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Der ehemalige Hohensteiner Bürgermeister nimmt auch Abschied vom Kreistag

Jochen Zeller hat sich nicht nur als Bürgermeister von Hohenstein, sondern auch als Kreistagsmitglied verabschiedet. Fast 25 Jahre saß er für die Freien Wähler am Ratstisch, seit 2014 als Fraktionsvorsitzender.

Jochen Zeller war 24 Jahre und einen Monat Mitglied des Kreitags.
Jochen Zeller war 24 Jahre und einen Monat Mitglied des Kreitags. Foto: Marion Schrade
Jochen Zeller war 24 Jahre und einen Monat Mitglied des Kreitags.
Foto: Marion Schrade

HOHENSTEIN. 24 Jahre und ein Monat: Jochen Zeller war fast genauso lange Kreisrat wie Bürgermeister von Hohenstein. Im Frühjahr 1999 wurde der damals 33-Jährige mit 58 Prozent der Stimmen erstmals zum Schultes gewählt. Und weil es für Bürgermeister fast schon eine Frage der Ehre ist, sich auch der Kreistagswahl zu stellen, ging's für Zeller nur wenige Monate später erneut zur Sache: Er stand bei den Freien Wählern (FWV) auf der Liste - genauso wie seine Bürgermeister-Kollegen Klaus-Peter Kleiner (Engstingen), Gerrit Elser (Sonnenbühl) und Friedrich Bisinger (Trochtelfingen).

Geklappt hat es in der ersten Runde auf Anhieb. Vier der fünf Sitze, die dem Wahlkreis Reutlingen im Kreistag zustehen, gingen an die FWV. »Wir vier Alb-Schultes saßen damals in den hinteren Reihen«, erinnert sich Zeller. Als »Newcomer« sowohl im Amt des Bürgermeisters als auch des Kreisrats musste er sich erst bewähren. Umso bitterer war's, dass die Wahl fünf Jahre später nicht zu seinen Gunsten ausging - enttäuschend, aber nicht überraschend: »Es war immer schwierig, in diesem Wahlkreis alle vier Bürgermeister reinzubringen«, so Zeller, für den erschwerend hinzu kam, dass Hohenstein als die kleinste der vier Gemeinden auch das geringste Wählerpotenzial hatte.

Weißer Rauch aus dem Pfullinger Rathaus

Ein Dreivierteljahr später war dann doch wieder alles anders: Zeller rückte für Klaus-Peter Kleiner nach, der sei Mandat niederlegte. Damit endete die erste und letzte unfreiwillige Pause für Zeller, der es bei den folgenden Wahlen aus dem Stand in den Kreistag schaffte. 2014 standen die Freien Wähler vor einem einschneidenden Wechsel: Otwin Brucker, Bürgermeister in Pliezhausen, kandidierte nicht mehr für das Amt des Fraktionsvorsitzenden. Die FWV war und ist bis heute nicht nur die stärkste Fraktion im Gremium, sie hebt sich auch durch ihre Besetzung von den anderen ab: Der Spitzname »Bürgermeister-Fraktion« spricht für sich, die meisten Schultes kandidieren auf der FWV-Liste, die Zahl der Kollegen mit CDU- oder SPD-Parteibuch bleibt dahinter deutlich zurück.

»Wir haben uns im Sommer zu einem Gespräch im Pfullinger Rathaus getroffen«, erinnert sich Zeller. Gastgeber war Bürgermeister Rudolf Heß, der den Kreistag nun ebenfalls verlassen hat - nach fast 40 Jahren (siehe Info-Box). »Es war furchtbar heiß in dem Zimmer, aber wir haben gesagt: Keiner verlässt den Raum, bevor weißer Rauch aufsteigt.« So staatstragend wie bei einer Papstwahl war's zwar nicht, und die Frage war auch nicht ganz geklärt, als sich die Bürgermeister trennten, aber: Sie hatten ihren Wunschkandidaten gekürt - und der hieß Jochen Zeller. Ganz »Ja« gesagt hatte er allerdings noch nicht, sondern die Frage in den Urlaub mitgenommen. Eines Morgens - Zeller saß nach einer schlaflosen Nacht auf dem Hotel-Balkon - entsandte er dann eine imaginäre weiße Rauchwolke folgenden Inhalts von Kreta in die Heimat: »Ich mach's.«

Die dienstältesten Kreisräte

Der GEA stellt in loser Folge die vier Kreisräte vor, die nun Abschied nehmen und länger als 20 Jahre im Gremium waren. Die Liste führt Rudolf Heß (FWV) an, der Pfullinger Bürgermeister war 39 Jahre und 9 Monate im Kreistag. Jeweils 29 Jahre und 11 Monate dabei waren Andreas vom Scheidt (CDU) und Thomas Ziegler (Linke). Jochen Zellers Amtszeit dauerte 24 Jahre und einen Monat.
Rudolf Heß rückt mit seinen knapp 40 Jahren auf Platz drei der dienstältesten Räte in der Geschichte des Landkreises Reutlinge. Spitzenreiter ist der 2020 verstorbene Ulrich Lukaszewitz, der am 17. September 2019 nach fast 48 Jahren aus dem Kreistag verabschiedet wurde. Kreisrat Otwin Brucker, Fraktionsvorsitzender der FWV und langjähriger Bürgermeister in Pliezhausen, wurde am 28. Juli 2014 nach 42 Jahren und 9 Monaten verabschiedet. (ma)

