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Aktuell Chorgesang

Leiterin des Männergesangvereins Erpfingen sagt Ade

Dass Männergesangvereine ein Auslaufmodell sind, das trifft auf den Erpfinger Chor nicht zu. Schließlich singt und klingt es bereits seit 159 Jahren aus Erpfinger Kehlen. Dass der Männergesangverein so gut dasteht, ist auch der Verdienst einer Frau, die bis Ende Juli den Ton angegeben hat: Nadja Schmiling.

Nadja Schmiling mit »ihren Männern«, wie sie die Mitglieder des Männergesangvereins Erpfingen nennt. Sie hat den Männerchor gele
Nadja Schmiling mit »ihren Männern«, wie sie die Mitglieder des Männergesangvereins Erpfingen nennt. Sie hat den Männerchor geleitet und nun die Chorleitung abgegeben. Foto: Cordula Fischer
Nadja Schmiling mit »ihren Männern«, wie sie die Mitglieder des Männergesangvereins Erpfingen nennt. Sie hat den Männerchor geleitet und nun die Chorleitung abgegeben.
Foto: Cordula Fischer

SONNENBÜHL. Der Männergesangverein Erpfingen widersetzt sich seit 159 Jahren standhaft einem Trend: den Abgesang auf ein Auslaufmodell anzustimmen. Denn davon ist der 1864 gegründete Chor weit entfernt. 38 Männer zwischen Anfang 20 und circa 80 Jahren singen aus vollen Kehlen ein Lied davon, dass ein solcher Verein auch heute noch lebendig, frisch und klangvoll Richtung Zukunft schauen kann. Nicht zuletzt auch deswegen vielleicht, weil die Herren der Schöpfung ihr musikalisches Geschick 2011 in die Hände einer Frau gelegt haben: Die Undingerin Nadja Schmiling war bis Ende Juli Chorleiterin des MGV. Zum Alter der Sänger sagt sie: »Für mich sind sie alle jung, weil sie alles mitgemacht haben, was ich mit ihnen ausprobiert habe.«

»Das Gute war, dass ich allen bekannt war und sie wussten, aus welchem Haus ich komme«, sagt Nadja Schmiling. Trotzdem herrschte Totenstille im Raum, als sie zum ersten Mal, damals noch als Vertretung, als Chorleiterin vor die Männerrunde trat. Skepsis auf der einen Seite, Vorsicht auf der anderen. Beide Geschlechter näherten sich an. Die Akzeptanz der Herren wuchs, Nadja Schmiling zog die Zügel an. »Ich hatte schließlich einen Auftrag, und den wollte ich erledigen.« Sich Respekt zu verschaffen, war kein Problem für die damals 35-Jährige. Und weil der damalige Chorleiter nicht zurück ins Amt kam, blieb die Undingerin.

Mit traditionellem Liedgut aufgewachsen

Auch musikalisch ging Nadja Schmiling mit »ihren Männern« oder »ihren Jungs« neue Wege, obwohl schon auch mal die »Loreley« und traditionelles Liedgut angestimmt wurden. »Damit bin ich aufgewachsen«, sagt die 47-Jährige. Kein Wunder, die musikalischen Wurzeln hat ihr Vater Siegfried Reiff gesetzt. Sie selbst bildete ihre Stimme im Kinderchor, in der Singgemeinschaft Undingen. Und absolvierte als Quereinsteigerin die Chorleiter-Ausbildung, legte 2004 im Hugo-Herrmann-Seminar an der Musikhochschule Trossingen die Prüfung zur staatlich anerkannten Chorleiterin im Nebenberuf ab.

Was hat der Männergesangverein in 159 Jahren nicht schon alles überstanden: Kriege, Zeiten mit fehlenden Dirigenten, Mitgliederschwund. Und zuletzt die Pandemie. Nichts hat die Stimmen verstummen lassen. Die Erpfinger sind Käpsele und haben sich - unter Einhaltung aller Regeln - pandemiekonform draußen getroffen. Jeder Sänger saß im Kofferraum seines Autos, während Nadja Schmiling davor den Taktstock schwang. Die Stimmung ging ans Gemüt.

