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»Chaos mit System« oder »2-plus-Betrieb«? Verhandlung gegen Alb-Landwirt geht weiter

Das Amtsgericht Reutlingen befasst sich weiter mit einem Landwirt auf der Alb. Einige Zeugen sorgen für Entlastung des Angeklagten.

Die Tiere auf dem Hof des Angeklagten seien sehr zutraulich (wie auf diesem Symbolbild), sagte am Montag ein Rinder-Sachverständ
Die Tiere auf dem Hof des Angeklagten seien sehr zutraulich (wie auf diesem Symbolbild), sagte am Montag ein Rinder-Sachverständiger aus Niedersachsen im Amtsgericht Reutlingen aus. Foto: Norbert Leister
Die Tiere auf dem Hof des Angeklagten seien sehr zutraulich (wie auf diesem Symbolbild), sagte am Montag ein Rinder-Sachverständiger aus Niedersachsen im Amtsgericht Reutlingen aus.
Foto: Norbert Leister

REUTLINGEN / SCHWÄBISCHE ALB. »Die Tiere waren erstaunlich ruhig für so einen großen Betrieb«, betonte der für Rinder zuständige Sachverständige am Montag vor dem Amtsgericht Reutlingen. Am 15. April habe er sich einen Eindruck von dem Hof auf der Schwäbischen Alb verschafft, war dafür extra aus Niedersachsen angereist und wurde von Richter Eberhard Hausch im Gerichtssaal mit den Worten empfangen: »Hier oben sitzt die blanke Ahnungslosigkeit in Sachen Rinder.«

Angeklagt ist in dem Verfahren ein Landwirt, der mit rund 1.000 Rindern einen der größten Höfe im Ländle führt, am Montag war nun ein weiterer Termin des Verfahrens angesetzt, mit neun Zeugen und einem Sachverständigen. Letzterer hatte bei seinem Besuch auf dem Hof »einen guten Ernährungsstand der Herde« vorgefunden. Die »Lahmheitsprävalenz« habe sich bei 10,5 Prozent befunden – was bedeute: »Das ist nicht dramatisch, der Betrieb befindet sich damit im grünen Bereich«, so der Sachverständige. Die Tiere auf 75 Prozent aller deutschen Höfe seien in einem schlechteren Zustand. Die Sauberkeit der Tiere sei sehr gut gewesen, »das wirkt sich natürlich auch positiv auf die Klauengesundheit aus«.

Zutrauliche Tiere

Hinzu komme, dass die Tiere in dem Betrieb sehr zutraulich waren, sie hatten keine Angst vor Menschen – »das ist ein gutes Zeichen, weil die Rinder an Menschen gewöhnt sind, sich nicht vor ihnen fürchten«, so der Sachverständige. Das Fazit des Niedersachsen zu dem Hof auf der Alb: »Das ist ein gut geführter Betrieb, eine 1 plus würde ich ihm nicht geben, aber durchaus eine 2 plus.«

Zur Mitarbeitersituation auf dem Hof konnte er nichts sagen, aber durchaus etwas zur allgemeinen Situation auf Rinderhöfen: »In ganz Deutschland ist es schwer, Mitarbeiter zu finden – das ist ein Riesenproblem.« So auch in dem betreffenden Betrieb: Zwei Ukrainer, die schon seit zwei Jahren dort arbeiten, sagten am Montag als Zeugen aus: »Alles völlig normal«, übersetzte die Dolmetscherin. Die beiden jungen Männer, Anfang 30, seien über einen Vermittler zu dem Hof gekommen. Der Chef sei in Ordnung, sie kriegen ein kostenloses Zimmer und den Mindestlohn. Die tägliche Arbeit betrage neun Stunden – an wie vielen Tagen die Woche, das hatte allerdings niemand gefragt.

Käufer zeichnen positives Bild

Käufer, die Rinder und Kälber vom Hof des Angeklagten holten, sprachen sich ebenfalls für den Landwirt aus: »Ich kenne den Betrieb seit 40 Jahren, kaufe seitdem dort Rinder und Kälber zum Schlachten«, sagte ein Zeuge aus Kusterdingen. Der Angeklagte »geht mehr als ordentlich mit den Tieren um«. Ein weiterer Käufer aus Sigmaringen hatte auch nichts an den Tieren auszusetzen – er habe allerdings zuletzt vor zehn Jahren das letzte Mal bei dem Angeklagten gekauft.

Der Metzger war dennoch ins Visier der Polizei geraten: Er sollte Tiere gekauft und weiterverwertet haben, die schwarz auf dem Hof des Angeklagten geschlachtet worden seien. »Die Akte ist aber von der Staatsanwaltschaft geschlossen worden«, so der Zeuge. Wie aber kam es zu der völlig anderen Wahrnehmung von Polizei und Veterinäramt bei der Durchsuchung des Betriebs am 5. April 2023, als viel zu viel auf einen miserabel geführten Hof hindeutete?

Viele Ohrmarken gefunden

Die Polizei hatte damals eine riesige Menge an Ohrmarken gefunden. Eine Polizeibeamtin, die wochenlang mit mehr als 800 solcher Marken beschäftigt war, sagte am Montag aus: Wenn die Rinder oder Kälber Ohrmarken verlieren, müssen sie nachbestellt werden. Warum aber im Jahr 2019 mehr als 200 Nachbestellungen erfolgten, könne sie nicht erklären. Der Verdacht sei aufgekommen, dass es viele Hofschlachtungen gab.

Genau das wurde dem Angeklagten bei einem anonymen Hinweis ja auch vorgeworfen. Ob die Polizeibeamtin zur Quelle des anonymen Hinweises in der Zwischenzeit was sagen könne, wollte Richter Hausch wissen. »Nein, außer einem Gerücht haben wir nichts Konkretes.«

Alles nur Vermutungen

Ihr Eindruck mit den Ohrmarken auf dem Hof sei aber: »Ich bin auf zu viele Auffälligkeiten gestoßen, auf viele Fragen zu Tieren und Ohrmarken.« Eigentlich müssten die Ohrmarken ja am Tier bleiben, quasi von Geburt an bis zum Tod, also zum Schlachthof. Warum in dem Betrieb aber so viele Marken aufgefunden wurden, konnte die Beamtin nicht sagen. »Das sind alles nur Vermutungen, die wir nicht beweisen können, das sieht aber nach Chaos mit System aus.«

Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten scheinen hingegen sehr geordnet zu sein. Ein großer Fuhrpark landwirtschaftlicher Maschinen, hochklassige Pkw und ein gekauftes Haus, einige Kredite, die monatlich mit hohen Summen abbezahlt werden. Der Angeklagte fühlte sich offensichtlich bemüßigt, sein hohes Jahreseinkommen zu erklären: »Ich arbeite schließlich auch sieben Tage in der Woche, täglich bis zu 16 Stunden – ohne Urlaub.« Die Verhandlung wurde vertagt. (GEA)