Der Fraktionsvorsitz ist nicht nur Ehre, Auszeichnung und Vertrauensbeweis. Er bedeutet auch ein erhebliches Maß an Mehrarbeit. Zusätzlich zu den Fraktions- und Kreistagssitzungen kamen etliche andere Besprechungen und informelle Gespräche mit dem Landrat im kleinen Kreis. Drei Landräte hat Zeller erlebt: Edgar Wais, Thomas Reumann und Ulrich Fiedler. Allesamt Persönlichkeiten und Alphatiere - wie auch die Fraktionskollegen. Dementsprechend fundiert, bisweilen kernig, immer aber lehrreich und mit Erfahrungsgewinn verbunden waren die Diskussionen und Entscheidungsfindungsprozesse. »Aus Hohenstein«, sagt Zeller, »war ich das Parteipolitische nicht gewohnt«. In der Alb-Gemeinde gibt es keine Fraktionen, die Mitglieder des Gemeinderats kandidieren alle auf der »Hohensteiner Liste«. »Das ist im Kreistag anders, da kommt dann schon a bissle Parteipolitik dazu.«

Ist man Bürgermeister und Kreisrat, hat man grundsätzlich zwei Hüte auf. Das kann von Vor-, aber auch von Nachteil sein. Manche Themen, für die der Kreis zuständig ist - Müllentsorgung und öffentlicher Nahverkehr beispielsweise - betreffen die Kommunen unmittelbar. In anderen Bereichen wie etwa Breitbandausbau oder Jugendarbeit unterstützt der Kreis die Gemeinden erheblich. Es ist aber nicht nur ein Geben, sondern auch ein Nehmen. Die Frage, wie viel Geld die Kommunen dem Kreis jedes Jahr überweisen müssen - kurz: Kreisumlage - sorgt in den Haushaltsberatungen für heiße Diskussionen. »Je höher die Umlage, desto weniger Geld bleibt für die Projekte in der eigenen Gemeinde«, schildert Zeller die Perspektive der Bürgermeister. Weil aber halt längst nicht alle Kreisräte Bürgermeister sind, gab und gibt es auch andere Sichtweisen: »Wenn dann von jemandem der Vorschlag kam, für die Finanzierung eines Kreisprojekts doch einfach die Kreisumlage zu erhöhen, saß man schon mal mit der geballten Faust in der Tasche da.«

Mega-Thema Kreiskliniken

In Zellers Zeit als Kreisrat standen mehrere Mega-Themen auf der Agenda - dazu zählt die Regionalstadtbahn genauso wie der Neubau des Landratsamts. Beide Projekte seien kostenintensiv, aber - Stichwort Bahn - »von enormem Nutzen« und nicht länger aufzuschieben (Neubau). Mehr oder minder dauerpräsent ist der Gesundheitsbereich mit den Kreiskliniken. Die Schließung kleinerer Krankenhäuser hat landes- und bundesweit für Empörung gesorgt, getroffen hat es auch Bad Urach: »Es tut immer weh, wenn man so eine Institution verliert«, räumt Zeller ein, der aber auch der Realität ins Auge blickt: »Die zunehmende Spezialisierung von Krankenhäusern ändert das Bild und die Struktur. Patienten entscheiden sich nicht mehr für die nahegelegenste Klinik, sondern für die, die im jeweiligen Fachbereich den besten Ruf hat.« Auch in Reutlingen ist viel passiert: Zeller war schon dabei, als im Jahr 2000 neue Bettenhäuser gebaut wurden, »jetzt wird darüber diskutiert, ob man auf der grünen Wiese komplett neu baut«.

Fast schon zur »Zerreißprobe«, so Zeller, wurde der Antrag auf Stadtkreisgründung der Stadt Reutlingen im Jahr 2015. Die Entscheidung lag zwar beim Innenministerium und fiel nach drei Jahren zu Ungunsten der Stadt. Der Landkreis wurde aber um Stellungnahme gebeten, um deren Inhalt in den Reihen des Kreistags heftig gerungen wurde. Es habe eine »Reutlinger Allianz« gegeben, die quer durch alle Fraktionen ging, so Zeller. »Sie haben sich mit großer Mehrheit für den Stadtkreis ausgesprochen.« Zeller, seine Bürgermeister-Kollegen und die Vertreter der Wahlkreise außerhalb Reutlingens vertraten überwiegend eine andere Position, auch wenn Zeller Verständnis äußert: »Aus der Sicht der Stadt Reutlingen war der Antrag natürlich legitim. Ebenso darf der Landkreis aber sagen: Das würde uns schwächen.« Das Zusammenspiel zwischen Stadt und Umlandgemeinden, findet der 59-Jährige, habe immer gut funktioniert. Inzwischen ist die Diskussion ad acta gelegt, Reutlingen gehört weiterhin zum Landkreis, »spürbare Nachwehen« seien nicht auszumachen.

Nachwehen hat Zeller auch nicht, was seine eigenen Entscheidungen betrifft. »Es war eine lange Zeit, und sie war schön. Es war aber auch in Ordnung, aufzuhören.« Das gilt fürs Kreistagsmandat genauso wie fürs Bürgermeisteramt. Zellers einziger verbliebener Posten ist der im Verwaltungsrat der Kreissparkasse, ansonsten hat er sich komplett zurückgezogen. »Ich habe damals schon, als ich nicht mehr als Bürgermeister kandidiert habe, gesagt, dass ich erst einmal so eine Art Sabbatjahr mache.« Dabei ist es geblieben, Zeller lebt nach wie vor im Hohensteiner Teilort Meidelstetten, besucht aber bewusst weniger Veranstaltungen, spielt wieder mehr Tennis und wandert ab und an mit dem Albverein. Außerdem hat er drei Enkel, um die er sich gerne kümmert. »Ich wusste damals noch nicht, wie's wirklich wird - aber ich vermisse nichts, ich bin in kein Loch gefallen.« Alles Weitere lässt entspannt auf sich zukommen. (GEA)