Singen - das hat sich auch hier gezeigt - schafft Gemeinschaft. Schafft »Glücksgefühle, gemeinsam einen tollen Sound zu produzieren«, sagt Nadja Schmiling. Auch in schwierigen Situationen im Beruf oder in so manch schweren Lebenslage singt die 47-Jährige: »Ich bin hinterher ein anderer Mensch.« Mit Musik könne man Gefühle transportieren, anderen eine Freude bereiten. »Die Klangwellen um uns herum lösen eine unglaubliche Harmonie aus. Wenn das passiert und das Publikum diese Schwingungen aufnimmt, der Funke überspringt, haben wir unser Ziel erreicht.« Wenn dann die eine oder andere Träne der Rührung fließt, hat Musik auf schönste Weise Menschen miteinander verbunden.

So sah der Männergesangverein Erpfingen 1953 aus.
So sah der Männergesangverein Erpfingen 1953 aus. Foto: Nicht angegeben
So sah der Männergesangverein Erpfingen 1953 aus.
Foto: Nicht angegeben

Das Erfolgsrezept für das Fortbestehen eines Männergesangvereins ist eigentlich ganz einfach: Es brauche eine Vorstandschaft, die gute Ideen hat, motiviert ist, gut plant und der musikalischen Leitung freie Hand lässt, fasst Nadja Schmiling zusammen. Für die Erpfinger trifft das zu. Das Klima stimmt im Chor, zwischen Sängern und Chorleiterin. »Es war immer offen, super ehrlich, unglaublich kameradschaftlich: eine Gemeinschaft, wie ich sie noch nie erlebt habe«, schwärmt Nadja Schmiling von »ihren Jungs«.

Der letzte gemeinsame Auftritt, bei dem 38 Männer und eine Frau in der Sonnenmatte vors Publikum traten, »ging unter die Haut«, sagt Nadja Schmiling. Vor allem, als »Amoi seg ma uns wieder« von Andreas Gabalier aus Erpfinger Kehlen klang. Es war eine Erinnerung an die verstorbenen MGV-Mitglieder, aber auch der endgültige Abschied Nadja Schmilings von »ihren Jungs«.

Nur in gute Hände abzugeben

Aus dem Blick verliert Nadja Schmiling die Sänger sicher nicht. Sie ist Mitglied im MGV. Und von ihrer Nachfolgerin ist sie bereits eingeladen, im Tenor die Reihen der Sänger zu verstärken. Nachfolgerin? Ja, ein Glücksfall für den MGV: Es gibt eine neue Chorleiterin, die weiter mit den Erpfingern und an ihrem Klang arbeiten wird. »Nur in gute Hände abzugeben«, so hat der Verein im Internet inseriert. Diese guten Hände weiß Nadja Schmiling bei Julia Winkler. Sie ist 39, wird ihren Lebensmittelpunkt nach Öschingen verlegen und suchte nach einem Chor in ihrer neuen Heimat. »Wir haben uns gesehen und geliebt«, sagt Nadja Schmiling. »Sie hat eine super menschliche Art, kann einen Draht zu ihrem Gegenüber aufbauen, ist fachlich kompetent und setzt sich durch. Ich bin erleichtert und entspannt.«

Das Singen wird Nadja Schmiling weiter begleiten. Denn sie leitet den Bürgermeisterchor des Landkreises Reutlingen und singt selbst im A-cappella-, Pop- und Jazz-Chor Limotion und hat dort seit November die musikalische Stimmbildung inne. Ihr Ehemann Jens »ist meine absolute Nummer 1«, sagt Nadja Schmiling, aber wenn ihre 38 anderen Männer singen, dann schlagen 39 Herzen im gleichen Takt. (GEA)