ST. JOHANN-OHNASTETTEN. Als 15-Jähriger hat Simon Schnitzler die ersten sieben Gänse auf den Hof nach Ohnastetten geholt. Eigentlich nur für die eigene Familie. »Die waren aber schnell weg«, sagt der heute 25-jährige Landmaschinenmechaniker und Agraringenieur, der sein Studium vor einem halben Jahr abgeschlossen hat. Er ist Landwirt aus und mit Leidenschaft. Anfangs kamen Bekannte und Verwandte in den Genuss des Ohnastetter Geflügels. Das war der Beginn einer Gänsezucht, die Herde wuchs mit jedem Jahr. Im vergangenen Jahr tummelten sich 300 Tiere auf den Weiden um den Hof, der seit drei Jahren Erdreich-Alb heißt, in diesem Jahr hat Simon Schnitzler seit Juni 400 Vögel groß gezogen, die als Eintagsküken in die Ställe am Aussiedlerhof einzogen, später zum Hof im Ort umzogen und sich bis jetzt prächtig entwickelt haben. Wenigstens die, die noch schnattern, denn Gänse haben als Braten schon seit dem Martinstag Konjunktur.
Der Legende nach versteckte sich der fromme, gütige Martin in einem Gänsestall, um der Ernennung zum Bischof von Tours zu entgehen. Die Gänse wurden ihm zum Verhängnis, sie schnatterten so laut, dass Martin entdeckt und schließlich doch zum Bischof geweiht wurde. Aber es gibt noch einen anderen Hintergrund: Am Martinstag endete das bäuerliche Wirtschaftsjahr, es mussten Pacht, Löhne, Zinsen und Steuern gezahlt werden. Um die Außenstände begleichen zu können, wurden auch Tiere geschlachtet, die als Zahlungsmittel-Äquivalent dienten. Das waren auch Gänse. Gut für die Bauern: Sie sparten damit die Fütterung durch den Winter ein.
Auch bei Simon Schnitzler wird das Federvieh nicht bis nächstes Jahr durchgefüttert. Bis Weihnachten wird er die letzten Tiere schlachten, damit genügend Nachschub für die Festtage vorhanden ist. »Es ist schon ein bedrückendes Gefühl, wenn einen Tag vor Weihnachten die Ställe leer sind«, sagt er. »Aber bis dahin haben wir das Maximale gemacht, damit die Gänse ein gutes Leben hatten, wir haben sie gut aufgezogen, gut behandelt, gefüttert und korrekt geschlachtet.« Alles passiert am Hof. Das Futtergetreide stammt von den eigenen Äckern, zugekauft wird nur Soja, die Mahlzeiten für die Gänse werden wöchentlich frisch gemischt aus Weizen, Gerste, Mais, Getreideresten vom Mahlvorgang. Soja, erklärt der junge Landwirt, sei wichtig, denn die Gänse wachsen schnell und legen Gewicht zu, sodass sie zusätzliches Eiweiß benötigen.
Täglich streut Simon Schnitzler frisches Heu in die Ställe, in die die Gänse nachts gehen, die Tage dürfen sie auf den Weiden um den Hof verbringen, Gras fressen, aber auch in den Stall gehen, wenn sie wollen. Simon Schnitzler hält die Tiere in vier 100er-Gruppen. So ist gewährleistet, dass alle, auch die schwächeren, Zugang zu den Futtertrögen haben. Und auch Wasser haben sie zur Verfügung, das ist wichtig, damit sie ihren ganzen Kopf eintauchen, ihre Nasenlöcher spülen und ihr Gefieder reinigen können. Neben Hühnern und Gänsen leben auf dem Hof auch 200 Enten.
