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Engstinger Schüler suchen nach Lösung des Ukraine-Kriegs

Die Freie Waldorschule auf der Alb schickt Schüler auf die Suche nach einer Lösung des Ukrainekriegs

Die Vertreter der am Krieg in der Ukraine beteiligten Parteien sind gut vorbereitet.  FOTO: WURSTER
Die Vertreter der am Krieg in der Ukraine beteiligten Parteien sind gut vorbereitet. FOTO: WURSTER
Die Vertreter der am Krieg in der Ukraine beteiligten Parteien sind gut vorbereitet. FOTO: WURSTER

ENGSTINGEN. Die Verhandlungsführer von Nato, EU, der Ukraine, Russlands und der russischen Separatisten mussten sich nur kurz zurückziehen. Dann wurde der Friedensplan für die Ukraine bekanntgegeben: Rückzug der russischen Truppen aus dem gesamten Staatsgebiet der Ukraine, einschließlich der Krim. Ein Ende des Engagements der Nato in der Ukraine. Die sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk sowie die Krim werden unter UN-Verwaltung gestellt.

»Die Schule hat keinen Schutzraum, in Dnipro wird online unterrichtet«

Bis es zwischen Moskau und Kiew zu so einer oder einer ähnlichen Einigung kommen wird, dürfte noch einige Zeit vergehen. Die Zehntklässler der Freien Waldorfschule auf der Alb in Engstingen sind da weiter. Lehrer Ulrich Sichau hat in der Geschichtsepoche, einem mehrwöchigen Unterrichtsblock, mit den 15- bis 16-Jährigen die Geschichte der Ukraine aufgearbeitet, von der Kiewer Rus bis zum Angriff im Februar diesen Jahres.

Mit dem nötigen Hintergrundwissen haben die Schüler dann versucht, die Positionen der verschiedenen Parteien darzustellen. Und eine Verhandlungslösung zu finden.

Die Waldorfschule hat schon in den ersten Tagen des Krieges ukrainische Schüler aus Dnipro und Kiew aufgenommen – mit der Waldorfschule in Dnipro besteht eine Partnerschaft und ein regelmäßiger Schüleraustausch. Zurzeit besuchen dort 18 Ukrainer und Ukrainerinnen den Unterricht. Wenn möglich in den regulären Klassen, wo nötig werden sie durch zusätzlichen Deutschunterricht unterstützt. Einige, darunter Andrej aus Dnipro, vorübergehend Bleichstetter, nehmen Online auch am Unterricht an ihrer heimischen Schule teil. Wie seine Klassenkameraden zu Hause auch: »Die Schule hat keinen Schutzraum«, erzählt er, »dort ist es zu gefährlich.«

Die Engstinger Schüler sind also nahe dran am Kriegsgeschehen, auch emotional. Trotzdem haben sich für alle »Verhandlungsdelegationen« Freiwillige gefunden, die auch die unpopulären Delegierten Russlands oder der sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Osten vertreten haben.

Die Positionen der Parteien sind schwer vereinbar. Die Ukraine macht aus ihren Wünschen keinen Hehl: Orientierung hin zum Westen, demokratische Grundwerte, Beitritt zur EU und wenn möglich auch zur Nato. Und Russland muss sich vom ukrainischen Territorium zurückziehen, auch von der Krim. Unterstützung kommt von der EU und der Nato.

»Mit dem Nachbarn, der ihr Haus besetzt, kann man nicht verhandeln«

Russland dagegen will Zugriff auf die seiner Meinung nach russischgeprägten Ostgebiete behalten, auf die Krim sowieso. Ein Beitritt der Ukraine zur EU oder der Nato kommt aus seiner Sicht nicht in Frage. Die Separatisten sind der Meinung, dass die Bevölkerung der Volksrepubliken nicht zur Ukraine gehören wollen, die Volksabstimmungen hätten das belegt.

Viktoria Selivanova, Mutter einer der ukrainischen Schülerinnen an der Waldorfschule, hält das für Geschichtsklitterung. Ukrainisch- und russischsprachige Ukrainer seien immer gleich behandelt worden. Selivanova hat in der Familie immer russisch gesprochen und damit nie Probleme gehabt, erzählt die 50-Jährige. Auch nicht nach der russischen Invasion auf der Krim. »Das stimmt nicht«, machte sie klar. »Für mich sieht es so aus, dass Putin die Sowjetunion wieder herstellen will«, übersetzte Russischlehrerin Heike Mall.

Zwei Mütter berichteten über die Situation in Dnipro, über Bomben, die neben den eigenen Häusern einschlagen, Krankenhäuser und Schulen zerstören. Selivanova und Iryna Chyzh gaben dem Schulexperiment durch die Schilderung ihrer Erfahrungen Farbe und rundeten die Veranstaltung ab.

»Es wird geschossen, es wird gestorben – wir reden von Krieg, von Völkermord und Terrorismus«, sagte Chyzh. »Stellen Sie sich vor, ihr Nachbar dringt in ihr Haus ein, tötet ihre Familie, will dort bleiben. Und die anderen Nachbarn sagen, einigt euch irgendwie. Ich sehe nicht, was es da zu verhandeln gibt.« Erst wenn es auch eine gefühlte Gleichheit der Kräfte gäbe, würde Russland überhaupt verhandeln, glaubt auch Selivanova.

Im Kleinen Saal der Waldorfschule sind die russischen Delegierten schon so weit. Die Zugehörigkeit zu internationalen Organisationen wird erst einmal vertagt, wichtiger ist der schnelle Friede und der Rückzug der Russen. Dabei könnte die UN helfen und die Verwaltung der ostukrainischen Gebiete übernehmen. Russland und die Separatisten sind einverstanden – zumindest in Engstingen. (GEA)