ZWIEFALTENDORF. Professor Dr. Karl Hönle kannte zumindest die Familie von Bodman. Er ist in Zwiefaltendorf aufgewachsen, geboren Anfang des Krieges, hat aber den größten Teil seines Lebens in Dachau verbracht. »Dem Dachau«, wie er immer wieder erklären muss. An der Aufarbeitung der Geschichte des berüchtigten Konzentrationslagers war der Physiker und Gründer eines Medizintechnikunternehmens aktiv beteiligt. Eine gute Voraussetzung, um dem Zwiefaltendorfer und KZ-Arzt Franz von Bodman ein Gesicht zu verleihen.
Franz von Bodman war Mediziner, hatte 1934 promoviert, war Mitglied der SS und Arzt in Arbeits- und Vernichtungslagern. Im Mai 1945 nahm er sich das Leben, das finale Ende einer Karriere im NS-System. Wer war nun von Bodman? Hönle hat wenig eigene Erinnerungen, kann sich aber auf belastbares »Hörensagen« stützen, aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis. Franz und Bruder Rudolf seien gut ins Dorfleben integriert gewesen, erzählt er. Die Zeiten, in denen die von Bodmans abgehoben, nur mit Kontakt zu ihren Pächtern bei den Pachtzahlungen, gelebt hatten, waren vorbei: »Wir hatten selbst eine Wiese gepachtet.«
Franz sei allerdings früh überzeugter Nationalsozialist gewesen, und habe versucht, Anhänger für die NS-Bewegung zu gewinnen. »Mit Freibier, manchmal hat es geklappt.« Die Familie zog nach Riedlingen und »von Franz wusste man nichts«. Auch in der Literatur über NS-Ärzte tauchte er lange nicht auf. Nach Kriegsende kam die Familie zurück nach Zwiefaltendorf, zog ins Jägerhaus, nicht ins Schloss. Die Frau Baronin, Franz' Ehefrau, kannte man gut, ausgegrenzt wurde die Familie nicht. Richtig oder falsch? Hönle gibt keine einfache Antwort. Dass man überhaupt nicht nachgefragt habe, sei falsch gewesen. Dass man die Familie aufgenommen habe, eher richtig.
Bodman war früh überzeugter Nationalsozialist
Mit richtig oder falsch im Umgang mit Franz von Bodman beschäftigt sich auch die Universität Tübingen seit Längerem. Historiker Bastian Wade schilderte die Arbeit des Arbeitskreises zur Aufarbeitung der NS-Zeit an der Universität Tübingen. Vor allem ein Punkt beschäftigt die Hochschule. Darf oder soll Bodman seinen Doktortitel behalten? »Doktortitel trotz Massenmord« überschrieb Wade seinen Beitrag. Der Arbeitskreis kam zum Ergebnis »Ja«, wobei es unter den Mitgliedern auch eine starke Minderheit mit anderer Ansicht gibt, so Wade.
Der Grund ist juristisch. Die Doktorwürde darf nur aberkannt werden, wenn »wissenschaftliches Fehlverhalten« vorliegt. Sprich Plagiat oder Fälschung, interessanterweise auch Sachbeschädigung oder Gewalt gegen Kollegen. Bei von Bodmans Morden kann man aber keinen wissenschaftlichen Hintergrund erkennen. Der KZ-Arzt Josef Mengele habe versucht, seine Untaten wissenschaftlich zu verbrämen, die Mühe hat sich von Bodman nicht gemacht. Mengele hat seinen Doktor verloren, allerdings war bis zu einer Reform des Landeshochschulgesetzes 2018 die Aberkennung noch wegen »ehrlosem Verhalten« möglich. Keine Arbeiten, keine (Pseudo)-Studien, keine Veröffentlichungen: Von Bodman war schlicht ein Mörder. Auch wenn es nicht dem »moralischen Empfinden« entspräche, lasse die Rechtslage eine Aberkennung nicht zu.
Von Bodman war wohl kein brillanter Wissenschaftler, wenn überhaupt. Seine Doktorarbeit zeuge von Fleiß, lasse aber eigene Gedanken vermissen, schrieb einer der Gutachter und süffisant »die Note genügend ist ausreichend«. War er also nur ein »mordlüsterner Rassenfanatiker«, wie Sybille Ehrhardt formulierte? Ehrhardt hat sich intensiv mit dem Schicksal von Lagerinsassen beschäftigt, in Arbeitslagern in Estland traf von Bodman auf spätere Zeitzeugen. Sie erinnerten sich nicht an ein Stethoskop, sondern an die Pistole und den prächtigen Dolch am Gürtel, berichtete sie. Allerdings konnte der KZ-Arzt rational abwägen. Die Häftlinge im Ölschieferabbau sollten ja funktionieren, Treibstoff für die Kriegsmaschine herstellen.
Mangelnde Ernährung und Hygiene standen dem entgegen, was von Bodman in seinen Berichten kritisch vermerkte. Mit Humanität hatte das nichts zu tun, mit Ökonomie schon. Kranke Häftlinge wurden von ihm nicht geheilt, sondern getötet, auch mit eigener Hand. Typhus-Epidemien mit der Giftspritze oder Gas eingedämmt. Und die Zeitzeugen berichten von zahllosen Vorgängen, die von einem tiefsitzenden Sadismus zeugen. Er habe Kinder in die Luft geworfen und im Fallen erschossen, einen älteren Insassen erdolcht, Häftlinge lebendig auf glühenden Schlackehaufen verbrennen lassen und Neugeborene lebend in die Öfen geworfen. »Die Schlächterabteilung ist da«, habe es im Lager geheißen, wenn von Bodman mit seinen Helfern auftauchte.
Kein brillanter Wissenschaftler
Der Ölschieferabbau führte letztlich zur Identifizierung von Franz von Bodman. Die Häftlinge kamen zum Teil ins Lager Dautmergen, gar nicht weit weg von Zwiefaltendorf. Nach der Befreiung der Lager des »Unternehmens Wüste«, der Ölschiefer-Lager, traf einer der Estland-Überlebenden auf einen Ortsansässigen, der die Familie von Bodman kannte. Mit Unterstützung der französischen Militärpolizei konnte der Überlebende Franz, den Schlächter, auf einem Foto identifizieren.
Von Bodman nahm sich am 25. Mai 1945 das Leben, seine Geschichte ist damit nicht zu Ende, wie das rege Interesse an der Veranstaltung in Zwiefaltendorf mit rund 150 Gästen oder die Forschungen der Universität Tübingen und die Arbeiten von Sybille Ehrhardt zeigen. Die Aufarbeitung der Affäre Bodman wurde maßgeblich vom ehemaligen Riedlinger Bürgermeister Hans Petermann und von dem Journalisten Raimund Weible vorangetrieben, die beide bei der Veranstaltung anwesend waren. Unterstützt werden sie von der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Biberach und der Volkshochschule Donau-Bussen, die in Zwiefaltendorf Organisatoren waren, sowie von der Stadt Riedlingen und der Ortsverwaltung Zwiefaltendorf sowie dem Forschungsbereich Geschichte und Ethik in der Medizin des Zentrums für Psychiatrie (ZfP) Südwürttemberg. »Mit «Der Name weg» ist es nicht getan«, lautete das Schlusswort von Hans Petermann. (GEA)