TÜBINGEN/ALB. Im Prozess vor dem Tübinger Landgericht um den Überfall auf den Inhaber einer Gaststätte in einer Albgemeinde legte am Donnerstag einer der drei Angeklagten zumindest ein Teilgeständnis ab. Der 43-jährige Albaner erklärte, von dem Einbruch in das Haus des Opfers gewusst zu haben, er selbst sei aber nicht dabei gewesen. Er belastete bei seinem Geständnis einen Komplizen, der derzeit allerdings auf der Flucht ist. Zu seinen beiden Mitangeklagten sagte er nichts.
Während seiner Haftzeit in Karlsruhe habe er sich mit dem jetzt flüchtigen Kumpel angefreundet. Dieser habe sich selbst als »Einbrechertyp« bezeichnet. Auch nach der Haft hätte er mit seinem Haftgenossen noch Kontakt gehabt. Bei einem Telefongespräch habe der wohl mitbekommen, dass der 81-jährige Inhaber der Alb-Gaststätte immer viel Bargeld bei sich zu Hause habe.
Opfer brutal attackiert
Für den Einbruch habe er dem Kumpel sein Auto überlassen, »von einer Schreckschusspistole habe ich nichts gewusst«, ließ er seinen Verteidiger Achim Wizemann erklären. Er sei davon ausgegangen, dass sein Freund in das Haus des 81-Jährigen einsteigen wollte, um Geld zu stehlen. Er habe seinem Kumpel bei dem Einbruch aus Freundschaft geholfen und auch auf einen kleinen Teil der Beute gehofft. »Ich habe einen großen Fehler gemacht«, zeigte sich der Angeklagte schließlich einsichtig.
Die Täter gingen bei Einbruch und Überfall recht brutal vor. Sie weckten den alten Mann und hielten ihm eine Schreckschusspistole an den Kopf. Außerdem fesselten sie den 81-Jährigen mit Klebeband und versuchten, ihn mit einer Spritze mit dem Mittel Lidocain zu betäuben. Dies schlug allerdings fehl.
Verwunderung über Lidocain-Spritze
Als er gehört habe, was im Haus des 81-Jährigen geschehen sei, sei er sehr geschockt gewesen, so der Angeklagte am Donnerstag. Wegen des brutalen Vorgehens der Täter sei er nun entschlossen, dabei zu helfen, die Tat aufzuklären. Am Donnerstag kam auch die Rechtsmedizinerin Dr. Adina Schweickhardt zu Wort. Sie war verwundert darüber, dass die Einbrecher versucht hatten, das Opfer mit Lidocain zu betäuben. »Von so etwas habe ich noch nie gehört«, meinte sie. Lidocain sei ein Lokalanästhetikum. Es werde nur zur örtlichen Betäubung eingesetzt. In der Drogenszene werde es zudem benutzt, um Kokain zu strecken. Allerdings könne Lidocain potenziell lebensgefährlich sein, so Schweickhardt weiter. Es komme auf die Konzentration des Mittels an und wohin die initiierte Flüssigkeit im Körper gelange. Deshalb müsse eine solche Injektion im medizinischen Einsatz immer überwacht werden.
Spritzennadel war abgebrochen
Wie viele Medikamente habe auch Lidocain Nebenwirkungen, betonte Schweickhardt. Eine hohe Konzentration könne starke Kreislaufprobleme hervorrufen und zu »lebensgefährlichen Zuständen« führen, vor allem bei älteren Menschen. Das Opfer sei ja 81 Jahre alt und habe eine kardiale Erkrankung. Wie hoch die Konzentration von Lidocain in der verwendeten Spritze war, konnte die Polizei später nicht feststellen. Möglicherweise gelangte auch nichts von dem Mittel in den Körper des Opfers. Die Ermittler entdeckten jedenfalls später im Auto der Täter eine leere Spritze mit abgebrochener Nadel. Das Opfer hatte am Oberarm, wo die Spritze eingesetzt wurde, auch »nur« einen Kratzer. Dies lässt darauf schließen, dass sich der 81-Jährige gewehrt habe und die Spritze bei dem »dynamischen Geschehen« abgebrochen und nicht direkt in den Körper eingedrungen sei.
Im Gerichtssaal
Gericht: Dr. Christoph Kalkschmid (Vorsitzender Richter), Alexander Fleck. Schöffen: Wolfgang Schütz, Michael Reutter. Staatsanwalt: Maurizio Ruoff. Verteidiger: Achim Unden, Christian Niederhöfer, Achim Wizemann. Gutachterin: Dr. Adina Schweikhardt. (vit)
Zwei der drei Einbrecher wurden noch in der Tatnacht vom 5. auf den 6. Juni 2024 bei einer zufälligen Kontrolle beim Mössinger Freibad festgenommen. In ihrem Auto lag die Beute aus dem Überfall. Einer der Täter trug noch eine Strumpfmaske. Ein Polizeibeamter berichtete am Donnerstag davon, dass in der Nähe des Festnahmeortes später ein aufgebrochener Schuppen entdeckt wurde. Auf dem Rasen davor lag eine Kinderstrumpfhose, in die jemand Sehschlitze hineingeschnitten hatte. Möglicherweise wollte sich einer der Täter auf seiner Flucht in dem Schuppen verstecken. (GEA)