MÜNSINGEN/REUTLINGEN. Der Lenkungskreis Biosphärengebiet Schwäbische Alb hat am Mittwoch einstimmig beschlossen, dass 16 Mitgliedskommunen weitere Flächen einbringen und sechs neue Kommunen dem Biosphärengebiet beitreten können. Zudem hat sich das Gremium darauf verständigt, dass das rechtliche Ausweisungsverfahren für die Erweiterung des Biosphärengebiets Schwäbische Alb gestartet wird. Das geht aus einer Mitteilung des Regierungspräsidiums Tübingen hervor.
Der Lenkungskreis Biosphärengebiet Schwäbische Alb traf sich am Mittwoch zur turnusmäßigen Herbstsitzung im Alten Schulhaus in Gruorn auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz. Neben dem grundsätzlichen Ja zur Gebietserweiterung haben die Mitglieder der geplanten Zonierung der Erweiterungskulisse in Entwicklungs-, Pflege- und Kernzonen sowie Änderungen der bestehenden Zonierung zugestimmt.
Die Zustimmung der Stadt- und Gemeinderäte zur Gebietserweiterung samt Festlegung von Kern-, Pflege- und Entwicklungszonen liegt in allen 22 Kommunen vor. Die Mehrzahl der Beschlüsse war einstimmig. Es gab keine Kommune, deren Gemeinderat nach Durchlaufen des intensiven partizipativen Planungsprozesses die Gebietserweiterung abgelehnt hat. Insgesamt beschlossen 16 Kommunen, die bereits Flächen in der Gebietskulisse haben, weitere Bereiche in das Biosphärengebiet einzubringen. Im Landkreis Reutlingen sind dies die Kommunen Bad Urach, Gomadingen, Hayingen, Lichtenstein, Münsingen, Reutlingen, St. Johann und Zwiefalten.
Fläche wächst um 42 Prozent
Im Alb-Donau-Kreis zählen zu diesen Kommunen Ehingen/Donau, Heroldstatt, Lauterach und Schelklingen. Im Landkreis Esslingen sind es Bissingen a. d. Teck, Beuren, Dettingen u. Teck und Weilheim a. d. Teck. Zudem beschlossen die sechs Kommunen Engstingen, Hohenstein, Sonnenbühl (alle Landkreis Reutlingen), Allmendingen, Blaubeuren und Rechtenstein (alle Alb-Donau-Kreis), neu dem Biosphärengebiet beizutreten.
Nach der vorliegenden Planung wird die Fläche des Biosphärengebiets um 42 Prozent auf mehr als 120.000 Hektar anwachsen. In Summe werden etwas mehr als 1.100 Hektar neue Kernzone, knapp 5.500 Hektar neue Pflegezone und knapp 30.000 Hektar neue Entwicklungszone ausgewiesen. Zwei Drittel der neuen Kernzonen werden im Kommunalwald und ein Drittel im Staatswald (ForstBW) ausgewiesen. Auch der Bundesforst beteiligt sich an neuen Kernzonen. Der von der Unesco geforderte Mindestanteil von drei Prozent Kernzone wird damit weiterhin erfüllt. Die Pflegezone wird künftig einen Anteil von 33 Prozent des erweiterten Biosphärengebiets umfassen, die Entwicklungszone einen Anteil von 64 Prozent.
Mit der Zustimmung des Lenkungskreises wird im nächsten Schritt das rechtliche Ausweisungsverfahren zur Erweiterung des Biosphärengebiets gestartet. Dieses soll im Lauf des Jahres 2025 abgeschlossen werden. Damit wird das erweiterte Biosphärengebiet ab Januar 2026 rechtskräftig verankert sein. Danach wird der erforderliche Antrag auf erneute Unesco-Anerkennung beim MAB-Nationalkomitee eingereicht.
