GAMMERTINGEN. Gammertingen sieht sich beim Ausbau der Windkraft benachteiligt. Nicht zu Unrecht, meinten zumindest Bürger in der Bürgerfragestunde und Ortschaftsräte der Albgemeinden Feldhausen, Harthausen und vor allem Kettenacker bei der Juni-Sitzung des Gemeinderats.
Das Land will insgesamt 1,8 Prozent der Landesfläche für Windkraftprojekte, weitere 0,2 Prozent für Freiflächenphotovoltaik ausweisen. Mit der Umsetzung der Planung sind die Regionalverbände beauftragt. Der Regionalverband Bodensee-Oberschwaben tut sich allerdings schwer damit, geeignete Flächen für Windräder einigermaßen gleichmäßig und gerecht zu verteilen. Das legte Verbandsdirektor Wolfgang Heine bereits im April vergangenen Jahres bei einer Bürgerversammlung in der Aula des Gammertinger Gymnasiums dar: Auf 23 Prozent der Verbandsflächen mangele es an Wind, an anderen Stellen verhindern Artenschutz oder Siedlungsabstände Potenzialflächen.
Was letztlich dazu führt, dass nur wenige Kommunen zwischen Alb und Bodensee die Hauptlast des Kampfes gegen den CO2-Ausstoß tragen sollen. Ob ein Windpark eine finanzielle Chance oder ein Ärgernis ist, liegt im Auge des Betrachters. Im Auge aller Betrachter könnte sich aber etwa von Kettenacker aus gesehen bald ein Anblick wie an der Nordseeküste bieten.
Nach den bereits weit fortgeschrittenen Planungen wird um die Gammertinger Teilorte Kettenacker, Feldhausen und Harthausen ein guter Teil der Windkraftvorranggebiete der Kreise Sigmaringen, Ravensburg und Bodensee liegen.
Drei-Regionen-Eck
Erschwerend kommt hinzu, dass die Albgemeinden an den ansonsten unsichtbaren Grenzen zu den Regionalverbänden Neckar-Alb und Donau-Iller liegen. Pfronstetten, Mägerkingen, Langenenslingen: Die Nachbarn planen in Sichtweite ihre Potenzialflächen, mit wenig Rücksicht auf Bodensee-Oberschwaben. Das fürchten zumindest die Ortschaftsräte der Albgemeinden: Das Interregionale Planungsgebot sei vonseiten des eigenen Regionalverbands nicht eingehalten worden. Sprich: Regionaldirektor Heine hätte sich mit seinen Kollegen zusammensetzen müssen, um eine Ballung von Windrädern im Drei-Regionen-Eck zu vermeiden.
Der Gemeinderat hatte gegen den ersten Entwurf des Regionalverbands erhebliche Bedenken in seiner Stellungnahme im April 2024 angemeldet. Manche Anregungen aus der Stellungnahme wurden aufgegriffen, unter anderem durch eine deutliche Flächenreduktion im Bereich »Kettenacker Ost«. Insbesondere konnte erreicht werden, dass Teilflächen im Süden von Kettenacker herausgenommen wurden und der Siedlungsabstand auf 1.000 Meter vergrößert wurde. Der Regionalverband hat der besonderen Belastung von Gammertingen damit ein Stück weit Rechnung getragen. 100 Hektar oder 31 Prozent weniger Potenzialfläche weist der überarbeitete Entwurf aus, 220 statt 330 Hektar, bezifferte Bürgermeister Andreas Schmidt das Ergebnis der bisherigen Bemühungen.
Der Gemeinderat moniert allerdings, dass eigentlich ein Siedlungsabstand von 1.300 Metern gewünscht wurde. Das soll nun mit neuen Stellungnahmen zur Regionalplanung eingefordert werden.
Viele Möglichkeiten hat die Stadt nicht mehr, auf die Planungen Einfluss zu nehmen. Bereits vorgebrachte Argumente können nicht noch einmal vorgetragen werden. Einen neuen Ansatz hat der Gemeinderat noch gefunden. Die Erddeponie Hansmichel zwischen Gammertingen und Harthausen will die Stadt als Potenzial erhalten, nach der zurzeit geltenden Gesetzeslage ist die Erweiterung nicht möglich. »Aber im März sind Landtagswahlen«, meinte Bürgermeister Andreas Schmidt. Der Regionalverband hat die Deponie auf dem Papier überplant. Beides – Deponiebetrieb und Windkraftanlage – seien aus Sicherheitsgründen nicht möglich, erläuterte Bürgermeister Schmidt. Schwere Windräder auf Erdablagerungen seien ein statisches Risiko. Und der Betrieb der Deponie braucht halt auch Platz für die Anlieferungen.
Luftwaffe redet mit
Einen anderen Ansatz hat der Ortschaftsrat Kettenacker gefunden. Die neuerdings wieder gefragte Bundeswehr hat auch ein Wörtchen mitzureden, was sie allerdings nur zögerlich tut. Der Ortschaftsrat hat auf jeden Fall festgestellt, dass die Teilgemeinde in Tiefflugkorridoren für Flugzeuge und Hubschrauber liegt. Die Zusammenarbeit mit dem Militär ist bei der Ausweisung von Windkraftflächen überall zäh. Allerdings hat der Regionalverband Donau-Iller sich direkt an Verteidigungsminister Boris Pistorius gewandt und recht schnell Antwort erhalten: In Tiefflugkorridoren darf nichts Hohes gebaut werden, die Luftwaffe soll ja wegen der Russen wieder mehr üben. Vielleicht rettet ja auf Umwegen Wladimir Putin Kettenacker vor der Umzingelung.
Die Stadt wird noch einmal Stellungnahmen zu den Planungen des Regionalverbands vorbringen, im Rahmen der zweiten Anhörung zur Fortschreibung des Teilregionalplans »Energie« des Regionalverbands. Im Wesentlichen wird es die Punkte Siedlungsabstand mindestens 1.300 Meter, die Ausplanung der Deponie Hansmichel, eine Prüfung, ob das Interregionale Planungsgebot berücksichtigt wurde und ob man die Kampfflieger überhaupt schon mal gefragt habe, was sie von 260 Meter hohen Hindernissen halten, umfassen. Bis zum 10. Juni müssen alle Stellungnahmen beim Regionalverband eingegangen sein. (GEA)