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Kommunale Pflegekonferenz im Landkreis Reutlingen geht an den Start

Der Landkreis Reutlingen hat die Kommunale Pflegekonferenz ins Leben gerufen. Als Netzwerk will sie kommunale Pflegeinfrastrukturen bedarfsgerecht verbessern.

Rund 100 Vertreter von Kommunen waren zur Gründungssitzung der Kommunalen Pflegekonferenz nach Münsingen gekommen. Prof. Dr. And
Rund 100 Vertreter von Kommunen waren zur Gründungssitzung der Kommunalen Pflegekonferenz nach Münsingen gekommen. Prof. Dr. Andreas Kruse referierte. Foto: Maria Bloching
Rund 100 Vertreter von Kommunen waren zur Gründungssitzung der Kommunalen Pflegekonferenz nach Münsingen gekommen. Prof. Dr. Andreas Kruse referierte.
Foto: Maria Bloching

MÜNSINGEN. Oberstes Ziel dieser vom Land geförderten Kommunalen Pflegekonferenz ist es zu ermöglichen, dass Menschen mit und ohne Pflege- und Unterstützungsbedarf möglichst lange in ihrem Sozialraum mit Lebensqualität leben können. Dafür braucht es aber vor Ort ein Sorgenetz ganz unterschiedlicher Akteure aus dem professionellen und bürgerschaftlichen Bereich, sogenannte »Sorgende Gemeinschaften«. Sie stehen im Fokus der neu gegründeten Kommunalen Pflegekonferenz im Landkreis Reutlingen, die laut Sozialdezernent Andreas Bauer »kein festes Konzept überstülpen« will, sondern bei dem, was in den Kommunen bereits vorhanden ist, unterstützen.

Nachbarschaftshilfe, Essen auf Rädern, Quartiersentwicklung, ambulante oder stationäre Pflege – all diese Strukturen gibt es längst. Sie sollen ebenso wie bürgerschaftliches Engagement gestärkt und ausgebaut werden, am besten durch sektorenübergreifende Vernetzung und durch eine Entwicklung neuer Lösungsansätze mit allen Beteiligten. »Wir betrachten Menschen mit unterschiedlichen Unterstützungsbedarfen über alle Lebensspannen und Generationen hinweg. Das dient dem Wohl aller«, zeigte sich Bauer überzeugt. Durch ein breitgefächertes Netzwerk wolle man Doppelstrukturen vermeiden, Kapazitäten freisetzen und einen Mehrwert für die gesamte Gesellschaft schaffen, dieser fortlaufende Prozess bedürfe eines stetigen Austauschs. Es gehe um die Verbesserung von Teilhabe und Lebensqualität bis ins hohe Alter, ja sogar bis hin zu einem würdigen Lebensende.

Prof. Dr. Andreas Kruse sprach über Sorgende Gemeinschaften.
Prof. Dr. Andreas Kruse sprach über Sorgende Gemeinschaften. Foto: Maria Bloching
Prof. Dr. Andreas Kruse sprach über Sorgende Gemeinschaften.
Foto: Maria Bloching

Kommunen blicken dabei über ihren eigenen Tellerrand hinaus, erfahren, was sich in anderen Gemeinden des Landkreises tut. »Jede Gemeinde hat ihre eigene Bedarfslage und nutzt individuelle Herangehensweisen. Wir können voneinander lernen, Wissen und Erfahrung austauschen.« Bauer sprach bei der Gründungssitzung am Mittwochabend in der Münsinger Zehntscheuer in Bezug auf die demografische Entwicklung von einer »gesamtgesellschaftlichen Herausforderung« und von einem »gemeinschaftlichen Verantwortungsbewusstsein«. Unkonventionelle Lösungen seien gefragt, hierfür müssten »dicke Bretter gebohrt« werden. »Unser übergeordnetes Ziel ist die Sorgende Gemeinschaft, eine Zivilgesellschaft mit Querschnittsaufgaben, die allen Menschen eine lebenswerte Zukunft bieten kann, in dem sich viele tatkräftig füreinander einsetzen«, so Bauer.

