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Kitzretter Neckar-Alb retten 297 Reh-Babys vor dem Tod durch Mähwerke

Es wird öfter gemäht und schneller als mit dem alten Fendt, Rehkitze sind daher mehr vom Tod durch Mähwerke bedroht. Mit Drohnen werden die Babys gesucht und von Helfern gerettet.

In der Kiste überstehen die Kitze Traktorattacken. Handschuhe und Grasbüschel verhindern, dass das Baby nach Mensch riecht.
In der Kiste überstehen die Kitze Traktorattacken. Handschuhe und Grasbüschel verhindern, dass das Baby nach Mensch riecht. Foto: privat
In der Kiste überstehen die Kitze Traktorattacken. Handschuhe und Grasbüschel verhindern, dass das Baby nach Mensch riecht.
Foto: privat

SONNENBÜHL. 297 Rehkitze hat der Verein Kitzretter Neckar-Alb in dieser Saison rechtzeitig vor der Mahd in Wiesen gefunden und in Sicherheit gebracht. Kein Rekord, doppelt so viele wie 2024, sagt Peter Herrmann von den Kitzrettern. Der Verein ist in der ganzen Region aktiv, von Kirchentellinsfurt bis in die Landkreise Sigmaringen und Zollernalb, eng vernetzt mit den Kitzrettern etwa der Jägervereinigungen oder privater Aktiver.

Kitze haben eine schlaue Überlebensstrategie. Sie senden keinen Geruch aus, sind klein und in Flecktarn gut an die Umgebung angepasst und sind deswegen für Füchse oder auch freilaufende Hunde - bitte nicht nur im Frühsommer an die Leine nehmen - schwer zu finden. Das nützen sie aus und bleiben tagsüber versteckt einfach bewegungslos liegen, evolutionär funktioniert das ganz gut. Selbst die Kitzretter, die über eine Drohne zum Kitz geführt werden und wissen, wo sie suchen müssen, stolpern im hohen Gras oft genug über Kitze direkt vor ihren Füßen. Wenn der Traktor nebst Mähwerk naht, ist Liegenbleiben aber ein Todesurteil.

Wettlauf mit und gegen die Technik

Kitze werden vor der Mahd schon immer von den Jägern gesucht, Hege und Wildtierschutz stehen in der deutschen Waidethik seit jeher weit oben. Das Ablaufen zu Fuß, mit oder ohne Hund, ist aber wenig effektiv: Die kleinen Versteckspieler machen das Auffinden ja keinem leicht. Das war früher ein Problem, aber nicht ganz so schlimm. Beim ersten Schnitt, der »Heiad« Ende Juni, Anfang Juli, waren die Kitze in der Regel schon so erwachsen und mobil, dass sie selbst flüchten konnten. Und so ein Schnitt zog sich mit kleinen Traktoren auch mal über ein, zwei Tage - Zeit genug für die Mutter, die Rehgeiß -, ihre Sprösslinge am Abend in sicherere Gefilde zu führen. Diese romantischen Zeiten sind vorbei. Wiesen werden öfter gemäht, grüne Grassilage wird schon im Mai geschnitten, gern in Folge mehrmals. Und ein moderner leistungsstarker Schlepper mit großem Mähwerk macht an einem Vormittag eine Fläche platt, für die Vaters alter Fendt zwei sonnigeTage gebraucht hätte.

Kitze sind im hohen Grass schwer zu finden.
Kitze sind im hohen Grass schwer zu finden. Foto: Privat
Kitze sind im hohen Grass schwer zu finden.
Foto: Privat

