja auch, dass Münsingen so etwas wie eine Attraktion verliert.« Und sie ergänzt: »Alle unsere Mitarbeiter sind gut geschult und können die Kunden kompetent beraten. Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn mehr als 30 junge Menschen ausgebildet.«

Zum Jahresende endet auch der Räumungsverkauf.
Zum Jahresende endet auch der Räumungsverkauf. Foto: Steffen Wurster
Zum Jahresende endet auch der Räumungsverkauf.
Foto: Steffen Wurster

104 Jahre hat das Schuhhaus bestanden, 45 Jahre haben die Göttlers das Unternehmen geführt. Bis zum Jahresende kann dort noch mit solider Beratung eingekauft werden. Dann wird Münsingen um eine Attraktion ärmer sein. (GEA)