Ohne Ehrenamt geht es nicht

Dass die gegenseitige Sorge eine elementare Dimension der menschlichen Existenz ist, machte Professor Dr. Andreas Kruse aus Heidelberg mit seinem fesselnden Vortrag deutlich. Er betonte, dass wahres Leben und erfüllte Existenz eng mit der Begegnung und dem Austausch zwischen Menschen verbunden sind. Sorgende Gemeinschaften würden nicht nur soziale Netzwerke schaffen, sondern auch das individuelle Wohlbefinden fördern und dazu beitragen, dass sich Menschen wertgeschätzt und eingebunden fühlen. Neben aller Kunst der Medizin, der Arbeit und Seelsorge, sei deshalb die Begegnung der Menschen untereinander äußerst bedeutsam. So gehe es bei Schlaganfallpatienten nicht allein darum, bestimmte Funktionsabläufe zu verfeinern. In den Prozess der Rehabilitation müsse auch die Biografie des Patienten Eingang finden. Dasselbe gelte für Menschen mit neurokognitiven Störungen: »Wir müssen schauen, welche Fähigkeiten noch in dieser Person schlummern und diese mit Empathie fördern.« Sorgende Gemeinschaften leben laut Kruse von der Demokratie, aber auch die Demokratie brauche sorgende Strukturen, die Freundschaft in sich tragen. Jede Begegnung sei von einem Beginn geprägt und schaffe Neues, bedeutsam für Menschen in Grenzsituationen sei das Gebrauchtsein: »Sie wollen nicht nur Hilfe und Unterstützung annehmen, sondern diese auch erwidern.« Ohne ehrenamtliches Engagement gehe aber eine Sorgende Gemeinschaft nicht: »Bürger tragen wesentlich zum Gemeinwohl bei.«

Gesamtgesellschaftliche Herangehensweise 

Richard Händel vom Bosch Digital Innovation Hub gab einen Einblick, wie Digitalisierung für sorgende Gemeinschaften genutzt werden kann. So etwa mit Onlineplattformen zur Koordination von Helfernetzwerken. Für den Landkreis Reutlingen ist klar: Aktuelle und zukünftige komplexe Problemstellungen verlangen eine gesamtgesellschaftliche Herangehensweise. Er nimmt mit der Kommunalen Pflegekonferenz eine Schlüsselfunktion zur zukunftssicheren Gestaltung der Versorgungsstrukturen ein. Diese beinhaltet eine Optimierung des Zusammenspiels von formellen und informellen Unterstützungsstrukturen, die Stärkung des Miteinanders in den Gemeinden sowie der Mitverantwortung der Bürger bei der Gestaltung des Sorgeraums sowie die Umsetzung motivierender und erfolgversprechender Projekte. Pflege gehört in die Mitte der Gesellschaft, braucht einen gesellschaftlichen Diskurs, Engagement und neue Ideen.

Gabriele Gerstmeier, Altenhilfefachberaterin beim Landratsamt, ist dabei Ansprechpartnerin für die Gemeinden. Sie weiß, dass die Entwicklung von Sorgestrukturen Zeit und Geduld braucht. Ihr geht es um die Schaffung von Synergien zwischen den Gemeinden, um die Bildung eines Rahmens für Initiativen aller engagierten Beteiligten. Sie berät gezielt, vermittelt und gibt fachlichen Input. »So können wir den Herausforderungen der demografischen Entwicklung begegnen. Wir wollen bereits jetzt präventiv agieren, um den Eintritt in die Pflegebedürftigkeit möglichst zu vermeiden«, sagte sie. Die Gründungssitzung mit rund 100 Vertretern aus Kommunen, Bürgerschaft und Einrichtungen war der Auftakt für einen Prozess, in dem sich vor Ort etwas auf langfristige Sicht entwickeln soll.