Nicht nur die Jägerschaft hat reagiert, moderne Technik bedroht die Kitze, kann sie aber auch retten. Schon 2018 kamen Engagierte - damals noch ohne Verein - auf den Gedanken, Drohnen nebst Wärmebildkameras einzusetzen, um die Kitze zu finden. 2018 gab es noch keinen Kitzretter-Verein, aber die Initiative kam nicht nur aus der Jägerschaft, die ja am nächsten am Geschehen ist. Matthias Raster, 2. Vorsitzender im Verein, ist zum Beispiel kein Jäger, aber mit den Drohnenpiloten des Deutschen Roten Kreuzes unterwegs. Warum also nicht die Expertise auf andere Felder übertragen? DRK-Drohnen werden aber bei der Kitzrettung nicht eingesetzt, da legt Raster wert drauf. Die Übung auf den Feldern schade aber sicher auch Rotkreuzlern nichts. Die Kitzretter Neckar-Alb sind also ein Sonderfall. Viele Jäger sind im Verein unterwegs, aber auch andere, die sich für das Thema einsetzen - Tierschützer, Naturbegeisterte oder auch einfach Menschen, mit Freude an der Drohnentechnik, die aus ihrem Hobby mehr machen wollen.

Die Kitze sind noch hilflos und ohne Fluchtinstinkt.
Die Kitze sind noch hilflos und ohne Fluchtinstinkt. Foto: Privat
Die Kitze sind noch hilflos und ohne Fluchtinstinkt.
Foto: Privat

Finger weg von Kitzen

Konkurrenz zwischen den Drohnenpiloten unterschiedlicher Organisationen gibt es nicht. »Wenn das Wetter passt, und ein Landwirt mähen will, mähen alle«, sagt Marcel Wörz vom Verein. Das erfordert Einsatz und Koordination. Ohne die Landwirte geht nichts, aber die seien zu 99,9 Prozent an Bord, meint Herrmann. Kein Bauer will ein Kitz vermähen, kein Bauer will Kadaverreste in seinem Heu finden. Wann gemäht wird, entscheidet aber die Sonne. Wenn der Planet sticht, heißt es schnell sein. Die Kitzretter rücken in aller Frühe aus, morgens um 4 oder 5 Uhr. Dann hebt sich die Wärmesignatur der Kitze noch deutlich vom kühleren Boden ab. Die Drohnen finden die kleinen Drückeberger, eine Helfermannschaft - meist rekrutiert aus der Jägerschaft - packt sie in Kisten und bringt sie aus dem Gefahrenbereich. Die Bodentruppen tragen Handschuhe und benutzen Grasbüschel, um zu vermeiden, dass das Kitz nach Mensch riecht. In den Kisten werden sie an den Waldrand gebracht, Ziel ist es, sie drei Stunden später wieder freizulassen. Herrmann und seine Mannen haben es schon erlebt, dass die Kisten von Passanten geöffnet, die Kitze »befreit« wurden. Bitte nicht: Die Kitze rennen zurück in den Gefahrenbereich, in die Todeszone. Gut gemeint ist nicht immer gut getan. »Bitte Finger weg«, sagt Matthias Raster.

Peter Herrmann, Marcel Wörz und Matthias Raster haben in den vergangenen Wochen selten ausgeschlafen.
Peter Herrmann, Marcel Wörz und Matthias Raster haben in den vergangenen Wochen selten ausgeschlafen. Foto: Steffen Wurster
Peter Herrmann, Marcel Wörz und Matthias Raster haben in den vergangenen Wochen selten ausgeschlafen.
Foto: Steffen Wurster

Spenden für die Kitzrettung

Die Kitzretter Neckar-Alb kann man mit Spenden unterstützen. Über Paypal an spende@kitzretter-na.de Stichwort Kitzretter Neckar-Alb. Oder über Verwendungszweck Kitzretter Neckar-Alb an die KSK Reutlingen, IBAN DE78 6405 0000 0100 1556 59. (GEA)

Die Kitzretter investieren viel Zeit und Herzblut in ihre Mission, von Mai bis Juni zwacken sie sich Freizeit ab, bevor es an den Arbeitsplatz geht. Und das Gerät kostet Geld: Eine Drohne nebst Ausrüstung kommt auf 8.500 bis 9.000 Euro. Das war auch ein Grund, die Kitzrettung, die in Eigeninitiativen begonnen hat, in einem Verein zu verankern. Wer das Anliegen der mittlerweile rund 30 Ehrenamtlichen unterstützen will, hat dazu Gelegenheit. (GEA)