MÜNSINGEN. »Eine himbeerillusion lang« lautet das Gedicht von Reinhard Krehl an der ersten Tafel des Gedicht-Rundwegs auf dem Hungerberg bei Münsingen. Der Blick streift hin zur Martinskirche, der Forst hat eine Sichtachse freigeräumt. Zwischen den Buchen ist im Indian Summer auf der Alb, so Bürgermeister Mike Münzing, gut sein. Der Rundweg deckt sich mit dem Hungerberg-Weg W1, an zehn Stationen sind die Gedichte von Krehl zu finden.
Krehl hat Spaziergangsforschung studiert, das kann oder konnte man tatsächlich. Der Studiengang hat bei Krehl in die Kunst geführt, im Gedichtband »zwischen hochbehälter und wolken« hat der Münsinger seine Heimat verewigt, zehn der Gedichte kann man jetzt genau dort genießen, wo sie entstanden sind.
Himbeeren und Kriegers Kreuz
Die Idee zum Gedicht-Rundweg stammt vom Dichter, beim Bürgermeister und der Stadt stieß er auf offene Ohren. »Die Idee kam zur richtigen Zeit, im Genehmigungsverfahren zu den Hungerberg- und Galgenbergrunden waren wir schon weit«, erklärte Tourismus-Chef Hans-Peter Engelhart bei der Eröffnung des Themenwegs. Das Kulturamt von Yannik Krebs war mit im Boot, Unterstützung kam von Forst und Bauhof und engagierten Bürgern wie Edgar Braig.
Der Weg ist multimedial aufgebaut. Mittels QR-Code können an den Tafeln die Texte abgerufen werden. Und man kann sich Krehls kleine Kunstwerke vorlesen lassen. »Nicht jeder ist im Gedichtelesen geübt. Und vielleicht sind QR-Code und Audioformat ein Zugang für die jüngere, smartphoneaffine Generation.« Gesprochen wurden die Texte von den professionellen Schauspielern Regina Hintzenstern (Reginate) und Franz Xaver Ott (Theater Lindenhof). »Wir wollten eine weibliche und eine männliche Stimme«, erklärte Yannik Krebs. Aufgenommen wurden die Clips im Tonstudio, »was wir machen, machen wir richtig«, betont Engelhardt.
Regina Hintzenstern war bei der Eröffnung vor Ort über den Höhen von Münsingen, in persona klingt es doch besser, vor allem vorgetragen von einer geschulten Stimme. Die Smartphone-Version lässt sich aber auch hören.
Natur, Mensch, Kultur und Biosphäre sollen auf dem neuen Weg zusammenkommen, so Mike Münzing. Mit Krehl hat der Bürgermeister einen Glücksgriff getan, meint er: Von Münsingen nach Leipzig, aber immer mit einem Standbein zu Hause: »Vielleicht muss man manchmal weg, um zu sehen, wie schön es hier ist«, philosophiert der Bürgermeister.
6,4 Kilometer zum Nachdenken
Ein »Philosophenweg« war von Engelhart und Krebs angedacht, aber mit Krehl, Hintzenstern und Ott konnten sie »etwas Eigenes machen«. Der Gedicht-Rundweg ist in das Wandernetz Münsingens mit zehn »W«-Wegen und den vier Premiumwanderwegen der »hochgehberge« eingeflochten.
Im kommenden Jahr ertüchtigt der Schwäbische Albverein sein (Fern-)Wegenetz, Münsingen wird für Wanderer dann noch attraktiver. Start ist oben auf dem Hungerberg beim Parkplatz P3 des Freibads, das man ab und an durchs Gehölz schimmern sehen kann, der Weg ist 6,4 Kilometer lang.
DAS BUCH
Das Buch »zwischen hochbehälter und wolken« mit Gedichten und Drucken von Reinhard Krehl ist in der Connewitzer Verlagsbuchhandlung Edition Wörtersee erschienen und im Buchhandel und nahe des Rundwegs in der Münsinger Buchhandlung One und im Tourist-Büro erhältlich. (GEA)
Über die Gedichte lohnt es, länger nachzudenken, auch wenn sie von Regina Hintzenstern und Franz Xaver Ott ge-konnt gelesen werden. Krehl greift auf, was ihm auf seinen Spaziergängen auffiel, neben den Himbeeren etwa der Weißgerber, natürlich der »hochbehälter« oder das jetzt vom Laube befreite »kriegers kreuz«, dass an einen lange verstorbenen Soldaten erinnert. »Man wird auf das Verborgene aufmerksam«, glaubt Engelhardt, ob Pflanzen oder Grabkreuze.
Auch Erinnerungen kommen hoch. Ursula Requard dachte »eine himbeerillusion lang« an ihre erste Geburt. Im alten Münsinger Krankenhaus, das unterhalb der ersten Tafel liegt, musste sie einst länger als erwartet auf die Hebamme warten: »Die war noch in den Himbeeren«, sagt sie lachend. (GEA)