REUTLINGEN/ALB. Gefährliche Körperverletzung, Nötigung, schwere räuberische Erpressung, dazu noch unerlaubtes Handeln mit Betäubungsmitteln, Widerstand gegen Polizeibeamte und das Mitführen von zwei Messern: Die Vorwürfe sind kein Pappenstiel, die die Staatsanwaltschaft einem von der Alb stammenden 20-Jährigen macht. Die ersten drei Delikte hat er gemeinsam mit einem ebenfalls angeklagten 35-Jährigen begangen, für die letzten musste er sich allein verantworten.
Zum ersten Vorwurf: Es war Sommer 2023. Der 20-Jährige saß an einem Abend mit einem Bekannten auf einer Bank in Pfullingen. Zwei Polizisten waren auf Streife. Es habe verdächtig nach Marihuana gerochen, sagt einer der Beamten vor Gericht aus, deshalb hätten er und sein Kollege die beiden jungen Männer kontrollieren wollen. Während der Freund sich kooperativ zeigte, versuchte der 20-Jährige wegzurennen.
»Flüchten darf ich immer«, sagt er. Er habe gewusst, dass der Staat das, was er dabei hatte, in Handeltreiben mit Betäubungsmitteln ummünzen würde, das sei schon mal passiert. Denn bei seiner Durchsuchung fanden die Beamten mehrere Tüten mit Cannabis, gefüllt mit unterschiedlich großen Mengen des Mittels. Außerdem hatte er zwei Messer bei sich, zehn und 15 Zentimeter lang, eines mit beidseitig geschliffener Klinge.
Der 20-Jährige versuchte zu erklären: Er sei tagsüber mit seinem älteren Bruder und zwei Freunden beim Grillen an einem See gewesen. Er habe die Messer zum Schnitzen seines Stöckchens fürs Grillgut gebraucht. Freunde würden sogar richtige Macheten mitnehmen, um das Feuerholz kleinzumachen. Dann sei er nach Reutlingen gefahren, um sich bei einem Kumpel Marihuana zu kaufen. Es habe ihn geärgert, dass der ihm die Ware in verschiedenen Mengen abgepackt gegeben habe. Danach sei er weiter nach Pfullingen gefahren. Sein Bekannter, mit dem er dort angetroffen wurde, sagte, der 20-Jährige habe ihn gefragt, ob sie sich treffen können, der habe eine Stunde Zeit gehabt, bis sein Bus auf die Alb fahre.
Die Grill-Geschichte schien vor Gericht unglaubwürdig. Bei der Polizei habe er angegeben, er hätte die Messer dabei, um sich zu verteidigen, erklärte der Beamte. Im Saal noch einmal nach den Messern gefragt, kam dann eine dritte Version des 20-Jährigen. »Ich lebe auf dem Land, laufe öfter zu Fuß nach Hause, ich muss mich mit den Messern gegen Wildtiere verteidigen.« Das sei eine »Schutzbehauptung«, befand Staatsanwalt Yannik Grams später in seinem Plädoyer. Als der Beamte den Flüchtenden schnappte und zu Boden gerungen habe, wobei ihm sein Kollege zu Hilfe kam, habe der 20-Jährige »richtig Kraft entwickelt«. Aktiv gewehrt habe er sich nicht, nur die Arme unter dem Körper verschränkt, als er auf dem Boden lag, so sieht es seine Verteidigerin, zu der der Angeklagte vorher keinen Kontakt hatte, ebenso wenig erschien er zu einem Gespräch bei der Jugendgerichtshilfe.
Der ganze Vorfall in Pfullingen zog nach sich, dass die Wohnung des 20-Jährigen in dem Dorf auf der Alb, wo er noch bei der Mutter lebt, durchsucht wurde. Dort fand die Polizei unter anderem eine kleine Menge Cannabis - zusammengerechnet liegt die Quantität ein wenig über der nach dem neuen Cannabis-Gesetz zugelassenen Menge -, eine Feinwaage, außerdem wurden Handys und Tablet beschlagnahmt. Eines der Mobiltelefone wurde ausgewertet, in mehreren Chats sei es um Kauf und Verkauf von Marihuana oder O - für Ott, eine Synonym - gegangen, sagte eine Kriminalhauptkommissarin aus.
