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Aktuell Ortsgeschichte

Kirchenbau und Katastrophen in Gächingen

400-Jahr-Jubiläum gibt in Gächingen Anlass für einen spannenden Rückblick ins 17. Jahrhundert

Das 400-Jahr-Jubiläum der Gächinger St. Georgskirche in ihrer heutigen Form ist am Wochenende gefeiert worden. Teil des Festprog
Das 400-Jahr-Jubiläum der Gächinger St. Georgskirche in ihrer heutigen Form ist am Wochenende gefeiert worden. Teil des Festprogramms war ein spannender Vortrag über das Dorf im Dreißigjährigen Krieg. Foto: Christine Dewald
Das 400-Jahr-Jubiläum der Gächinger St. Georgskirche in ihrer heutigen Form ist am Wochenende gefeiert worden. Teil des Festprogramms war ein spannender Vortrag über das Dorf im Dreißigjährigen Krieg.
Foto: Christine Dewald

ST. JOHANN-GÄCHINGEN. Ob sie wohl ahnten, was bevorstand, und ihr Gotteshaus deshalb so wehrhaft bauten? Als 1619 – vor vierhundert Jahren – die Gä-chinger Georgskirche in ihrer jetzigen Form fertiggestellt wurde, hatte der Dreißigjährige Krieg bereits begonnen. Er endete für viele Landstriche und viele Orte in einer Katastrophe – auch für Gächingen. 1643 wurde das Dorf abgebrannt, nachdem Ortsherrschaft und marodierende Soldaten das letzte Bisschen geplündert hatten. »Man konnte von Gächingen nichts mehr holen.«

In eine der dunkelsten Zeiten der Gächinger Ortsgeschichte versetzte Bertram Fink, als Sprengelarchivar im Landeskirchlichen Archiv in Stuttgart auch für die Prälatur Reutlingen zuständig, jetzt zahlreiche Zuhörer. Sein Vortrag über »Gächingen im 17. Jahrhundert« war Teil des Festwochenendes, mit dem die evangelische Kirchengemeinde das 400-Jahr-Jubiläum ihres Gotteshauses feierte. Wobei viele Teile der Kirche sehr viel älter sind, wie Pfarrerin Maike Sachs einführend berichtete.

Am Vorabend der Katastrophe war Gächingen Teil einer bis ins Kleinste regulierten, festgefügten Welt. Die Ortsherrschaft lag beim Herzog von Württemberg, doch auch die Klöster Offenhausen und Zwiefalten besaßen Höfe im Dorf. Deren Bewohner waren Leibeigene: Zu heiraten oder gar fortzuziehen, war nur mit Genehmigung der Herrschaft möglich. Abgaben waren auf die Ernte aus Acker, Wiesen und Gärten und sogar nach einem Todesfall zu leisten.

Armut und Hunger

Auch ins kirchliche Leben seiner Untertanen griff der Landesherr unmittelbar ein, nicht nur durch sein Recht, den Pfarrer zu ernennen. Kirchenordnung und weltliche Gerichtsbarkeit durchdrangen sich in vielen Bereichen und verfolgten auch Verfehlungen wie Gotteslästerung, uneheliche Schwangerschaft oder die Entheiligung des Sonntags durch Arbeit. »Der Autonomiebereich der Gächinger Gemeinde« lag, wie Bertram Fink berichtete, in der Verwaltung der gemeinschaftlich genutzten Weiden und Wälder. Eine frühe »Genossenschaft«, nannte es der Sprengelarchivar.

Noch weit schlechter dran als die Bauern auf den Lehenshöfen waren die vielen Häusler und Tagelöhner, die Anfang des 17. Jahrhunderts in Gächingen ihr Leben fristeten. Mit 248 Einwohnern im Jahr 1601 waren im kleinen Albdorf »die Grenzen des Nahrungsspielraums erreicht«, mehr Menschen wurden nicht satt von den verfügbaren Flächen. Die in den Jahrzehnten zuvor schnell gewachsene Einwohnerzahl stagnierte. Einer kleinen bäuerlichen Oberschicht stand eine große Unterschicht gegenüber, Armut und Hunger gehörten in der Zeit des Kirchenbaus im »übervölkerten Gächingen« zum Alltag, wie Bertram Fink berichtete.

Gut fünfzig Jahre und eine Folge von verheerenden Kriegen später lebten – oder überlebten – noch 21 Gächinger. Wer sich nicht in die ummauerten Städte Urach oder Münsingen hatte retten können, wurde erschlagen. Zahllose Menschen starben an Hunger und Pest. In Gächingen waren so viele Opfer zu beklagen, dass die Toten gar nicht mehr in die Kirchenbücher aufgenommen wurden. Von den 68 Gebäuden, die 1634 im Dorf gezählt wurden, standen noch neun. Der weitaus größte Teil der Ackerflächen war brach gefallen. Fink: »Die Lebensgrund-lage der Menschen war zerstört.«

Nur wenige überlebten

Auch im kirchlichen Leben wurde den Gächingern der Boden unter den Füßen entzogen. Nachdem ihr Dorf mit der Pfandschaft Achalm an die Herrschaft Tirol fiel, wurde der Katholizismus wieder eingeführt. Dazu kamen Einquartierungen von Kriegsvolk, die vor allem im Winter zur unerträglichen Belastung für die Bevölkerung wurden. Gächingen war am Ende, wie viele Albdörfer war es fast völlig zerstört.

Nach der Katastrophe, die die Landschaft verwüstet und die wenigen Überlebenden traumatisiert zurückgelassen hatte, war es die Kirche, die nach und nach wieder Normalität und verbindliche Werte in den Alltag der Menschen brachte. Fast dreißig Jahre nach dem Kriegsende wurde im Dorf wieder ein Pfarrer eingesetzt: »Das Leben hat sich wieder nach Gächingen zurückgefunden.« Doch es dauerte fast hundert Jahre, bis das Dorf wieder so viele Einwohner zählte wie vor dem Dreißigjährigen Krieg. (GEA)