ENGSTINGEN. Der historische und rundum sanierte Bahnhof Kohlstetten ist ein echter Hingucker geworden. Statt Billetts und Fahrplänen wurden hier seit 2018 feine Speisen und Getränke ausgegeben. Doch Corona, Krieg und persönliche Gründe haben den Restaurant-Betreiber Franzis Binder in die Knie gezwungen. Ende August serviert er die letzten Gerichte, ab September bleibt das Restaurant geschlossen. Ein Nachfolger ist noch nicht gefunden.
Er war ein Schandfleck im Ort und wurde zu einem Schmuckstück: der Bahnhof Kohlstetten. Ulrich Globuschütz hatte sich in das Gebäude, das nicht mehr als eine Ruine war, verguckt und das denkmalgeschützte Haus liebevoll restauriert. Seit 2018 ist der Bahnhof wieder eine bauhistorische Perle, die zum Aushängeschild vom kleinen Kohlstetten geworden ist und heute so wie vor 129 Jahren strahlt. 1893 lag er an der neuen Bahnstrecke von Münsingen nach Honau, heute hält hier die Schwäbische Alb-Bahn. Und so mancher Feinschmecker. Denn nicht nur Ulrich Globuschütz hat mit Mut und finanziellem Einsatz seine Vision umgesetzt, auch Küchenmeister Franzis Binder lebte hier seit vier Jahren seinen Traum mit seinem eigenen Restaurant, das er im September 2018 eröffnete.
Ein Herzensprojekt
Für Ulrich Globuschütz war und ist der Bahnhof Kohlstetten – das Bahnhöfle, wie er es liebevoll nennt – ein Herzensprojekt. Er bedauert es, dass Franzis Binder den Pachtvertrag gekündigt hat und sich die Wege der Geschäftspartner trennen, »ich verstehe ihn und seine Situation aber auch«, sagt der Lichtensteiner. »Ich kann ihm nur alles Gute wünschen.« Schwarz sehe er für die Zukunft des Gebäudes nicht. Eigentlich läuft der Pachtvertrag noch bis zum 31. Dezember, Restaurantchef Franzis Binder sperrt das Lokal aber schon zum 31. August zu.
Der 43-Jährige ist auf der Suche nach einem Wirt, der das Restaurant weiterbetreiben könnte, Ulrich Globuschütz und seine Frau schmieden aber auch schon alternative Pläne, falls sich niemand Adäquates findet. Denn Globuschütz hat bestimmte Vorstellungen davon, was ins Ambiente des Denkmals passt und was nicht. Ein günstiger Imbissbetrieb sei eher ausgeschlossen. Wenn das Lokal nicht mehr als Restaurant betrieben werden kann, dann könnte sich Ulrich Globu-schütz auch vorstellen, sein Bahnhöfle in eine Event-Location zu verwandeln, die von einem Caterer genutzt wird, die für Geburtstags-, Familien-, Firmenfeiern und Hochzeiten vermietet oder aber auch als Tagungs- und Seminar-Raum genutzt werden könnte. »Wir müssen uns neu orientieren und werden eine Lösung finden«, sagt Ulrich Globuschütz zuversichtlich. »Wenn sich die Situation am Markt verändert, muss man eben reagieren.« So ist die Ferienwohnung im oberen Stock mittlerweile keine Heimat auf Zeit für Urlauber mehr, sondern dauervermietet. Der Aufwand, ein Restaurant zu betreiben, sei zu groß, bilanziert Globuschütz. »Das gibt das Bahnhöfle nicht her.«
Das Konzept von Franzis Binder sei gut gewesen, sagt Ulrich Globuschütz, »die Küche ist hervorragend«. Man müsse nur darüber nachdenken, ob das Konzept für diesen Standort das richtige sei. Fehler habe Binder nicht gemacht. Das stellt auch der Küchenmeister selbst klar. »Die Leute rennen mir gerade die Bude ein«, sagt er, nachdem er öffentlich gemacht hat, dass er sein Restaurant schließen wird. »Es hat auch nicht wegen zu weniger Gäste nicht funktioniert.« Dass der Herd im Bahnhof Kohlstetten künftig kalt bleibt, sei eine »Verkettung zu vieler negativer Einflüsse«, auf die er nicht habe einwirken können. Er zählt auf: Tatsächlich kämen gerade in diesem Sommer weniger Tagestouristen auf die Alb, die Station in Kohlstetten machen. Die letzten zweieinhalb Jahre war das Geschäft schleppend bis gar nicht gelaufen – wegen Corona und Lockdowns. Zwar hat Franzis Binder ein Abhol-Konzept entwickelt und eine Soßen-Manufaktur aufgebaut, aber auch das konnte die fehlenden Gäste nicht wettmachen.
