PFULLINGEN/REUTLINGEN. »Ach ja, du ja auch, hosch di aber guat ghalta!« Ein großes Hallo gab es, als sich jetzt knapp einhundert Handwerksmeister aus 31 Berufsgruppen im Pfullinger Gasthof Südbahnhof trafen. Die Wiedersehensfreude war deutlich zu spüren, neben dem Handschlag gab es oft auch herzliche Umarmungen. Das Besondere lag spürbar in der Luft, denn die Damen und Herren haben ihre Lebensmitte bereits überschritten. So wie Maurermeister Friedrich Köstlin mit 87 oder Konditormeisterin Brigitte Walter mit 76 Jahren, die beiden ältesten anwesenden Jubilare.
Sie alle einte die Tatsache, dass sie vor fünfzig Jahren den Schritt zur beruflichen Fortbildung gewagt und 1973 ihre Meisterprüfung abgelegt hatten. Deshalb zeichnete sie die Kreishandwerkerschaft Reutlingen aus und belohnte sie mit der Urkunde »Goldener Meisterbrief«. Unter den Ehrengästen begrüßte Kreishandwerksmeister Steffen Mohl die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin Christiane Nowottny, einige Innungs-Obermeister und Ehrenobermeister, Ehrenpräsident Günther Hecht sowie Ehrenkreishandwerksmeister Dieter Laible. Umrahmt wurde die Feier von einer Abordnung des Musikvereins Eningen.
Rückblick aufs Jahr 1973
1973 hätten knapp 160 Prüflinge – und damit deutlich mehr als in den Vorjahren – ihre Meisterprüfung abgelegt, blickte Mohl zurück. Die größten Gruppen seien damals Mechaniker, Kfz-Mechaniker, Elektroinstallateure sowie Maler und Lackierer gewesen. Auch habe es Gewerke gegeben, bei denen nur wenige oder sogar nur einzelne Prüfungen stattgefunden hätten. »So gab es beispielsweise nur einen Fotografen, einen Friseur, einen Klavierbauer, einen Rolladen- und Jalousiebauer, einen Uhrmacher und einen Zahntechniker«, listete Mohl auf.
Aufgefallen sei ihm, dass vor 50 Jahren noch acht Gerber ihre Meisterprüfung abgelegt hatten. »Aktuell sind wir dabei, die Gerber-Innung Baden-Württemberg aufzulösen, weil nur noch wenige Betriebe existieren«, sagte Mohl mit Bedauern. Wenn man sich an das Jahr 1973 erinnere, denke man als erstes an die Ölkrise und die daraus resultierenden vier autofreien Sonntage. »Damals kostete Normalbenzin gerade mal 70, Super 77 und Diesel 71 Pfennige.« Heute stünden Energie-Einsparung und -effizienz, Verringerung des CO2-Ausstoßes sowie regenerative Energieerzeugung ganz oben. Auch habe es bis 1973 ein dynamisches Wirtschaftswachstum von 4,3 Prozent gegeben. Parallelen zeige die Inflationsrate. »Die betrug nämlich rekordverdächtige sieben Prozent.«
In Baden-Württemberg sei zum Jahresbeginn 1973 die Kreisreform in Kraft getreten, was eine Reduzierung der Landkreise von 63 auf 35 bedeutete, erinnerte der Kreishandwerksmeister. Sich einer Meisterprüfung zu stellen, sei nicht selbstverständlich, so Mohl weiter. In der Regel müsse man parallel zur beruflichen Tätigkeit einen Vorbereitungskurs absolvieren. »Sie haben mit dieser Entscheidung Mut und Engagement bewiesen und wesentlich zur positiven Entwicklung unserer Volkswirtschaft beigetragen, weshalb heute auch Ihrer beruflichen Lebensleistung gedankt werden soll«, betonte er.
Drei Dinge machten einen guten Handwerksmeister aus: »Wissen, Können und Wollen«, betonte Nowottny in ihrem Grußwort. Der goldene Meisterbrief sei nicht nur eine Auszeichnung für handwerkliches Können und unternehmerischen Erfolg, sondern auch eine Anerkennung für ein Lebenswerk im Dienste des Handwerks, und stehe für jahrzehntelange Hingabe, Durchhaltevermögen und den Mut, sich den stetigen Veränderungen der Wirtschaft zu stellen, führte sie weiter aus.
Berufsbilder heute technischer
Um den Meisterbrief überhaupt zu erhalten, hätten die heutigen Jubilare fachliches Wissen und ihre praktische Kompetenz bewiesen. »Durchhalten und Dranbleiben gehörte in dieser Zeit für Sie alle dazu«, denn auch das Handwerk habe sich in den zurückliegenden 50 Jahren stark verändert, die Berufsbilder seien technischer und moderner geworden. Die Jubilare hätten sich anpassen und viel dazulernen müssen und deswegen keine Zeit zum Rasten gehabt. Vielleicht sollte man jungen Menschen in der Berufsorientierung sagen, dass »ein Handwerksberuf geistig und körperlich fit hält«, erklärte Nowottny, das könne man an den Jubilaren sehen. Sie hätten darüber hinaus nicht nur Arbeitsplätze geschaffen, sondern auch zur Stärkung der regionalen Wirtschaft beigetragen. Wegen des Fachkräftemangels sei es wichtig, das gute Image des Handwerksmeisters noch mehr als bisher herauszustellen. (GEA)