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St. Johann: Lange Diskussion zur Verpachtung von Windkraft-Flächen

Wenn das mal kein eindeutiges »Jein« war: Nach langer Diskussion rang sich der St. Johanner Gemeinderat zwar ein grundsätzliches Bekenntnis zum Ausbau erneuerbarer Energien und auch - mit denkbar knappem Ergebnis - zur Verpachtung von kommunalem Terrain für Windkraftanlagen an. Was die Details betrifft, drehen Gremium, Verwaltung und Bürger aber nochmal eine Ehrenrunde.

Sonnenuntergang
Ein Windrad steht im Sonnenuntergang unter aufziehenden Wolken im bayrischen Biebelried. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/DPA
Ein Windrad steht im Sonnenuntergang unter aufziehenden Wolken im bayrischen Biebelried.
Foto: Karl-Josef Hildenbrand/DPA

ST. JOHANN. Die Skeptiker und Gegner des Windkraftausbaus, die in großer Zahl in den Gemeinderat gekommen waren, dürften das als Erfolg für sich verbuchen. Nur zwei Tage zuvor hatten sich - nachdem es vorher kaum Einwände und schon gar keine Proteste gegeben hatte - Ohnastetter Bürger zur »Bürgerinitiative zum Erhalt von Gesundheit, Landschaft St. Johann« formiert. Nach eigenen Angaben haben sich rund 70 Menschen der Gruppe angeschlossen, ein Großteil davon dürfte am Mittwoch im Rathaus gewesen sein: Die Sitzplätze im Zuhörerbereich reichten kaum aus, immer wieder mussten weitere Stühle aufgestellt werden.

Mitdiskutieren dürfen Bürger in einer Ratssitzung zwar nicht. Aber: Sie haben in der Fragestunde zu Sitzungsbeginn die Möglichkeit, ihre Anliegen vorzubringen. Davon machten die Mitglieder der Initiative regen Gebrauch. Sie formulierten nicht nur ihre Einwände gegen den Bau eines Windparks vor ihrer Haustür, sondern übten auch Kritik an der ihrer Ansicht nach mangelhaften Informationspolitik der Gemeinde zum geplanten Windpark. Fakt ist: Das Thema wurde in der Tat überwiegend nicht öffentlich im Rat diskutiert, wie Bürgermeister Florian Bauer einräumte. Fakt ist allerdings auch: Anfang Mai gab es eine große Informationsveranstaltung in der Würtinger Gemeindehalle, in der die Pläne vorgestellt worden waren.

»Kaum 100 Leute waren da«, bemerkte Bauer. Und auch der Bus, der Interessierte wenig später kostenlos zur Besichtigung des Windparks Winterbach-Goldboden chauffierte, blieb halb leer. Wer dabei war, konnte sich zumindest nicht darüber beklagen, keine Kenntnis davon zu haben, wer was und wie auf St. Johanner Gemarkung in Sachen Windkraft vorhat. Das wichtigste Detail zuerst: Es ist nicht die Gemeinde, die einen Windpark in St. Johann plant. Der Regionalverband Neckar-Alb hat im Süden von Ohnastetten ein rund 164 Hektar großes Vorranggebiet definiert, auf dem sich in Zukunft fünf bis acht Windräder drehen könnten. Die Gemeinde kommt als Eigentümerin der Flächen ins Spiel. Sie besitzt dort 96 Hektar Land, der Rest gehört dem Land, vertreten durch Forst BW.

»Wir wollen die Windräder nicht nur angucken, sondern auch davon profitieren«

Die konkrete Frage, mit der sich - nach Nachbarkommunen wie Pfronstetten und Engstingen, wo es Bürgerentscheide mit unterschiedlichem Ausgang gab - nun auch der St. Johanner Gemeinderat zu beschäftigen hatte und hat, lautet also: Ist die Kommune grundsätzlich bereit, ihre Grundstücke für den Bau eines Windparks zu verpachten? Und wenn ja, soll eine gemeinsame Ausschreibung mit Forst BW angestrebt werden? Seine Entscheidung traf das Gremium nach langer, kontroverser Diskussion, in die auch die Wortmeldungen der Bürger einbezogen wurden, scheibchenweise.

Einzeln abgestimmt wurde über fünf Punkte. Dem ersten konnten die Räte bei drei Gegenstimmen und einer Enthaltung mit deutlicher Mehrheit zustimmen: Die Gemeinde befürwortet den Ausbau erneuerbarer Energien auf ihrer Gemarkung grundsätzlich und wird dem Klimaschutzgesetz des Landes Rechnung tragen, um das vorgegebene Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen.

Komplett einig waren sich die Räte in Punkt zwei: Man will weitere Gespräche mit dem Regionalverband zur Gebietskulisse führen. Was - drittens - die Bereitschaft, kommunale Flächen zu verpachten, angeht, hätte es spannender und knapper nicht sein können: Enzian Schneiders Antrag, den Punkt zu streichen, wurde bei Stimmengleichheit (je sieben Ja und Nein sowie zwei Enthaltungen) abgelehnt. In der folgenden Abstimmung sprachen sich acht Räte für die Verpachtung aus, fünf waren dagegen, drei enthielten sich.

Spannend und so knapp wie's nur sein kann war Punkt drei: Die Verwaltung hatte in ihrer Vorlage das Ziel formuliert, »den Ausbau der erneuerbaren Energien auch auf gemeindeeigenen Grundstücken mitzugestalten«, sprich: Flächen zu verpachten. Dem Antrag ihres Ratskollegen Enzian Schneider, diesen Punkt zu streichen, folgten sieben Räte, sieben waren dagegen, zwei enthielten sich. Heißt: Bei Stimmengleichheit war Schneiders Antrag abgelehnt, der Vorschlag der Verwaltung kam also zur Abstimmung. Hier sprachen sich acht Räte und damit die Mehrheit für die Verpachtung aus.