»2019 hatten wir gute Zahlen. Dann folgten zweieinhalb Jahre Krise, das war nicht vorhersehbar.« Und die Pandemie wirkt sich bis heute aus. Binder erläutert: »Unsere Coronahilfen für 2020, die wir nicht investiert haben, sondern als Sicherheit für nachfolgende Verluste aufgehoben haben und für die wir sie auch gebraucht haben, werden jetzt vom Finanzamt und Krankenkasse AOK als zu versteuerndes Einkommen gewertet, und somit kommen Forderungen von insgesamt 21 000 Euro von jetzt auf nachher ins Haus. Bei gleichzeitig schlechter Umsatzlage führt dies dazu, dass ein Betrieb von heute auf morgen in die Zahlungsunfähigkeit abrutscht.« Der Restaurantchef nennt weitere Gründe, die den Betrieb darüber hinaus erschweren: »Der Krieg, hohe und steigende Energiekosten, Gasumlage, Inflation, Teuerung – es sind Zeiten, in denen die Perspektiven nicht gut sind.«
Auch gesundheitliche Probleme haben ihn zu seinem Entschluss bewogen. Seine Frau sei krankheitsbedingt ein Vierteljahr ausgefallen. »Wenn man allein im Boot sitzt, ist es schwer«, sagt Binder. Er kann nicht gleichzeitig in Küche und Service arbeiten. Viel Personal zu engagieren, das trägt ein kleiner Betrieb wie der Bahnhof Kohlstetten nicht. Wenn überhaupt welches zu finden ist. »Die Gastronomie hat für Mini-Jobber an Attraktivität verloren.«
Produkte aus der Region
Der Bahnhof Kohlstetten war wie gemacht für Franzis Binder, der hier seinen Traum aus Jugendtagen verwirklichen konnte, nachdem er seinen ersten erlernten Beruf – Schreiner – an den Nagel gehängt hatte. Das Ambiente spricht für sich, drinnen gibt es etwa 35 Plätze, draußen noch einmal rund 40. Mehr ist aus der drei Mal drei Meter kleinen Küche auch nicht zu bespielen. Als Quereinsteiger gab ihm ein Chef eine Chance, er meldete sich zur Gesellenprüfung an, legte den Küchenmeister nach. Im Bahnhof hat er sich Frische, Regionalität, Nachhaltigkeit verschrieben. Einmal im Monat wechselt die Karte, die mit viel Kreativität gestaltet ist. Viele der Zutaten sind von Bio-Produzenten, Binder backt Kuchen und Brot selbst. Tüten, Tiefkühlwaren, Fertigprodukte kommen nicht in den Topf. Eines von seinen Signature-Dishes ist die Bouillabaisse von Echaz-Fischen.
Im September will sich Franzis Binder eine Auszeit nehmen. Zu Kräften kommen. »Krone richten.« Was danach kommt – das lässt er offen. Angebote hat er, »ich will aber nicht das Nächstbeste machen.« Er sei kein Kochhandwerker, sondern brauche kreative Entfaltungsmöglichkeiten. »Ich brenne dafür«, sagt er. »Immer noch. Das ist der Motor, den man braucht.« Das Bahnhöfle war nach Jahrzehnten auferstanden. »Es wäre schön, wenn sich jemand findet, der Mut hat«, wünscht Franzis Binder dem Haus eine gute Zukunft. (GEA)