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Erpfinger ist Kümmerer für 364 Kilometer Wanderwege

Gerhard Stolz ist Hauptfachwart für Wege beim Schwäbischen Albverein und verantwortlich für den 360 Kilometer langen HW1, auch Albsteig genannt. Dafür wurde er mit der Heimatmedaille des Landes ausgezeichnet.

Gerahard Stolz und Doris Sautter kümmern sich um den Albsteig.
Gerahard Stolz und Doris Sautter kümmern sich um den Albsteig. Foto: Steffen Wurster
Gerahard Stolz und Doris Sautter kümmern sich um den Albsteig.
Foto: Steffen Wurster

SONNENBÜHL. Wer sich auf einen zertifizierten Wanderweg begibt, hat gewisse Erwartungen, sonst könnte man ja gleich mit dem Kompass querfeldein stolpern. Gerhard Stolz sorgt dafür, dass diese Erwartungen erfüllt werden. Der Erpfinger kümmert sich als Hauptfachwart des Schwäbischen Albvereins um den Hauptwanderweg 1 oder HW1 des Schwäbischen Albvereins, 364 Kilometer lang, seit 118 Jahren ausgeschildert und seit 2009 zertifiziert – das Kronjuwel des Albvereins. Und weil der HW 1 sich den Albtrauf an zig Stellen rauf und runter schlängelt und »HW1« zu technisch klingt, hat er auch den schmissigen Beinamen »Albsteig«. Wegen des Tourismus, weiß Stolz, auf den Wegezeigern steht beides, das traditionsreiche HW1 und Albsteig.

Der HW1 wird alle drei Jahre rezertifiziert, mit der noch laufenden Rezertifizierung haben Gerhard Stolz und Partnerin Doris Sautter vor einem Jahr angefangen. Sind drei Jahre nicht ein bisschen wenig, kaum länger als die drohenden TÜV-Termine? »Ein Jahr ist in der Natur eine lange Zeit und in drei Jahren kann sich die Welt verändern«, sagt Stolz. Stolz ist nicht damit beschäftigt, lästige Äste zurückzuschneiden oder einen umgestürzten Baum in Feuerholz zu verwandeln, darum kümmern sich die Ehrenamtlichen vor Ort. Stolz’ und Sautters Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass der HW1 das bleibt was er ist: Ein Wanderweg mit ganz besonderen Eigenschaften, gut gekennzeichnet. auf den sich die Wanderer zuverlässig verlassen können.

»Ein Jahr ist in der Natur lange, in drei Jahren kann sich die Welt verändern«

Die 364 Kilometer des HW1 sind in 91 Abschnitte, etwa vier Kilometer lang, eingeteilt. Jeder Abschnitt wird bewertet, anhand eines detaillierten Fragebogens. Die Kern- und Wahlkriterien sind im »Leitfaden für die Markierung von Wanderwegen« des Deutschen Wanderverbands festgelegt, »eine Wissenschaft für sich«, sagt Stolz. Kein Abschnitt muss alle Kriterien erfüllen, also anders als beim TÜV. Aber damit er zur Zertifizierung seinen Beitrag leistet, muss er liefern, elf Punkte muss jeder Abschnitt mindestens erreichen.

Hoch bewertet werden zum Beispiel naturnahe Wege. Aber der Fernwanderweg muss halt auch mal durch die Zivilisation, »vier Kilometer am Stück naturnah gibt’s selten«, weiß Stolz. Da muss der Fernwanderer durch, wenn er von Donauwörth bis Tuttlingen unterwegs sein will. Stolz’ Aufgabe ist es, die grauen Wegabschnitte möglichst kurz zu halten, denn »es dürfen nicht mehr als 20 Prozent der gesamten Strecke des Weges befestigt sein«. Etwa indem man Ab- und Aufstieg so verlegt, dass zum Beispiel Urach möglichst auf kurzem Weg umgangen wird.

Bad Urach ist schon älter, wächst aber immer noch. Und nicht nur die Ermstal-Metropole, auch oben auf der Alb ist jeder Schultes stolz, ein Bau- oder Gewerbegebiet ausweisen zu können. Auf den HW1 wird dabei keine Rücksicht genommen, Bebauungspläne sind so schon kompliziert genug. Also bekommt eher der HW1 einen weiteren Schnörkel, außen herum um die wachsende Betonwüste. Denn für intensiv genutztes Umfeld gibt es bei der Zertifizierung Punktabzüge. Eine Herausforderung, denn der Weg sollte möglichst wenig auf Straßen verlaufen und auch nicht auf befestigten Strecken neben der Straße.

