STUTTGART/MÜNSINGEN. Viel Hoffnung macht die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) den Aktiven, die sich für den Erhalt der Bereitschaftspraxis in der Münsinger Albklinik einsetzen, nicht: Wenn sich nicht noch etwas Gravierendes ändern würde, bleibe es bei der angekündigten Schließung zum 30. September (der GEA berichtete), sagt Kai Sonntag, Leiter des Stabsbereichs Kommunikation der KVBW bei einem Hintergrundgespräch mit dem GEA. Allerdings verspricht er, den Übergang abzufedern. In Münsingen soll ein Pilotprojekt gestartet werden, das Alternativen zur Fahrt nach Ehingen oder Reutlingen aufzeigt.
Die KVBW setzt auf Telemedizin und den Einsatz geschulter medizinischer Fachkräfte unterhalb der Arztschwelle. Das ist wohl für die meisten Patienten Neuland, das Pilotprojekt soll für mehr Durchblick sorgen. Wie funktioniert's? Zum einen werden die Notfallnummern 116 117 - im Fachsprech elf-6 und elf-7 genannt. Noch nie gehört? Dann sind Sie nicht allein. Die Notfallnummern gibt es allerdings schon lange und gehören zum ärztlichen Bereitschaftsdienst, der vor Ort bisher in der Albklinik zu finden ist. »Der ärztliche Bereitschaftsdienst hilft Ihnen außerhalb der Sprechstundenzeiten bei Erkrankungen, mit denen Sie sonst in die Praxis gehen würden und deren Behandlung nicht bis zum nächsten Tag warten kann«, heißt es auf der Webseite www.116117.de. Nach dem Anruf bekomme der Patient schnell einen Rückruf von einem diensttuenden Arzt, versichert Sonntag. Der Charme der 116 117: mehr als ein Telefon braucht es nicht - wenn man die Nummer denn mal kennt. Sehr viele - leichte - Fälle könnten tatsächlich am Telefon mit einem Arzt geklärt werden, meint Sonntag.
Pilotprojekt an der Albklinik noch vor Ostern
Der andere Ansatz, genannt SMed, bindet Medizinische Fachassistenten (MFA) ein. Der Patient erscheint wie gewohnt in der noch oder nicht mehr existierenden Bereitschaftspraxis. Eine mit Tablet bewehrte MFA lotst ihn in geeigneten Fällen durch einen Fragebogen, wenn er das so möchte. Und hat dann Anhaltspunkte, wie der weitere Weg des Patienten durchs Gesundheitssystem aussehen kann - von zurück nach Hause und sich bei Verschlechterung des Zustands wieder melden, bis in die Notaufnahme für die schweren Fälle. »Wir reden nicht von Notfällen«, macht Sonntag klar, 90 Prozent der Fälle könnten fernmündlich behandelt werden. Telemedizin wird seit Langem angepriesen, hat sich aber noch nicht so richtig durchgesetzt. In anderen Ländern ist man da weiter, vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an die Fernsehserie »Die fliegenden Ärzte«, die in Australien spielt. Mit dem SMed-Pilotprojekt an der Albklinik will die KV mit eigenem Personal noch vor Ostern beginnen.
Den persönlichen Kontakt mit einem Arzt kann die Telemedizin nicht ersetzen. Sonntag weist aber darauf hin, dass die Bereitschaftspraxen für die leichten Fälle gedacht sind, wenn die sonst zuständigen Hausarztpraxen geschlossen haben. Anders als die Notaufnahme für alles vom Herzinfarkt bis zum abgesägten Daumen, die in Münsingen bleiben wird. Geöffnet hat die Münsinger Bereitschaftspraxis auch nur begrenzt, samstags, sonntags und an Feiertagen von 10 bis 16 Uhr. Auf einen anderen Aspekt weist Sonntag ebenfalls hin: Jeder niedergelassene Arzt - die Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigung - ist zu Bereitschaftsdiensten verpflichtet. Auch Fachärzte, wie Hautärzte oder Kardiologen oder sogar Laborärzte: »Ein Laborarzt hat nie Kontakt mit einem Patienten. Und ein Hautarzt kann keine Behandlung leisten.« Auch nicht unwichtig: Über den Telearztdienst ist auch ein Kinderarzt zu erreichen.
Dass das kein Trost für die Älbler ist, die auf eine leicht erreichbare Anlaufstelle verzichten müssen, ist der KV klar. Warum tut sie sich dann die umstrittene Schließung an? Am Protest haben sich ja nicht nur mögliche Patienten, sondern auch die Alb-Ärzte und die Kreiskliniken angeschlossen. Jetzt wird es technisch und vielleicht ein bisschen herzlos. 95 Prozent aller Erkrankten sollten in 30 Minuten im Auto die nächste Bereitschaftspraxis erreichen können, der Rest in 45 Minuten. Die rechnergestützten Szenarien der KV halten das für die Alb ohne Albklinik für möglich. Dazu gibt es natürlich andere Meinungen, Pfronstetter zum Beispiel, denen es richtig schlecht geht, wollen sicher nicht nach Reutlingen runterfahren.
Praxennachfolgen erleichtern
Die KV hat ein Konzept entwickelt, das der schwindenden Zahl der niedergelassenen Ärzte gerecht wird. Mit einheitlichen Standards für ganz Baden-Württemberg. Das hätten auch die informierten Landräte, meist mit Sitz in den Aufsichtsräten der Kreiskliniken, so erwartet, sagt Sonntag. Weiche Faktoren wie Patientenzahlen, die Behandlungsqualität oder die Zufriedenheit der Patienten hätten keine Rolle gespielt. Daran reibt sich nicht nur die Bürgerinitiative Albklinik. Die KV bleibt aber bei ihren grundsätzlichen Analysen: Die Zahl der niedergelassenen Ärzte sinkt, viele Ärzte tun bereits Dienst übers Renteneintrittsalter hinaus, Nachfolger werden dringend gesucht. »Wir wollen die Eintrittschranken für eine Praxennachfolge möglichst niedrig halten«, sagt Sonntag. Die Zahl der zu leistenden Bereitschaftsdienst spiele dabei durchaus eine Rolle, vor allem auch, wenn die zunehmende Zahl der angestellten Ärzte etwa in Hausarztzentren nach dem Sonntagsdienst an einem Wochentag ausfallen. Worauf Sonntag auch Wert legt: Hausbesuche auch nachts, am Wochenende und an Feiertagen gehören weiter zum Spektrum der Bereitschaftsdienste.
Die Landräte wurden von der KV bei den Praxisschließungen einbezogen, die Bürgermeister nicht., räumt Sonntag ein. Das mag handfeste Hintergründe haben, glücklich ist auf der Alb mit der Kommunikationspolitik der KV aber niemand. Münsingens Bürgermeister Mike Münzing warf der stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der KV, Doris Reinhardt, vor: »Sie wiederholen ständig das Gleiche, so viel Selbstbewusstsein muss man erst mal haben.« Sonntag wünscht sich, dass sich die Wahrnehmung versachlicht. »Jeder Bürgermeister verteidigt seinen Standort, das ist nachvollziehbar. Wichtiger wäre es aber jetzt, den Patienten ihre Möglichkeiten bei sich ändernden Umständen zu erklären.« Was natürlich auch eine Aufgabe der KV sein wird. (GEA)