SONNENBÜHL. Anfang Mai 2024 war Spatenstich, nun, knapp eineinhalb Jahre später, ist das 1,5 Millionen Euro teure Projekt fertig: Das Hochwasserrückhaltebecken wird Erpfingen und die stromabwärts an der Lauchert liegenden Städte und Gemeinden vor zerstörerischen Fluten schützen, die vor zwölf Jahren über die Region hereinbrachen. Rückblick: Die Naturkatastrophe von in Sonnenbühl bisher nicht dagewesenem Ausmaß hatte von Freitag auf Samstag, 31. Mai auf 1. Juni 2013, verheerende Schäden in Erpfingen verursacht. Nach bereits tagelang anhaltendem Regen war die Aufnahmekapazität des Karstbodens erschöpft. Und ab dem 30. Mai hatte es auf der Reutlinger Alb so viel geregnet wie seit Beginn der Wetteraufzeichnungen nicht. Das Wasser sammelte sich in den Trockentälern, Stauseen entstanden, manche mit einer Wassertiefe von 1,50 bis 1,80 Metern.
»So ein Hochwasser war für uns in Sonnenbühl bis dahin nicht vorstellbar«
Auch bei der Wetterstation im Rinnental, die nur noch per Schlauchboot erreichbar war, hatte sich ein See gebildet, dessen Massen sich schließlich ins Höllental und als breiter Fluss bis nach Erpfingen ergossen. Die Erpf und die Lauchert traten über die Ufer, zahlreiche Keller wurden überflutet. Stromabwärts stiegen die Pegelstände an der Lauchert immer weiter, auch in den anliegenden Orten richteten die Wassermassen massive Schäden an. »So ein Hochwasser war für uns in Sonnenbühl bis dahin nicht vorstellbar, so etwas kannten wir aus der Vergangenheit noch nicht«, sagt Bürgermeister Uwe Morgenstern. Klimawandel lässt grüßen.
Land unter wie damals soll es nicht mehr geben. 2021 hatten sich die neun Erpf- und Lauchert-Anrainergemeinden Bingen, Burladingen, Gammertingen, Hettingen, Neufra, Sigmaringen, Trochtelfingen, Veringenstadt und Sonnenbühl zum Zweckverband Hochwasserschutz Lauchert zusammengeschlossen, dessen Vorsitzender ist Maik Rautenberg, Bürgermeister von Veringenstadt. Hochwasserschutz höre nicht an Gemeindegrenzen auf, sagt er. Vorausgegangen waren Untersuchungen des 456 Quadratkilometer großen Einzugsgebiets der Lauchert, die Strategien für den Hochwasserschutz ergaben.
Ein Projekt davon ist das Hochwasserrückhaltebecken in Erpfingen, es ist das erste und finanziell aufwendigste, das innerhalb des Zweckverbands realisiert worden ist. Und eben weil es den Zweckverband gibt, konnte die Gemeinde Sonnenbühl 70 Prozent der Kosten (eine Million Euro) als Förderung vom Land, bei der Einweihung vertreten durch Regierungspräsident Klaus Tappeser, erhalten, 500.000 Euro werden aus dem kommunalen Haushalt finanziert. Das Hochwasserrückhaltebecken hält einem 100-jährigen Hochwasser stand. Außerdem sei der Lastfall Klimaänderung berücksichtigt, bedeutet, die aufgrund des Klimawandels zu erwartende Verschärfung der Hochwassersituation, wie Bernhard Mahn vom Büro Winkler und Partner erklärt.
Wie eine große Badewanne, die 181.000 Kubikmeter Wasser fasst
Wo sich 2013 unterhalb der Kreisstraße 6767 in Erpfingen der riesige See bildete, kann das sich dort in Zukunft möglicherweise stauende Wasser kontrolliert abgelassen werden oder, wenn es zu viel für den Durchlass durch den Damm wird, über den Deich fließen. Sturzfluten, die unkontrolliert die Pegel der Flüsse anschwellen lassen, werden somit vermieden. Das Becken hat ein Einzugsgebiet von 22,4 Quadratkilometern, verfügt über 9,2 Hektar Überflutungsfläche und kann mit einer maximalen Stauhöhe von 4,8 Metern ein Volumen von 181.000 Kubikmetern aufnehmen. Eine riesige »Badewanne«.
Durch das »Durchlassbauwerk« in dem 4,8 Meter hohen, vier Meter breiten und 90 Meter langen Damm können 1,2 Kubikmeter Wasser pro Sekunde abfließen. Eine technische Steuerung und Überwachung während Hochwassers sei nicht nötig, nur der Schieber könne manuell weiter als die voreingestellten 30 Zentimeter geöffnet werden. Ortsbaumeister Bernd Hummel - beim Bau »federführende Kraft« aus der Gemeinde, wie Uwe Morgenstern sagt - erhält per Funk eine Warnmeldung, wenn der Pegel steigt, so können in der Gemeinde die Feuerwehr alarmiert, der Bauhof eingeschaltet, die Bevölkerung gewarnt und weitere Schutzmaßnahmen ergriffen werden.
Gebaut hat den Deich die Firma Flammer aus Mössingen. Zusätzlich wurde der Abwasserkanal vergrößert, der Damm wurde an die Kreisstraße angeschlossen, das hat zu höheren Kosten geführt. Die Baufirma hat ordentlich Material verbaut: unten im Damm Steine und oben drauf eine dicke Erdschicht. Der Boden, es handelt sich um »dichtes, bindiges Erdmaterial«, sei schwer zu beschaffen geschaffen gewesen, sagt Bernhard Mahn, es sei rar wegen vieler Baumaßnahmen im Stuttgarter Raum gewesen. Auf dem Damm ist eine spezielle, zertifizierte Magerrasen-Saatenmischung eingesät worden.
Auch Ausgleichsmaßnahmen gab's umzusetzen, weil am angrenzenden Hang Magerrasen abgeschält werden, außerdem ein Heckenbiotop weichen musste. Steinhaufen wurden angelegt, neue Sträucher gepflanzt. Insgesamt füge sich das »massive technische« Riesen-Bauwerk, als das es nicht wirkt, in die Landschaft ein, so Morgenstern.
Damm hält 100-jährigem Hochwasser stand
Der Bau mindert in Erpfingen die Nachteile der Lage in dem Überschwemmungsgebiet der Kategorie HQ 100. HQ 100 – das steht für Gebiete, in denen statistisch einmal in 100 Jahren ein Hochwasser zu erwarten ist. Wer darin wohnt, hat es schwer, eine Versicherung zu finden oder zahlt dafür horrende Beiträge, einige Hauseigentümer hätten auch schon die Kündigung erhalten, sagt Bürgermeister Uwe Morgenstern. Das dürfte nun mit diesem »Beitrag zur Katastrophenvorsorge« der Vergangenheit angehören, Erpfingen ist nun Land hinter dem Deich. Obwohl alle Anwesenden wünschten, dass das Hochwasserrückhaltebecken nicht allzu bald beweisen müsse, dass es seine Funktion erfüllt. (GEA)




