MÜNSINGEN. Es war schon ein sehr ungewöhnlicher Prozess. Ein Mann zündet im Juli 2024 in Münsingen ein Mehrfamilienhaus an, bringt mehrere Menschen damit in Lebensgefahr, nur um möglichst lange in den Knast zu kommen. Dieses Vorhaben hat er nun weitgehend erreicht. Die Schwurgerichtskammer des Tübinger Landgerichts verurteilte den 61-Jährigen am Donnerstag wegen versuchten Mordes in neun Fällen in Tateinheit mit versuchter Brandstiftung mit Todesfolge und schwerer Brandstiftung zu einer Haftstrafe von acht Jahren.
Was waren die Motive des 61-Jährigen? Warum hat er den Dachstuhl des Hauses in Brand gesetzt? Der Angeklagte habe sich damals »in einer ausweglosen Situation« gesehen, urteilte am Donnerstag der Vorsitzende Richter Armin Ernst. Dem Mann sei es schlecht gegangen, finanziell wie gesundheitlich. Die Kündigung seiner Wohnung stand an, er hatte Angst, obdachlos zu werden. Auch seine private Krankenversicherung hatte er verloren.
Hassgefühle und Groll
Doch für das Schwurgericht gab es noch eine zweite Motivlage für die Brandstiftung. Der 61-Jährige hatte »massiven Ärger mit der Nachbarschaft«, so Ernst. Hassgefühle und Groll hätten sich bei dem Angeklagten damals breit gemacht. Außerdem habe der Mann wahnhafte Züge entwickelt, er habe sich von den Nachbarn beobachtet und belauscht gefühlt.
Der Angeklagte habe schließlich mit der Brandstiftung »ein Zeichen setzen wollen«, erklärte Ernst. Nach Auffassung des Gerichts plante der 61-Jährige einige Tage vor der Tat, in seinem Lattenverschlag auf dem Dachboden des Mehrfamilienhauses Feuer zu legen. Ursprünglich habe der Angeklagte auch vorgehabt, den Keller in Brand zu setzen, damit »möglichst viele Menschen ums Leben kommen«. Doch nachdem die Rauchmelder im Treppenhaus nach der Brandlegung schon frühzeitig Alarm geschlagen hätten, habe er diesen Plan verworfen.
Der Brandstifter verließ das brennende Haus. Glücklicherweise war die Feuerwehr schnell vor Ort und konnte den Brand rasch unter Kontrolle bringen. Die Flammen zerstörten nur den Dachboden und das Gebälk, auf den Rest des Hauses griffen sie nicht über. Dennoch entstand ein Schaden von rund 150.000 Euro.
Zwei Frauen konnten sich gerade noch retten
Zum Zeitpunkt des Brandes kurz vor elf Uhr waren zwei Frauen in ihren Wohnungen. Die eine konnte sich über ihre Terrassentür ins Freie retten, der anderen gelang, nachdem Nachbarn sie auf das Feuer aufmerksam gemacht hatten, über das Treppenhaus die Flucht. »Es war zum Glück noch nicht so verraucht«, meinte der Richter. Eine Rauchgasvergiftung habe die Frau deshalb nicht erlitten. Für sie habe »keine konkrete Lebensgefahr bestanden«. Allerdings hätte das Feuer auch auf das Nachbarhaus übergreifen können. »Dass das nicht geschehen ist, war großes Glück.« Das sei nur der Feuerwehr zu verdanken, betonte Ernst in der Urteilsverkündung.
In dem Prozess vor dem Schwurgericht war es auch darum gegangen, ob der Angeklagte psychisch krank ist. Der Gutachter allerdings verneinte dies. Die Schuld- und Einsichtsfähigkeit sei bei dem 61-Jährigen nicht eingeschränkt gewesen. Er leide allenfalls unter einer depressiven Anpassungsstörung, so der Gutachter.
Mit Tötungsvorsatz gehandelt
Der Angeklagte hat, wie das Gericht gestern urteilte, »bei der Brandlegung mit Tötungsvorsatz gehandelt«. Bei der Tat gehe es deshalb um einen versuchten Mord. Das Mordmerkmal der Gemeingefährlichkeit sei erfüllt. Im Prozess hatte der Angeklagte zu seinen Motiven geschwiegen. Auch am Donnerstag blieb er weitgehend still. Sein Verteidiger Kay in der Stroth musste sich für sein Plädoyer keine große Mühe geben. Es fiel sehr kurz aus. »Meine Verteidigung ist nicht gewünscht«, sagt er nur. Er müsse keine weiteren entlastenden Ausführungen machen.
Mit dem Urteil hat der Angeklagte sein Ziel erreicht. Möglicherweise ärgerte er sich noch darüber, dass das Gericht nicht den Ausführungen von Staatsanwalt Burkhard Werner gefolgt ist. Er hätte ihn gerne für zwölf Jahre hinter Gittern gesehen. Auch für Werner war der Tötungsvorsatz des Angeklagten unzweifelhaft. Der 61-Jährige habe »mit hoher krimineller Energie« die Tat genau geplant und nicht aus dem Bauch heraus gehandelt. Der Angeklagte solle sich nun aber seine Haftzeit nicht zu schön ausmalen. Seine zukünftigen Mitbewohner seien sicher »alles andere als angenehm«. (GEA)
Im Gerichtssaal
Gericht: Armin Ernst (Vorsitzender Richter), Benjamin Meyer-Kuschmierz, Julia Merkle. Schöffen: Ralf Glausinger, Carolin Ruprecht. Staatsanwalt: Burkhard Werner. Verteidiger: Kay in der Stroth. Psychiatrischer Gutachter: Dr. Alex Theodor Gogolkiewicz.