Den Tieren geht es gut. Davon können sich Kunden selbst überzeugen. Häufig kommen Familien beim Wochenendausflug vorbei, stehen an den abgezäunten Weiden und beobachten die Gänseschar. Transparenz ist Simon Schnitzler wichtig. Fragen beantwortet er gern. Sein Ziel ist es, irgendwann die eigenen Küken aufzuziehen. Dafür dürften dann ein paar Gänse auch nach Weihnachten weiterleben, brüten. Und vielleicht lassen sich später auch mal Gänseeier verkaufen, vor allem zu Ostern sind die begehrt, nicht nur in der Größe, sondern auch geschmacklich unterscheiden sie sich von Hühnereiern. Tierwohl - darüber macht sich Simon Schnitzler viele Gedanken. Dazu gehört auch der Moment, an dem das letzte Stündlein im Gänseleben geschlagen hat.
Lange Tiertransporte gibt es nicht. »Seit sieben Jahren schlachten wir selbst.« Anfangs kam noch ein mobiler Schlachter auf den Hof, aber damit sich das für diesen rentiert, müsste gleich eine große Anzahl Tiere ihr Leben lassen. Bei Schnitzler auf dem Erdreich-Alb-Hof aber soll es möglichst oft frisches Geflügel geben, ab November wöchentlich. Also tüftelten Vater und Sohn Schnitzler und planten ein eigenes Schlachthaus. Vom Stall bis dorthin sind es gerade mal 50 Meter. Es ist ein umgebauter Container, der einst zur See fuhr, später Bier auf dem Cannstatter Wasen kühlte. Innen ist alles in Edelstahl ausgebaut, getrennt in Weiß- und Schwarzbereich. Das Kühlhaus ist direkt angebaut. Hier ist vom Betäuben bis zum Säubern und Zerlegen alles in einer Hand. Und so ist es möglich, auch nur nach Bedarf und Zahl der Bestellungen, zum Beispiel aus der Gastronomie, zu schlachten.
Während andere Gänsehalter meist nur ganze Tiere verkaufen, gibt es bei Simon Schnitzler auch einzelne Teile, Brust oder Keule. Und letztlich werden alle Teile der Tiere verarbeitet - bis auf Kopf, Darm und Füße. Aus dem Fett wird Schmalz bereitet. Magen, Herz und Leber werden mitverkauft. Auch für die Federn hat Simon Schnitzler einen Abnehmer gefunden, der sie für Jacken und Kissen oder Bettwäsche aufbereitet. Sein Schlachthaus will der 25-Jährige EU-zertifizieren lassen. Dann, so die Idee, könnte er sogar auch die Gänsefüße verarbeiten. Hunde würden sich darüber freuen. Im Übrigen möchte Simon Schnitzler noch eine Metzgerausbildung machen, dann kann er auch selbst zum Beispiel Geflügelwurst herstellen; das übernimmt bisher ein Metzger aus der Gegend für Erdreich-Alb.
Mit den großen Betrieben und der Konkurrenz aus dem Ausland kann Simon Schnitzler nicht mithalten. »Ich versuche preiswert zu produzieren.« Aber artgerechte Haltung, Qualität und Geschmack des Fleisches und hohe Qualitätsstandards müssen ihren Preis haben, sie sind aber auch gute Verkaufsargumente.
Auch wenn es kurz vor Weihnachten kein Gänsegeschnatter mehr in Ohnastetten geben wir: »Es macht mich stolz, gute Lebensmittel zu produzieren und zu wissen, dass ich anderen ein schönes Weihnachtsfest bereitet habe«, sagt Simon Schnitzler. Zumindest denen, die Fleisch mögen. Aber vielleicht gibt's bald auch eine vegetarische Weihnachtsbraten-Alternative: Simon Schnitzler baut im vierten Jahr Kichererbsen an. Und aus denen lassen sich nicht nur Hummus oder Falafel herstellen, sondern sicher auch ein schmackhaftes Festtagsgericht für die Weihnachtsfeiertage. Aber das ist eine andere Geschichte. Mehr Informationen gibt es im Internet unter http://erdreich-alb.de/ (GEA)