ZWIEFALTEN. Daheim – das ist da, wo man auf einen wartet, der Ort familiärer Geheimnisse und auch das Zimmer, in dem man nasse Kleidung abstreifen und sich auf trockene freuen kann. Am Samstagnachmittag nahm Autor Günther Weber, weitgereister Holzofenbäcker, Koch und Wirt auf dem Lorettohof, rund 60 Gäste mit auf eine Lesung rund um Menschliches. Für den musikalischen Rahmen unter der Linde sorgte Michael Stoll am Kontrabass, an der jazzigen Bambus- und an der gewaltigen Bassflöte, einem selten gesehenen Instrument aus Metall mit gewundenem Hals. Die Töne verbanden sich meditativ mit dem Inhalt der Texte und der besonderen Atmosphäre in der Natur.
Günther Weber, geboren 1954 in Winnenden, übernahm erwartungsgemäß die elterliche Bäckerei, doch dazwischen lagen viele Jahre in Afrika und Ägypten. Er engagierte sich in der Eine-Welt-Arbeit, für die Befreiungsbewegungen in Mittelamerika und in der Solidaritätsbewegung für Zentralamerika. Weber hat einen reichhaltigen Schatz an Lebenserfahrungen, aus dem er für seine Texte schöpfen kann. Er schaut genau hin, beobachtet scharf und fasst seine Gedanken treffend in Worte. Aber auch eine gehörige Portion Fantasie und Schalk im Nacken gehören bei Weber immer dazu.
Texte mit Tiefgang
Atmosphärisch dicht sind die Schilderungen über den Haselstein, eine felsige Erhebung in Winnenden: »Ein Hauch« vermittelt die Kühle des Steins und auch die mysteriösen Höhlen, die vielleicht im Innern warten. Deftig zur Sache ging es dagegen mit »Im Staub der Arena«, einer Geschichte über rituelle jugendliche Ringkämpfe und den unangefochten Stärksten im Ort. Der jedoch verblüfft und mit einer Menge Dreck im Gesicht feststellen muss, dass er den neu zugezogenen Jungen fatal unterschätzt hat. Manchen spontan zum Vegetarier gemacht haben dürfte die Geschichte »Das Geheimnis«. Weber nimmt auch hier kein Blatt vor den Mund. Als Knabe liebt er den Rostbraten, der seinen Ursprung in der Metzgerei von Onkel Bernhard hat. Doch bisher hat er dessen Kühlkammer nicht gesehen, in dem »Tierkadaver« verstümmelt von der Decke hängen und Fleisch bis zu sechs Wochen abhängt.
Gelegentlich nimmt Weber auch an Schreibwerkstätten teil. Dabei sollen ab und zu spielerisch auch Geschichten anderer Teilnehmer weitergeführt werden. So erhält die Tragödie »Bodenlos« einer Autorin mit heftigem Trennungsschmerz dank Weber eine überraschende Wendung. In seiner Fortsetzung geht es weniger um menschliche Gefühle, als plötzlich um einen New York Cheesecake, ohne Boden. Detailliert beschreibt der Bäcker das Geschmackserlebnis. Nicht ohne am Schluss zuzugeben, dass er diesen Kuchen eigentlich noch nie gegessen habe.
Überraschungen inklusive
Zu inneren Dialogen führte ihn die Begegnung mit einer »Streunerin« im Bahnhofslokal: »Soll ich ihr ein Getränk spendieren? Auf wen wartet sie? Soll ich ihr Angebot annehmen und sie ebenfalls duzen?« Immer wieder sagt die Dame, man würde »schon kommen« und sie abholen. Es bleibt rätselhaft, bis sie mit einem Aschenbecher den Fernseher einwirft. Sie kommen jetzt tatsächlich – die Polizisten im Streifenwagen.
Für Lacher sorgte auch der Betriebsausflug der Gebrüder Grimm mit ihrer »Belegschaft«. Der Eiserne Heinrich lenkt den Bus, mit an Bord sind Zwerge, der Froschkönig, die Müllerstochter, der Fischer und seine Frau und - passend zum Ort des Lorettohofs – natürlich auch sieben Geißlein. Das Publikum applaudierte und freut sich sicherlich schon auf neue Geschichten und die nächste Lesung im kommenden Jahr. (GEA)