MÜNSINGEN/METZINGEN. Vorhang auf für »Little Germany«: Morgen, am 1. Mai, erscheint Maria Nikolais neues Buch. Mit der »Schokoladenvilla« und der »Bodensee-Saga« hat die Metzinger Bestseller-Autorin ihre Geschichten von mutigen Frauen bisher in Süddeutschland verortet. Nun wagt sie den Sprung über den großen Teich und begleitet ihre beiden Protagonistinnen auf ihrer Reise nach New York. Ihr Roman »Little Germany - Der Duft der Neuen Welt« handelt von zwei Frauen, die nach Amerika auswandern.
Die Geschichte beginnt im Jahr 1901. Die adelige Julia ist in ihrer arrangierten Ehe und mit ihrem Leben auf einem Gestüt bei Hannover nicht glücklich. Lissi kommt aus gänzlich anderen Verhältnissen. Bei ihrer Arbeit als Dienstmädchen in Stuttgart lässt sie sich wider alle Vernunft auf eine Liaison mit dem Sohn ihrer Herrschaft ein. Schwanger und allein beschließt sie, ihrer Heimat den Rücken zu kehren - genau wie Julia ... Wie die Geschichte weiter geht? Einblicke gibt die Autorin bei verschiedenen Terminen, die die Veröffentlichung ihres neuen Romans flankieren (siehe Info-Box). Wie und wo sie beginnt und vor allem, was die Alb damit zu tun hat, hat Maria Nikolai exklusiv beim GEA-Interview in Bremelau verraten.
Der Ort der Kindheit
Bremelau? Ja, Bremelau. Denn das Dorf, heute ein Ortsteil von Münsingen, spielt in Maria Nikolais Geschichte eine charmante Nebenrolle: Sie lässt ihre Lissi hier aufwachsen. Lissi ist die Tochter eines Tagelöhners, die Familie ist groß und arm, aber nicht unglücklich. Bremelau, sagt Maria Nikolai, hat in ihrer Geschichte »etwas Heimeliges«. In Rückblenden lässt sie Lissi an ihre Kindheitstage zurückdenken. An das Dorf, aber auch an ihre Großmutter, von der sie ein Rezeptbuch hat, das später eine wichtige Rolle in der Geschichte spielen wird - denn, so viel sei verraten: Lissis und Julias Wege kreuzen sich, gemeinsam gründen die beiden Auswanderinnen eine deutsche Bäckerei in »Little Germany«, dem deutschen Viertel in der Einwanderer-Metropole New York.
»Heimelig« und vor allem sehr idyllisch findet die Autorin auch das reale Bremelau im Hier und Jetzt. Beim GEA-Termin sieht sie es zum ersten Mal mit eigenen Augen. Rund um den Kreuzberg am Ortsrand blühen Löwenzahn und Schlehe, man hat einen herrlichen Blick aufs Dorf. Wie sah es wohl in der Zeit aus, als die fiktive Lissi hier daheim war? Weil der Ort im Buch nur an wenigen Stellen auftaucht, ist Maria Nikolai in diesem Fall nicht ganz so tief in die Recherche eingestiegen. Nicht aus Desinteresse, versichert sie, sondern weil einen über 600 Seiten dicken historischen Roman zu schreiben eben auch eine Frage effektiven Zeitmanagements ist.
Weil die Geschichte überwiegend in New York spielt, lag hier der Rechercheschwerpunkt. Die Autorin arbeitet, ganz klassisch, mit Büchern und historischen Aufzeichnungen, die in Archiven oder im Internet zugänglich sind. Bei einer Reise nach New York sammelte sie neben Wissen vor allem auch Eindrücke, um ein Gespür für die Stadt zu bekommen. Die Fakten sollen stimmen, die Geschichte soll so authentisch sein, dass sie sich so oder so ähnlich hätte zutragen können. Das ist ihr Anspruch, nicht zuletzt deshalb gibt es am Ende des Buchs auch einen Anhang zu den historischen Hintergründen.
Welches Alb-Dorf also sollte Lissis Heimat sein? Den Ausschlag für Bremelau gab ein interessantes Detail, auf das sie bei ihrer Recherche gestoßen ist: »Es muss dort eine Gipsmühle gegeben haben, und ich wollte Lissi nicht dem bäuerlichen Milieu, sondern einer Tagelöhnerfamilie entstammen lassen.« Was weiß man über die Mühle im Besonderen und über das Dorf im Allgemeinen in der Zeit, in der Maria Nikolai ihren Roman ansiedelt? Dr. Carina Zeiler, Stadtarchivarin in Münsingen, kann weiterhelfen, sie kennt die Quellen, in denen etwas über das Bremelau von damals zu finden ist. Aufschluss geben zunächst die Oberamtsbeschreibungen von 1825 und 1912.
Das reale Bremelau in den Oberamtsbeschreibungen
Das Bremelau von 1825 hat 265 Einwohner. »Der Ort liegt hoch und frey«, heißt es, und besteht aus zwei Teilen. Der untere ist in den Händen der »Bauerschaft, den eigentlichen und bevorrechtigten Bürgern«. Der obere heißt ursprünglich Schueckenhofen, benannt nach einem Hof, der früher dort stand, und wird »von Taglöhnern und Handwerkern bewohnt«. In der »Gypsmühle« wird Gips gemahlen, der am Neckar geholt und in der Gegend verkauft wird. Der dritte Ortsteil ist der außerhalb gelegene Heuhof, der vor dem Dreißigjährigen Krieg nicht nur ein Hof, sondern ein ganzer Weiler, Heudorf, gewesen sein muss. Auch die Lebensverhältnisse werden in den Oberamtsbeschreibungen geschildert. Der Gemeindehaushalt sei »in vorzüglich guten Umständen«, allerdings ist von einer ungewöhnlich hohen Kindersterblichkeit die Rede: »von 100 Kindern sterben 54 schon wieder im ersten Lebensjahre«, heißt es.
