MÜNSINGEN. Ein Geschädigter, der von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, Gedächtnislücken der Zeugen und ein Angeklagter, der zu den von der Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwürfen kein Sterbenswörtchen sagt. Das alles hat die 8. Klasse der Schillerschule Münsinger dreieinhalb Stunden live vor dem Amtsgericht erlebt. Dort ging es um gefährliche Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Nötigung, Beleidigung und Bedrohung.
Rückblick. Während des Münsinger Stadtfestes 2024 war es am Abend gegen 21 Uhr vor dem Rathaus zu einer Schlägerei gekommen, wobei laut Polizei »eine Glasflasche als Schlagwerkzeug« zum Einsatz kam. Die Beamten waren schnell vor Ort und versuchten laut Staatsanwaltschaft »mit erheblichem Kraftaufwand« den Angreifer zu fixieren. Dabei schrie der 28-Jährige zahlreiche derbe Schimpfworte Richtung der Polizisten und beleidigte sie aufs Übelste. Sie zeigten ihn an und sprachen einen Platzverweis aus.
Aus misslicher Lage befreit
Das juckte den 28-jährigen Angeklagten in keiner Weise. Zwei Stunden später tauchte der angetrunkene und vermutlich unter Drogen stehende Mann dort wieder auf. Er bedrohte mit einem Klappmesser einen 18-Jährigen, von dem er annahm, dass er ihn zuvor bei der Polizei verpfiffen hatte. Dem war aber nicht so. Laut Staatsanwaltschaft spürte der 18-Jährige »die Klinge auf der Haut«, zudem habe der Angreifer »ich stech’ dich ab« gebrüllt. Mithilfe von Freunden konnte sich der junge Mann aus seiner misslichen Lage befreien.
Knapp drei Monate später sah der Angreifer vor dem Münsinger Rathaus zufällig einen Polizisten, der ihn beim Stadtfest, zusammen mit Kollegen, überwältigt und fixiert hatte. Wieder beleidigte und bedrohte er den Beamten, beim anschließenden Gerangel wurde der Polizist leicht verletzt.
Zu allen Vorwürfen machte der Angeklagte keine Aussage, ebenso wenig der junge Mann, den er auf dem Stadtfest mit einer Glasflasche angegriffen hatte. Dieser war erst gar nicht vor Gericht erschienen. Der Jugendliche, den er im Anschluss mit dem Messer bedroht hatte, und die meisten der vier Zeugen des Vorfalls hatten auf dem Stadtfest nach eigenem Bekunden einen über den Durst getrunken. So erklärten sie ihre Gedächtnisschwächen. Lückenhaft konnten sie sich noch an das eine oder andere Detail erinnern.
Keine neutrale Zeugen
Der Hauptsachbearbeiter der Polizei sagte aus, wie sich die drei Fälle anhand der Aktenlage zugetragen hatten. Aber: »Neutrale Zeugen gab es nicht«, gab er zu Protokoll. Dass der Angeklagte kein unbeschriebenes Blatt ist, zeigte sich, als die 13 Einträge im Bundeszentralregister verlesen wurden. Er stand schon mehrmals wegen gefährlicher Körperverletzung, wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und anderer Delikte vor verschiedenen Amtsgerichten im Landkreis Reutlingen. Trotzdem bescheinigte der Vertreter der Anklage dem 28-Jährigen, der kürzlich zum dritten Mal Vater geworden ist und als Hausmann Bürgergeld bezieht, »eine positive Sozialprognose«. Als »letzte Warnung« forderte Marco Härle eine siebenmonatige Bewährungsstrafe und 120 Stunden gemeinnützige Arbeit.
Richterin Julia Felbinger beließ es in ihrem Urteil bei sechs Monaten Gefängnis. Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre. Außerdem muss der Verurteilte 120 Stunden unentgeltlich in einer sozialen Einrichtung arbeiten. »Ich habe den Eindruck, dass Sie es jetzt schaffen«, sagte Felbinger in ihrem Schlusswort. (lejo)
IM GERICHTSSAAL
Richterin: Julia Felbinger Staatsanwalt: Marco Härle