Der zweite Vorwurf: Im September 2023 hat sich der 20-Jährige mit dem zweiten Angeklagten zusammengetan. Er hat den 35-Jährigen beauftragt, einem weiteren, aus dem gleichen Dorf stammenden, 26-Jährigen, hier T. genannt, zu schreiben. Der hatte ihn nämlich angeblich bei einem »Drogendeal« übers Ohr gehauen und danach auf allen Chat-Kanälen blockiert. »Zur Polizei konnte ich ja nicht gehen«, sagt der 20-Jährige. Also hat er ihm eine Falle gestellt. »Ich habe ein Faketreffen mit T. vereinbart«, sagt der 35-Jährige. Er habe gehofft, so einen Teil der Schulden wiederzubekommen, die der 20-Jährige beim ihm gehabt habe. Für 50 Euro sollte Marihuana gekauft werden.
Ein Teil des Geldes, das man T. wieder abnehmen wollte, und vom Gras hätte er erhalten sollen. Treffpunkt ausgemacht, hingegangen. Der 35-Jährige wartete auf einer Bank, der 20-Jährige versteckte sich. Dumm nur, dass T. noch einen Freund (18) zu dem Treffen beordert hatte, der vor ihm eintraf. Der 20-Jährige kam aus dem Hinterhalt heraus, bewaffnet mit Pfefferspray. Als er seinen Irrtum erkannte, dass es sich nicht um T. handelte, drohten er und sein Komplize dem 18-Jährigen, »ich solle ruhig sein, sonst passiert was«. Also wartete das Duo weiter auf T. Als der kam, ließ der 20-Jährige erneut die Falle zuschnappen, rannte aus seinem Versteck, sprühte Pfefferspray auf T., nahm Gras und Geld und T. in den Schwitzkasten, schlug ihn ins Gesicht. Der 18-Jährige haute mit dem Rad ab und informierte die Polizei und den Rettungsdienst.
Beide Angeklagte haben etliche Einträge im Bundeszentralregister, zum Teil auch einschlägig. Der 35-Jährige gab die vorgeworfene Tat zu, der 20-Jährige war zum Teil geständig. Beim heute 20-Jährigen sei Jugendstrafrecht anzuwenden, so der Staatsanwalt, für ihn sah er eine Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monate für angemessen an. Eine Bewährung solle es nur geben, wenn er sich in den kommenden sechs Monaten an die Weisungen des Gerichts halte, dafür zähle laut Grams, dass er sich einem Bewährungshelfer unterstelle, zur Drogenberatung gehe und eine Woche Dauerarrest.
In einem halben Jahr soll dann ein gesonderter Beschluss über die Bewährung erfolgen. »Sie haben Glück«, sagte Grams. Glück, dass das Cannabis-Gesetz geändert wurde. Glück habe auch der 35-Jährige, dass es sich um einen minderschweren Fall handele, »sonst säßen wir vor dem Landgericht«. Für ihn plädierte der Staatsanwalt auf eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren, 80 Stunden gemeinnützige Arbeit, Gespräche bei der Drogenberatung und das Beiseitestellen eines Bewährungshelfers. Die Anwältin des 20-Jährigen hielt sich kurz, stellte keinen eigenen Antrag. Der Verteidiger des 35-Jährigen beantragte 13 Monate auf Bewährung.
Das Jugendschöffengericht kam zum Urteil von einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe mit Auflagen für den 20-Jährigen, für den 35-Jährigen von einem Jahr und acht Monaten. Es sei erwiesen, dass der 20-Jährige dealt, er kenne sich mit Preisen aus, man habe von den Zeugen gehört, dass er Anlaufstelle sei, so Richterin Insa Föhn. Die zweite Tat sei als Racheakt geplant gewesen. Der Beschluss über eine Bewährung wird in sechs Monaten gefasst.
Das Problem: Gegen den jungen Mann ist noch ein weiteres Verfahren anhängig, es könnte sein, dass dabei die Bewährung aus dem jetzigen Urteil widerrufen wird. Er muss 60 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten, drei Gespräche bei der Drogenberatung führen und bekommt einen Bewährungshelfer. Der 35-Jährige sei nicht treibende Kraft gewesen, habe aber mitgemacht. Seine letzte Verurteilung liegt sechs Jahre zurück, ihm sei eine günstige Sozialprognose zu stellen. Seine Bewährungszeit läuft drei Jahre, er bekommt ebenfalls einen Bewährungshelfer, muss 80 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten und fünf Gesprächstermine bei der Drogenberatung absolvieren. (GEA)