Der Ort ist tief katholisch. Die Oberamtsbeschreibung von 1912 zählt, inklusive Heuhof, 403 Einwohner, davon sind gerade mal zwei evangelisch. Sie dürften es nicht so ganz leicht gehabt haben - das gilt auch für die fiktive Lissi, wenn man ihr ein mögliches, reales Pendant gegenüberstellt. Sie geht - wie viele junge Mädchen vom Land - in die Stadt in Stellung. »Das Klischee vom Dienstmädchen, das von ihrem Dienstherren oder anderen männlichen Mitgliedern des Haushalts schwanger wird, ist so alt wie real«, schreibt Maria Nikolai in ihrem Anhang. Die Mädchen waren abhängig und trauten sich nicht, Avancen zurückzuweisen - die Grenze zum Missbrauch ist fließend. Ihre ungewollte Schwangerschaft kostet die Roman-Lissi ihre Stelle. Ein »lediges« Kind zu bekommen war damals eine Schande, es alleine aufzuziehen eine mutige Entscheidung, die auch bedeutete, ziemlich sicher ein Leben lang am Rande der Gesellschaft zu stehen. Lissi entzieht sich der Stigmatisierung, in dem sie nach Amerika auswandert.
Zwei Auswanderungswellen auf der Alb
Wie viele echte Bremelauer haben sich für ein solches Abenteuer entschieden? So ganz genau lässt sich das nicht sagen, weil es keine lückenlose Dokumentation gibt, erklärt Archivarin Carina Zeiler. Aber: Dass es auf der Alb zwei große Auswanderungswellen gab, ist sicher. Die erste war bereits in den 1770er- und 1780er-Jahren, ausgelöst von Krieg, Missernten und Armut. Gut 100 Jahre später brachten Agrar- und Wirtschaftskrisen die Menschen erneut in Not, die Industrialisierung hatte die Lebensverhältnisse auch in Württemberg einschneidend verändert: Bevölkerungswachstum und Massenarmut zwangen die Menschen, nach Alternativen zu suchen.
Zahlen für Bremelau hat Carina Zeiler in einem »chronologischen Verzeichnis der aus der Gemeinde ausgetretenen Personen« gefunden, die 1852 begonnen und bist 1871 geführt wurde, danach brechen die Aufzeichnungen wieder ab. Das Verzeichnis ist eine Art Melderegister, in dem alle vermerkt sind, die nach Bremelau gezogen sind oder den Ort verlassen haben - inklusive Angaben über das Ziel. In der Liste stehen etliche Frauennamen, nach Amerika ist aber keine gegangen, sondern eher nach Justingen, Granheim oder Ehingen: Die jungen Frauen haben Männer in den Nachbardörfern geheiratet. Das Stichwort »Amerika« als Ziel findet sich nur bei zwei von insgesamt 22 Einträgen, beide Auswanderer waren Männer. »Frauen sind meistens nicht allein, sondern mit ihrer Familie oder ihren Ehemännern ausgewandert«, sagt die Historikerin Carina Zeiler. Zumindest offiziell. Gut möglich, dass es ein Dunkelfeld gab - mit Fällen wie dem der fiktiven Lissi.
»Viele Menschen - allein zwischen 1870 und 1880 waren es in Württemberg über hunderttausend - sahen keinen anderen Ausweg als die Auswanderung, vor allem in die Vereinigten Staaten von Amerika«, schreiben Jule Respondek und Felix Teuchert in den Archivnachrichten, Heft 70 (2025), die vom Landesarchiv Baden-Württemberg herausgegeben werden. Briefe geben Aufschluss über ihre Motivation: Es war die Hoffnung auf ein besseres Leben, die USA betrieben eine offene Einwanderungspolitik, dort »existierten bereits etablierte deutsche Gemeinschaften, was Einreise und Integration erleichterte«, schreiben Repsondek und Teuchert. In eine solche Gemeinschaft lässt Maria Nikolai auch Lissi eintauchen. Little Germany war ein Stadtviertel von New York, in dem überwiegend deutsche Einwanderer lebten - bis sich 1904 ein schlimmes Unglück ereignete, das auch im Roman eine entscheidende Wendung in die Geschichte bringt ... (GEA)
Signierstunde und Kino-Feeling-Lesung
Persönlich treffen können Fans die Autorin Maria Nikolai am Freitag, 3. Mai, bei einer Signierstunde von 10 bis 13 Uhr in der Buchhandlung Osiander in Metzingen. Am Dienstag, 6. Mai, steht die große Kino-Feeling-Lesung im Metzinger Luna Filmtheater auf dem Programm: Die Autorin liest ausgewählte Passagen und gibt Einblicke in die Entstehung ihres Romans, dabei wird sie von Bildern auf großer Leinwand und einem eigenen Soundtrack begleitet. Beginn ist um 19 Uhr, vorab gibt es Sekt bei der Buchhandlung Finkeria in der Hindenburgstraße, wo im Vorverkauf Karten für 12 Euro erhältlich sind (Abendkasse 15 Euro). Infos und Karten gibt es zudem in der Münsinger Finkeria-Filiale in der Uracher Straße sowie telefonisch unter 07123 96160 oder 07381 921539. (ma)