ENGSTINGEN-KOHLSTETTEN. Der einzige Gasthof in Kohlstetten, der Adler, hat wieder geöffnet. Das Pächterehepaar Sandra Baur-Raihani und Issam Raihani, die »Albnomaden«, wagt den Schritt: »Viele machen zu, wir machen auf«, sagt Organisatorin Sandra. Ehemann Issam steht in der Küche, »seine Rezepte verrät er nicht mal mir«, ulkt Sandra. Seit Oktober hat der Adler jeden Freitag und Samstag ab 18 Uhr geöffnet, ein Sprung ins ganz kalte Wasser war es nicht. Denn die Alb-Nomaden sind in und um Engstingen schon gut bekannt und auch schon länger im Adler zugange. Als Caterer bei Veranstaltungen, und der Adler hatte bereits seit dem Frühjahr an jedem ersten und zweiten Freitag im Monat geöffnet. Am ersten mit dem »Schwäbischen Abend à la carte« mit drei Klassikern der lokalen Küche, am zweiten mit einer »Kulinarischen Reise zu den Aromen Marokkos«, einem Kennenlern-Büfettabend - beides gut angenommen.
Leader-Förderung hilft beim Start-up
Die Wiederbelebung der Ortsmitte wurde auch durch Leader-Förderung möglich, die Albnomaden bekamen Unterstützung aus dem Leader-Budget für einen Kühltisch, einen Tiefkühlschrank (Freezer), eine gastronomietaugliche Kaffeemaschine, eine Kuchenvitrine und ein gesetzeskonformes Kassensystem - ohne Beleg geht es ja in der Gastronomie nicht mehr, so will's das Finanzamt. Nicht zu vergessen eine Rührmaschine zum Spätzle machen, den Issams Kässpätzle sind jetzt schon legendär und ein Renner. Leader-Regionalmanager Hannes Bartholl kennt und schätzt Kohlstetten als umtriebigen Ort: Leader hat bereits den Kohlstetter Tisch, das Lädle und die Engstinger Lastenräder gefördert. »Aktive Menschen, die einen Ort voranbringen wollen, sind genau das, was wir brauchen«, sagt Bartholl bei der Übergabe der Leader-Plakette an die Albnomaden. Ortsvorsteher Martin Mauser vernimmt's mit Freuden, auch wenn er das schon wusste.
Dem Dorf fehlte eine Begegnungsstätte, den Raihanis ein Ort, an dem sie ihre Ideen verwirklichen konnten. Dass Kohlstetten wieder ein Gasthaus hat, freut auch Bürgermeister Mario Storz:» Das Wirtshaus im Ort spielt für die Gemeinschaft eine wichtige Rolle.« Sie wollten schwäbische, marokkanische und mediterrane Küche verbinden, mit Schwerpunkt auf Marokko. Auf ihren Reisen nach Nordafrika haben sie dort alles durchprobiert und die Erkenntnis mitgebracht:»Es kann nicht sein, dass der Schwabe das nicht mag«, sagt Sandra. Beim Catering und den freitäglichen Schnupperabenden wurde der Gedanke auf die Realitätsprobe gestellt, und das Konzept kam von Anfang an gut an. Mal was anderes, das spricht die Kunden an. Und bei vielen werden Erinnerungen wach, an eine lange zurückliegende Marokko-Reise: Bei Tajine oder einem Zitronenhuhn werden sie wieder lebendig, und Emotionen kommen hoch. »Es gibt an den Abenden auch mal stehenden Applaus«, sagt Sandra lachend, und das von Schwaben, für die eigentlich nicht geschimpft genug gelobt ist. Von Firmen und Institutionen, die ihren Mitarbeitern mal was anderes anbieten wollen, ebenfalls.
Schnupperabende kamen gut an
Der Adler ist ein Glücksfall. Von außen sieht er gar nicht so groß aus, aber in der Gaststube und im Saal gibt es 140 Plätze. Dazu kommt im nächsten Sommer der Biergarten, hier können noch einmal 30 Hungrige oder Durstige Platz finden, Issam und Sandra denken auch an einen Brunch. Servicepersonal zu finden war zuerst nicht so einfach, mittlerweile hat sich aber ein Stamm junger Kohlstetter gefunden, freut sich Sandra, auch Tochter Meryam packt mit an. Kohlstetten kann Ausgangspunkt oder Zwischenstation für Wanderer und Radfahrer sein - die Radfahrkirche ist schließlich gleich um die Ecke. Die Gäste kommen von weit her, die Raihanis freut es aber vor allem, dass Kohlstetter und der Rest der Engstinger ebenfalls zuhauf kommen.
»Kohlstetten ist etwas ganz Besonderes«, sagt Sandra. Der kleinste Engstinger Teilort stellt einiges auf die Beine. Mit dem Kohlstetter Lädle gibt es eine ehrenamtlich betriebene Einkaufsmöglichkeit, die »Kohlstetter Gespräche« locken, die Kirche ist aktiv und lädt die ganze Woche über als »Offene Kirche« ein. Und alles wird angenommen - die Dorfgemeinschaft funktioniert. Was noch fehlte, war ein Treffpunkt, und den wird es im Adler jetzt geben. Um die Akzeptanz sorgt sich Issam nicht, das bergige Marokko scheint die Mittelgebirgler von der Alb anzuziehen.
Die Küche war schon auf dem neuesten Stand, bevor die Raihanis sie übernahmen, strahlt in Edelstahl und passt zu Issams Arbeitsabläufen. Fürs Catering und die Freitagabende wird hier schon länger gekocht, alles passt. Das wichtige Küchengerät ist schon da, darunter der haubenförmige Schmortopf aus gebranntem Lehm fürs gleichnamige Gericht Tajine und andere Hilfsmittel aus Marokko. Das alles wird, wie Gewürze und alles, was sich hält, direkt in Nordafrika eingekauft. Einmal im Jahr geht es auf Shoppingtour, den Transport übernimmt ein Spediteur. Frische Ware kommt aus der Region, so wie das Huhn oder das Lamm für das marokkanische Schmorgericht, Gemüse und Salate. Und natürlich alles, was man für schwäbisches Essen braucht.
Denn eines verspricht Issam: »Spätzle gibt's immer«. Und seine Spätzle und Kässpätzle seien die besten weit und breit, verspricht Sandra. Schnitzel oder mediterrane Schupfnudeln wird es auch geben, für die »was der Schwabe nicht kennt«-Fraktion. Linsen auch, allerdings als Rote Linsensuppe mit Kartoffeln, Karotten und Kokosmilch. Also rein in den Adler, mit der klassischen Einrichtung einer guten, alten Dorfkneipe, aber mit bunten glasierten Tellern zwischen dem Fachwerk - halt schwäbisch-marokkanisch. (GEA)