»Wir werden erpresst. Wir müssen mitmachen, Gewissensbisse hin oder her«

Auch den vierten Punkt wollte Schneider gerne gestrichen sehen und hatte in diesem Falle die Mehrheit des Gremiums hinter sich: Eine gemeinsame Ausschreibung mit Forst BW wird vorerst nicht angestrebt. Einstimmig wurde der fünfte und letzte Punkt durchgewunken: Der Wunsch der Bürgerinitiative nach einer weiteren Informationsveranstaltungen und Gesprächen wird erfüllt.

Was die Bürger, die sich kurzfristig zur Initiative zusammengeschlossen hatten, bewegt, wurde in der Sitzung deutlich. Gut eine Stunde Frage- beziehungsweise Redezeit räumte der Bürgermeister den Anwesenden ein. Die einen sorgen sich um fallende Immobilienpreise im Umfeld von Windparks, die anderen stellen deren Rentabilität infrage. Der Mindestabstand zu Wohngebäuden ist ein großes Thema, 750 Meter sollen es laut Gesetz mindestens sein - für St. Johann, das betonte der Bürgermeister in seinen Antworten immer wieder, werden 1.000 Meter angestrebt.

Auch an die beschränkten Handlungsspielräume der Gemeinde erinnerte Bauer mehrfach: »Wir müssen geltendes Recht umsetzen, das ist keine Frage des Wollens.« Das Land gibt vor, dass zwei Prozent der Fläche für den Ausbau erneuerbarer Energien verwendet werden. Dass Forst BW geeignete Flächen ausschreibt, ist so gut wie sicher - ebenso wie die Tatsache, dass Projekte in etlichen Nachbargemeinden schon ein paar Schritte weiter sind und realisiert werden.

»Wir entscheiden nicht darüber, ob Windkraft kommt, sondern wie«, betonte Bauer. Es gehe jetzt vor allem darum, »dass die Gemeinde als Player mit am Tisch sitzt. Wir wollen die Windräder nicht nur angucken, sondern auch davon profitieren«. Dass die Gemeinde notorisch klamme Kassen hat, ist spätestens seit der großen Debatte um die Werkrealschule kein Geheimnis mehr - ebenso wenig wie die Tatsache, dass Windkraft für die, denen die Flächen gehören, lukrativ ist. Neben Gewerbesteuer- winken auch Pachteinnahmen, Bauer bezifferte sie auf rund 100.000 Euro pro Jahr und Anlage.

»Wir dürfen die Einnahmen nicht vor die Gesundheit stellen«

Wie weit die Meinungen im Gremium auseinandergehen, lässt sich an den Abstimmungsergebnissen ablesen, entsprechend waren die Wortmeldungen. Timo Herrmann schloss sich dem Bürgermeister an. Verpachten bedeute, selbst mit am Verhandlungstisch zu bleiben - »wir sollten das Heft des Handels in der Hand behalten und nicht dem Markt überlassen«. Wenn die Regionalverbände und Kommunen ihr Zwei-Prozent-Soll nicht erfüllen, drohe die »Superprivilegierung«, rief Herrmann in Erinnerung. Konkret: Investoren haben dann freie Hand. Diesen vom Land aufgebauten Druck kritisierte Swen Schober: »Egal, wie wir entscheiden, wir prostituieren uns, wir werden erpresst. Wir müssen mitmachen, Gewissensbisse hin oder her.«

Wohl am deutlichsten auf die Seite der besorgten Bürger stellte sich - neben Enzian Schneider - Petra Rall: »Wir sind verpflichtet, Flächen zu suchen, die den Bürgern am wenigsten schaden. Wir dürfen die Einnahmen nicht vor die Gesundheit stellen.« Manuela Wendler und Madita Weinmann-Plorin zeigten sich offen für das Windpark-Projekt, würden aber lieber fünf als acht Windräder dort sehen, um die Belastung für die Bürger möglichst gering zu halten. Die Kriterien für den Bau sollen ihrer Ansicht nach eng mit den Bürgern abgestimmt werden. So sieht es grundsätzlich auch der Bürgermeister, der allerdings auch erläuterte, dass die Details der Planung erst dann Thema sind, wenn klar ist, wer den Zuschlag für das Projekt erhält. Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung, beispielsweise über Anteile, erörtere man derzeit mit der Genossenschaft Erneuerbare Energien Neckar-Alb.

Sehr ausführlich und differenziert äußerte sich Stefan Linder. »Ich will kein Schwarzweißdenken« - diese Aussage stellte er seinen Ausführungen voran, in denen nicht ideologische Anschauung, sondern Fakten und Zahlen im Zentrum standen. Linder setzte Flächenverbrauch und Ertrag von Biogasanlagen, Freiflächen-Fotovoltaik und Windrädern in Relation zueinander und schlussfolgerte aus seiner Rechnung: Am effektivsten ist die Windkraft. Simuliert hatte Linder aber auch das, was künftig aus dem Ohnastetter Blickwinkel am Horizont zu sehen sein könnte - in zwei Varianten: mit und ohne Einbringung kommunaler Flächen. Für die Bürger äußerte er auf dieser Grundlage Verständnis. »Das ist schon 'ne Nummer«, bekannte er und sprach sich deshalb für weitere Gespräche mit den Betroffenen aus. (GEA)