Da kommt was zusammen: Ausgediente Markierungen.
Da kommt was zusammen: Ausgediente Markierungen. Foto: Steffen Wurster
Da kommt was zusammen: Ausgediente Markierungen.
Foto: Steffen Wurster

»Es gibt immer Veränderungen«, weiß Stolz, die Wege so zu legen, dass sie attraktiv bleiben, aber nicht zu lang werden, sei nicht einfach: »Das sind Klimmzüge.« Klimmzüge, die Arbeit nach sich ziehen, denn wenn ein Weg verlegt werden soll, ist es mit neuen Hinweisschildern nicht getan. Stolz macht Vorschläge für einen neuen Routenverlauf und dann muss er sich mit vielen Beteiligten einigen: Privatleuten und Bauern, den Gemeinden, dem Forst, den Naturschutzverbänden oder den Jägern. Ärger will man ja keinen. »Seit alles auf dem Landratsamt zusammenläuft, haben wir es aber leichter«, freut er sich.

Der HW1 kann sich sehen lassen. Punkte kann er zum Beispiel durch die zahlreichen Aussichtspunkte am Albtrauf sammeln. Auch die schaut sich Stolz genau an, es muss ein Blickfenster frei sein und tatsächlich in die Weite geschaut werden können. Punkte könnte man im Albvereinsraster für offene Gewässer, Flüsse und Seen, sammeln, aber »die sind auf der Alb rar«. Wichtig ist immer die Wahrnehmung der Wanderer. Abwechslung sei wichtig, sagt Stolz, aus dem freien Feld in den Wald und andersrum, aus dem Ort raus aufs Feld und zurück etwa: »Das sind Änderungen, die der Wanderer positiv wahrnimmt.«

Ein Feldversuch im Garten in Erpfingen: Alte und neue Kennzeichen im Verwitterungstest.
Ein Feldversuch im Garten in Erpfingen: Alte und neue Kennzeichen im Verwitterungstest. Foto: Steffen Wurster
Ein Feldversuch im Garten in Erpfingen: Alte und neue Kennzeichen im Verwitterungstest.
Foto: Steffen Wurster

Es ist auch nicht alles Natur, wo kein Gebäude steht: »Nur Acker ist langweilig, da weichen wir in den Wald oder in interessante Landschaftsbilder wie Wacholderheiden aus.« An den Wegen sollten Naturattraktionen liegen, eindrucksvolle Bäume, frei stehende Felsen, sichtbare Dolinen oder gern ein Wasserfall. Die echten Buchenwälder auf der Alb und am Trauf sind auch ein Schmankerl, das gibt’s sonst nirgends.

Manche Kriterien haben im Lauf der Zeit ihren Stellenwert verändert. Einkehrmöglichkeiten bleiben natürlich wichtig, ohne Vesper wandert es sich schlecht. Wo es kein Landgasthaus mehr gibt, wird am Weg auf Versorgungsstellen hingewiesen, auch auf die wachsende Zahl der »Futterautomaten«. Rechtzeitig, denn mal schnell fünf Kilometer zurück ist zu Fuß schlecht möglich. Immer wichtiger wird aber Stille – auch, weil man die immer seltener findet, »darauf legen wir immer mehr Wert«. Mindestens einen Kilometer lang sollte man am Stück keinen Lärm hören, keine Straßen, aber auch keine landwirtschaftlichen Maschinen: »Für Genießer und Bewusste.«

»Immer wichtiger wird Stille, weil man die immer seltener findet«

Für seinen Einsatz beim Schwäbischen Albverein wurde Gerhard Stolz jetzt mit der Heimatmedaille Baden-Württemberg ausgezeichnet, als einer unter zehn Würdenträgern. »Mit ihrem herausragenden Engagement machen sie Heimat erlebbar und stärken das Miteinander im Land«, lobt das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Stolz ist seit 1997 einer der Ehrenamtlichen des Schwäbischen Albvereins, die für das Wanderwegenetz von rund 19.000 Kilometern, fast einmal halb um die Erdkugel herum, verantwortlich sind. Zunächst koordinierte er als Gauwegmeister im Lichtenstein-Gau die Wegearbeit von mehr als 30 Ortsgruppen. 2012 übernahm er das Amt des Hauptfachwarts Wege und Karten für das gesamte südliche Vereinsgebiet.

Nach der Zertifizierung ist vor der Zertifizierung. Auch wenn das Ergebnis der letzten Neuaufnahme noch nicht vorliegt, machen sich Gerhard Stolz und Doris Sautter schon wieder bereit für die nächste Runde: »Was im letzten Jahr passiert ist, weiß man nicht«, sagt Sautter. Auf eines können sich die Wanderer verlassen: Der Albsteig bleibt die Perle, die er seit über 100 Jahren ist. (GEA)