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Münsinger Praxen schlagen Alarm: Zu wenig Zahnärzte

Die verbliebenen Zahnärzte in und um Münsingen schlagen Alarm: Die Versorgung ist nicht mehr gesichert. Das Problem liegt im System.

Zahnarzt-Schild
Praxen stecken in einer Zwickmühle. (Symbolbild) Foto: Hauke-Christian Dittrich/DPA
Praxen stecken in einer Zwickmühle. (Symbolbild)
Foto: Hauke-Christian Dittrich/DPA

MÜNSINGEN. Am 20. November bleiben die Zahnarztpraxen in der Region geschlossen. Wegen eines landesweiten Fortbildungstags, eigentlich ist es ein Streik. Warum treten die Zahnärzte und Kieferchirurgen in den Ausstand? Dr. Patrick Werner und seine Kollegin Dr. Katharina Lokowandt erklären die Hintergründe.

Die Praxen stecken in der Zwickmühle, sind sich die beiden Zahnärzte mit Niederlassung in Münsingen einig. Zahnarztpraxen sind Unternehmen, die zumindest kostendeckend arbeiten müssen, den monatlichen Betrag X erwirtschaften müssen, wenn sie nicht schließen sollen. Ihre Kosten sind aber gestiegen, wie in allen Branchen. Weitergeben können sie ihre höheren Ausgaben aber nicht, zumindest nicht im Bereich der zahnärztlichen Grundversorgung. Denn was hier in welcher Höhe abgerechnet werden kann, bestimmen die Kassen. Und diese Sätze sind seit Jahrzehnten nicht angepasst worden. Vier Füllungen pro Stunde müsste Dr. Werner abrechnen, um wenigstens die Personal- und einen Teil der Materialkosten zu decken, von den Fixkosten für Geräte und Praxis ganz zu schweigen. »Das schaffst du nicht in der Zeit.« Also legt er drauf, hat er kalkuliert. Und das sei bei fast allen Kassenleistungen so.

Leistungen bleiben unter dem medizinisch möglichen

Schmerzpatienten muss er annehmen, das will er auch, auch wenn's eher Geld kostet. Das Budget ist aber nicht nur für den Einzelfall, sondern auch übers Jahr gedeckelt. Was in der Praxis heißt, dass Zahnärzte irgendwann im November anfangen, umsonst zu arbeiten. Was sie bezahlt bekommen, erfahren sie über ihre Abrechnung, die erst fast ein Jahr später eingeht. Zusammen mit möglichen Regressforderungen wegen möglicherweise zu hoher Abrechnungsbeträge. »Oft klärt sich das mit einem Telefonat oder einem Einzeiler«, sagt Werner, die Bürokratie frisst aber seine knappe Zeit.

Richtig ärgerlich wird er, wenn einzelne Praxen über einen Kamm geschoren werden. Zehn Zahnfleischtaschen behandelt ein Arzt im Schnitt pro Quartal, bei Werner waren es schon mal 24. Das sei ein Problem der Landpraxen, in denen überdurchschnittlich viele akute Notfälle landen, erklärt Werner, den Ärger hat er trotzdem am Hals. »Die Notfälle poppen hier auf«, sagt Lokowandt, »weil es auf dem Land weniger Praxen gibt.«

»Wenn Sie einem Zimmermann erzählen, dass er ab Jahresende keine Aufträge mehr annehmen kann, erklärt er sie für verrückt«, sagt Werner, er muss aber genau damit zurechtkommen. Eine Möglichkeit, aus der Kostenfalle herauszukommen, ist es, die Praxis geschlossen zu halten. Denn wenn der Schmerzpatient klingelt, muss er auch behandelt werden. Wenn die Praxis zum Beispiel an einem Wochentag zu bleibt, hat eben der Patient den Schaden. Eine Lösung sei das natürlich nicht, meinen die Ärzte, mit Blick auf die Patienten und ihre Betriebe. 

Patrick Werner und Katharina Lokowandt erklären die schwierige Lage der Zahnärzte auf dem Land.
Patrick Werner und Katharina Lokowandt erklären die schwierige Lage der Zahnärzte auf dem Land. Foto: Steffen Wurster
Patrick Werner und Katharina Lokowandt erklären die schwierige Lage der Zahnärzte auf dem Land.
Foto: Steffen Wurster

Auf dem flachen Land ist die Lage besonders kritisch. In den Ballungsräumen können größere Betriebe, Gemeinschaftspraxen oder medizinische Versorgungszentren sogar noch Patienten aufnehmen. »Für uns ist ein neuer Patient der Horror«, stellt Katharina Lokowandt es überspitzt dar. »Auf der Strecke bleiben zuerst die Patienten, die nicht mobil sind und bis nach Reutlingen oder Ulm fahren können«, sagt die Kieferorthopädin.

Was Patienten meist nicht wissen oder im Notfall nicht auf dem Schirm haben: Die Zahnmedizin hat sich ständig weiterentwickelt, »die Kassenleistungen sind aber auf dem Stand von vor 30 Jahren«, sagt Werner. Eine Kassenleistung muss ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Ausreichend bedeute Schulnote 4 im Ranking des wissenschaftlich Möglichen, zweckmäßig, der Patient kann wenigstens kauen, und wirtschaftlich »wirtschaftlich für die Kassen«, übersetzt Werner die an ihn gestellten Vorgaben.

Mehr Eigenverantwortung nötig

Mit dem Fortbildungstag am kommenden Mittwoch wollen die Zahnärzte über die grundsätzlichen Probleme informieren und ihre Patienten aufklären, warum ihr Zahnarzt nicht so kann, wie er oder sie es gerne wollen. Oder warum immer mehr Leistungen, die medizinisch möglich und sinnvoll sind, aus der eigenen Tasche bezahlt werden müssen.

Ob sich durch die Aktion grundsätzlich etwas ändert, ist offen. Den Menschen raten die Ärzte deshalb zu Vorsorge und Eigenverantwortung: Sich einen Zahnarzt suchen, bevor ein Notfall eintritt. Sich schnell über Zusatzversicherungen informieren. Und regelmäßig zum Zahnarzt gehen: »Viele Probleme können wir erkennen und behandeln, bevor es weh tut«, so Werner, aber nur alle vier Jahre mal vorbeikommen, reicht nicht. (GEA)