SIGMARINGEN/GAMMERTINGEN. Können Reste eines Feuerwerks in Minutenschnelle ein Großfeuer entfachen? Ja, meinte der Sachverständige Karl-Heinz Simon für Brand- und Explosionsursachen am dritten Prozesstag gegen den Pyrotechniker, der den Brand im Juli 2022 bei der Hochzeit von Bruno Göggel verursacht haben soll - fahrlässige Brandstiftung lautet der Vorwurf.
Ein Feuerwerk soll fauchend in den Himmel steigen, dort explodieren, die Reste sollen ausgebrannt auf den Boden zurücksinken. Klappt ja meistens auch, siehe Silvester. Die Staatsanwältin, die die Anklage leitet, geht aber davon aus, dass genug Reste auf den Reifenstapeln landeten, um an mindestens zwei Stellen ein Feuer zu entfachen. Um das zu prüfen, wurde ein Gutachter eingeschaltet, der versuchte, das in einem Experiment nachzustellen. Die Ergebnisse wurden in Videoclips am zweiten Verhandlungstag vorgestellt, wenig überzeugend: In zehn Versuchen gelang es nur einmal, die die Reifen einhüllende feste Folie zu entzünden. Mit Reifen wurde erst gar nicht gearbeitet.
Überzeugender war der Vortrag des Sachverständigen Karl-Heinz Simon. Simon hat den Prozess an allen drei Tagen begleitet und gab nun seine Einschätzung ab. Der Ursachenermittler stützt sich auf Zeugenaussagen, Fotos und Video-Clips. Für den Zeitrahmen hat er Folgendes rekonstruiert: Beginn des Feuerwerks um 23.10 Uhr am 23. Juli 2022, Ende gegen 23.23 Uhr, Beginn des Feuers spätestens um 23.30 Uhr, bestätigt durch den Alarm der Feuermeldeanlage in der später abgebrannten Halle, Eintreffen der Feuerwehr - eine Brandwache war bereits vor Ort - um 23.45 Uhr. Um 23.54 Uhr kann man auf einer Drohnenaufnahme bereits meterhohe Flammen erkennen. »Das sind die Rahmenbedingungen«, sagte Simon. Die Spuren würden bestätigen, dass der Brand nicht in, sondern außerhalb der Halle entstanden sei, was auch verschiedene Zeugen so gesehen haben wollten.
Feuer brennt von unten nach oben
Simon hat in einem einfachen Versuch mit der starken Folie, die die Reifen vor Witterung schützt, experimentiert. Ergebnis: Mit einem brennenden Stück Pappe auf den Boden vor die senkrecht aufgehängte Folie gelegt, kann diese entzündet werden. Anders als das Gutachterbüro, das auf ein waagrecht angebrachtes Stück Folie feuerte, vermutet Simon, dass das Feuer sich wie in einem Kamin zwischen den Reifenstapeln aus tieferen Schichten nach oben ausgebreitet hat - in seinem Versuch hat das gut geklappt, die Folie brannte in Sekundenschnelle. Und wenn die Folie erstmal brennt, fallen glühende Tropfen ab, heiß genug, um Reifen abzufackeln. »Reifen sind schwer zu entzünden, aber wenn sie brennen, geben sie viel Hitze ab«, erläuterte er. Das Feuer könnte sich so schnell weiter ausgebreitet haben. Wie Reifen mit wenig Aufwand - einem brennenden Tuch - entzündet werden können, belegte ein Experiment des Landeskriminalamts, auch hier klappte es in kürzester Zeit: Nach fünf, sechs Minuten brannte der Reifen ordentlich, nach zehn Minuten lichterloh - das würde zum Zeitrahmen passen.
370 bis 450 Grad Celsius würden reichen, um einen Reifen zu entzünden -»das schafft jede Flammenspitze«, so Simon. Und brennende Metalle wie Magnesium in Feuerwerk brächten es auf bis zu 1.000 Grad. Allerdings brauche es eine gewisse Masse, wo könnte die hergekommen sein? Ein als Zeuge geladener Security-Mitarbeiter hatte ausgesagt, dass er zwei »rot glühende« Teile vom Himmel fallen sah. Korrekt abgebrannte Reste der Pyrotechnik wurden zwischen den Reifenstapeln gefunden. Der Schluss des Sachverständigen: Eine Brandentstehung durch verirrte, nicht korrekt abgebrannte Feuerwerksteile sei möglich und wegen des Zeitverlaufs und der gleichzeitigen Entstehung von zwei Brandherden wahrscheinlich.
Technische Ursache unwahrscheinlich
Eine technische Ursache schloss Simon eben wegen der zwei Brandherde weitgehend aus. Ebenso geplante Brandstiftung. Einer allein hätte sehr schnell sein müssen, zwei Personen seien denkbar, ebenso eine »Brandfalle«, also ein Zeitzünder. Allerdings sei ihm so eine Falle in drei Jahrzehnten nur zwei- oder dreimal nachweisbar untergekommen. Gegen einen gelegten Brand spräche auch, dass es zwischen den Reifenstapeln kaum ein Durchkommen gab. Etwas reinwerfen hätte man aber gekonnt, darauf wies die Verteidigerin des Pyrotechnikers, die Münchner Staranwältin Regina Rick, hin.
Rick hatte im »Badewannen-Prozess« einen Mann nach 13 Jahren aus dem Gefängnis geholt, eine unschuldig verurteilte Familie nach mehreren Jahren. Indizienurteile widerlegen kann sie also. In den kommenden Tagen will sie sich mit den Aussagen des Sachverständigen Simon genauer auseinandersetzen und am kommenden Montag vielleicht neue Beweisanträge einbringen. Der Versuch von Simon sei ja doch ganz anders aufgebaut gewesen als der des Sachverständigenbüros am zweiten Verhandlungstag. Auf jeden Fall stellte Rick einige Fragen, die Simon bei aller Sorgfalt schlicht nicht beantworten konnte. Nach (Sicherheits-)Abständen, kritischen Massen, Zeitverläufen. Oder zur Rolle der Feuerwehr und des Brandschutzes im Allgemeinen.
Star-Anwältin bleibt hartnäckig
Für ihren Mandanten steht einiges auf dem Spiel. Der Strafbefehl, gegen den er Einspruch eingelegt hatte, lautete auf 120 Tagessätze, damit wäre er vorbestraft. Außerdem ist da der drohende Zivilprozess um Schadensersatzansprüche. 20,1 Millionen Euro hat die Versicherung an die Firma Göggel ausgezahlt, sagte einer der Göggel-Söhne aus, etwa eine Million weniger, als von der Firma Göggel errechnet. Für den Reifenhandel sei die Sache damit erledigt. Für die Brandschutzversicherung aber vielleicht nicht: Sie könnte versuchen, das Geld vom vermeintlich Schuldigen, dem angeklagten Pyrotechniker, zurückzuholen. »Die Pflichtverletzung muss kausal sein«, sagte Rick im Vorblick auf den weiteren Verhandlungsverlauf. »Das müssen Sie mir genauer erklären«, antwortete Richterin Ruth Rosauer. Es bleibt spannend. (GEA)