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Aktuell Nostalgie

Alte Reutlinger Bahn soll in Auingen Blickfang werden

Jahrelang stand ein Triebwagen der Straßenbahn aus Reutlingen am Münsinger Ortsausgang unter freiem Himmel. Jetzt wurde er nach Auingen ins Albgut transportiert, wo er nicht nur vor weiterem Verfall geschützt werden soll. Besitzerin Annegret Tress hat noch mehr vor.

Annegret Tress hat einen der ehemaligen Straßenbahn-Triebwagen aus Reulingen ins  Albgut geholt.  FOTOS: SCHRADE
Annegret Tress hat einen der ehemaligen Straßenbahn-Triebwagen aus Reulingen ins Albgut geholt. FOTOS: SCHRADE
Annegret Tress hat einen der ehemaligen Straßenbahn-Triebwagen aus Reulingen ins Albgut geholt. FOTOS: SCHRADE

MÜNSINGEN. Er steht auf dem Abstellgleis. Aber es ist nicht das Schlechteste. Seit einigen Wochen hat der Triebwagen Nr. 53 der Reutlinger Straßenbahn eine neue Bleibe gefunden. Jahrelang stand er am Münsinger Ortsausgang unter freiem Himmel – was man ihm auch ansieht. Jetzt haben Annegret und Franz Tress das öffentliche Verkehrsmittel von anno dazumal zu sich ins Albgut geholt und damit auch vor dem weiteren Zerfall bewahrt.

Gut so, denn Nr. 53, Baujahr 1928, ist ein Stück Geschichte – genauso wie das Albgut, das früher das Alte Lager war. Die Kaserne in Münsingen-Auingen wurde vor beinahe 130 Jahren erbaut, als Württemberg noch ein Königreich war. Fast so lange ist es her, dass die erste Lokalbahn durch Reutlingen in Richtung Eningen fuhr – damals noch dampfbetrieben, ab 1912 dann elektrisch. Zu Spitzenzeiten umfasste das Streckennetz 22,4 Kilometer, die Straßenbahn verband Eningen, Pfullingen, Altenburg, Oferdingen, Rommelsbach und Orschel-Hagen mit dem Reutlinger Stadtzentrum.

Schmuckstück für die Lounge

Bis sie vor einem halben Jahrhundert für immer aus dem Stadtbild verschwand. Die Gründe waren damals schon dieselben wie heute, wenn eine Strecke des öffentlichen Nahverkehrs aufgegeben wird: das Geld. Bereits seit 1949 hatte die Stadtbahn kontinuierlich Verluste eingefahren. Heute bereut man die Entscheidung bitterlich – hätte man damals gewusst, dass man 50 Jahre später wieder über eine Regionalstadtbahn reden würde, wäre die Sache wohl anders gelaufen.

Foto: Marion Schrade
Foto: Marion Schrade

Der GEA berichtete vor einigen Wochen über das Ende der Reutlinger Straßenbahn und rief Leser auf, ihre Erinnerungen zu teilen. Auch Annegret Tress stieß auf den Artikel und meldete sich. Den Triebwagen Nr. 53 hatte sie bereits gekauft, der Transport von Münsingen ins Albgut war bereits organisiert und der Platz, an dem er stehen sollte, schon vorbereitet.

Foto: Marion Schrade
Foto: Marion Schrade

Das Albgut besteht überwiegend, aber nicht nur, aus über hundert Jahre alten, denkmalgeschützten Gebäuden. Zu den weniger schönen Bauten zählt eine aus Containern zusammengesetzte Küche, die das Albgut-Team in Teilen abgebrochen hat. Stehen geblieben ist das Dach, sodass die Straßenbahn künftig im Trockenen stehen wird – sogar auf einem Stück ausgemusterter Schienen.

Nr. 53 (links) wurde bei einem Straßenbahnunfall in Rommelsbach schwer beschädigt. 60 Jahre nach dem Unfall wurde die Straßenbah
Nr. 53 (links) wurde bei einem Straßenbahnunfall in Rommelsbach schwer beschädigt. Foto: Stadt
Nr. 53 (links) wurde bei einem Straßenbahnunfall in Rommelsbach schwer beschädigt.
Foto: Stadt

Auch wenn es, wie Annegret Tress anmerkt, im ehemaligen Alten Lager nie eine direkte Bahnanbindung gab. Der Schienenverkehr spielte trotzdem eine wichtige Rolle: Viele Jahrzehnte lang brachten Züge Soldaten, Panzer und Material in die Garnisonsstadt Münsingen, die letzten Kilometer zur Kaserne und zum angrenzenden Truppenübungsplatz mussten zu Fuß, zu Pferde oder mit motorisierten Fahrzeugen zurückgelegt werden.

60 Jahre nach dem Unfall wurde die Straßenbahn nun von Münsingen nach Auingen ins Albgut transportiert. Foto: Privat
60 Jahre nach dem Unfall wurde die Straßenbahn nun von Münsingen nach Auingen ins Albgut transportiert.
Foto: Privat

Auf dem »Abstellgleis« im positiven Sinne wird die Nr. 53 nicht nur vor dem weiteren Zerfall geschützt. Annegret Tress hat noch mehr mit ihr vor. Die ehemalige Küche liegt zwischen dem Frühstückshaus für Gäste, die in einer der ehemaligen Kasernen übernachten, und dem Spielplatz. Publikumsverkehr und Aufmerksamkeit sind ihr also gewiss, weshalb Tress »ihre« Straßenbahn gerne ins touristische Konzept einbinden will. Denkbar wäre es beispielsweise, den offenen Raum wieder zu schließen – allerdings mit Glaswänden, sodass der Triebwagen von allen Seiten sichtbar bleibt. Er wäre dann der Blickfang in dieser wintergartenähnlichen Konstruktion, die wie eine Hotellobby mit Bar, Billardtisch oder ähnlichem ausgestattet werden könnte, entwickelt Annegret Tress erste Ideen.

TECHNISCHE DATEN

Der Triebwagen Nr. 53 wurde 1928 gebaut und hat ein Gewicht von 11,2 Tonnen. Auf einer Länge von 8,65 Metern und einer Breite von 2,04 Metern bietet er 18 Sitzplätze.

Die Nr. 53 ist übrigens nicht irgendein x-beliebiger Triebwagen, sondern einer, der für Schlagzeilen sorgte. 1964 kam es an der engen, unübersichtlichen Kurve beim Rommelsbacher Pfarrhaus zur Kollision mit dem Triebwagen Nr. 35. Der Schaden war groß, die Passagiere hatten Glück im Unglück: Es gab nur zwei Leichtverletzte. Schuld war damals der T 53-Fahrer: Er hatte den Gegenzug nicht abgewartet. (GEA)