Der Lenkungskreisvorsitzende und Tübinger Regierungspräsident Klaus Tappeser fasste den Beschluss zusammen und bedankte sich bei allen Beteiligten: »Es ist ein tolles Zeichen für dieses Modellprojekt, dass der Lenkungskreis heute einstimmig der Gebietserweiterung zugestimmt hat. Diese ist das Ergebnis eines partizipativen Prozesses, an dem in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren intensiv gearbeitet wurde. Ich danke allen Akteurinnen und Akteuren, die daran mitgewirkt haben.«
Im Weiteren ging es in der Sitzung um aktuelle Projekte auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz, die Marco Reeck, Leiter des Bundesforsts Heuberg, dem Gremium vorstellte. Zudem wurde Landrat Marcel Musolf (Landkreis Esslingen) als Nachfolger von Heinz Eininger als neues Mitglied des Lenkungskreises Biosphärengebiet Schwäbische Alb begrüßt.
Kampagne seit Frühjahr 2022
Der Startschuss der Planungen zur Erweiterung des Biosphärengebiets erfolgte nach der Übergabe der Unesco-Urkunde an Ministerpräsident Winfried Kretschmann im April 2022. Diese bescheinigte die erfolgreiche turnusgemäße Überprüfung des Biosphärengebiets und die Erneuerung der Unesco-Anerkennung für die kommenden zehn Jahre.
Die Überprüfung des bestehenden Biosphärengebiets sollte abgewartet werden, bevor eine Erweiterung geplant wird. Den konkreten Erweiterungsplanungen geht ein inzwischen zweieinhalb Jahre andauernder freiwilliger Beteiligungsprozess voraus. Im Rahmen von mehr als 100 Infoveranstaltungen, Workshops, Gemeinderatssitzungen und weiteren Gesprächen auf kommunaler Ebene wurden über das Biosphärengebiet und die Erweiterung informiert sowie Chancen und Herausforderungen diskutiert. Durchschnittlich nahmen an jeder Infoveranstaltung rund 80 Teilnehmer teil, wobei einzelne Veranstaltungen auch bis zu 200 Personen besuchten.
Urwälder von morgen
Für die Suche von Kernzonen kamen nur Waldflächen im Eigentum der öffentlichen Hand, also keine Privatwälder infrage. Das Thema der Kernzonen wird in der Region unterschiedlich betrachtet. Einige begrüßen diese »Urwälder von morgen« als Fortschritt für die Erhaltung der Artenvielfalt. Von anderen wird die Ausweisung neuer Kernzonen als erforderliches Eintrittsgeld in das Biosphärengebiet oder auch mit Skepsis bis hin zur Ablehnung angesehen. Unabhängig davon wurden alle Bedenken ernst genommen und gemeinsam gelöst. In den bestehenden 2.645 Hektar Kernzonen kann zudem auf 15 Jahre Erfahrung zurückgeblickt werden. Zu den Sorgen zählen beispielsweise Einkommensverluste durch die fortan nicht mehr mögliche Holznutzung. Durch die Generierung von sogenannten Ökopunkten kann eine wirtschaftliche Kompensation erfolgen. Kritisch begleitet wird auch das Schließen mancher Wege in Kernzonen. Daher fanden für jeden einzelnen Kernzonenvorschlag Workshops statt, um zu klären, welche Wege künftig noch nutzbar bleiben sollen und welche Wege geschlossen werden können.
Zu den Teilnehmenden zählten die Kommunalverwaltungen, der Schwäbische Albverein, Radwegebeauftragte der Landkreise, die Kreisforstämter, ForstBW, Naturschutzbehörden, die Bergwacht und weitere Akteure. Im Ergebnis können etablierte Wanderwege weiterhin begangen werden, ebenso wie Wege, die es zur Bewirtschaftung von Flächen braucht, die hinter einer Kernzone liegen. Weitere Hintergrundinformationen zur Gebietserweiterung gibt es online. (eg)
www.biosphaerengebiet-alb.de/ gebietserweiterung

