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Pfingsttreffen in Gruorn mitten in der Baustelle

Das diesjährige Pfingsttreffen in Gruorn fand als traditionelles Heimatfest diesmal auf der Baustelle statt. Denn die Stephanuskirche wird derzeit saniert.

Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl hielt die Predigt beim Pfingsttreffen in Gruorn.
Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl hielt die Predigt beim Pfingsttreffen in Gruorn. Foto: Maria Bloching
Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl hielt die Predigt beim Pfingsttreffen in Gruorn.
Foto: Maria Bloching

MÜNSINGEN-GRUORN. Das Bild der vollbesetzten Stephanuskirche in Gruorn am Pfingstsonntag war dasselbe wie seit vielen Jahren. Wieder kamen Nachkommen einstiger Gruorner Einwohner und Gönner hierher, um das Miteinander und die Begegnung zu feiern. Anders allerdings waren die Umstände des Festes, denn derzeit läuft die Innensanierung auf vollen Touren, die Kirche präsentierte sich also mit leer geräumtem Chorraum, in dem das Ensemble der Münsinger Stadtkapelle auf purem Betonboden Platz genommen hatte. »Hier muss noch ein Natursteinboden verlegt werden«, erklärte Dieter Schmid vom zuständigen Architekturbüro Gehr/Hintzenstern/Schmid im Rahmen seiner Führung. Die Innenwände und das spätgotische Kreuzgewölbe an der Decke müssen noch gereinigt und die Bemalungen gesichert werden.

Die Außenfassade der Stephanuskirche muss noch gestrichen werden.
Die Außenfassade der Stephanuskirche muss noch gestrichen werden. Foto: Maria Bloching
Die Außenfassade der Stephanuskirche muss noch gestrichen werden.
Foto: Maria Bloching

Abgeschlossen dagegen ist die Sanierung des Dachstuhls, bei der schadhafte Holzteile ersetzt, Fledermausquartiere eingebaut und Fledermauseinflugöffnungen hergestellt wurden. Im Herbst erfolgen noch Restarbeiten am Sakristeidach. Vor zwei Wochen hat der Steinmetz begonnen, die Außenfassade am Chor zu reinigen, gleichzeitig erfolgte eine Schadensaufnahme. Sie ergab, dass im Herbst geschädigte Steine durch Vierungen ersetzt werden müssen, außerdem sind Risse zu schließen. Danach erhält die gesamte Fassade einen neuen Anstrich. Das Ganze kostet Geld, laut Bürgermeister Mike Münzing rund 1,1 Millionen Euro. Die Stadt Münsingen ist Bauherr, der Bund Eigentümer von Gruorn. Deshalb beteiligt dieser sich auch mit rund 300.000 Euro an den Kosten, vom Land kommen ebenfalls 300.000 Euro und 50.000 Euro vom Landkreis Reutlingen. Den Rest, so Münzing, müssen Stadt und Komitee zur Erhaltung der Stephanuskirche finanzieren, Spenden sind deshalb unbedingt erforderlich. »Es fehlen noch rund 200.000 Euro«, sagte Münzing.

Es gehe darum, die Gruorner Kirche als Symbol für Heimat zu erhalten: »Heimat ist dort, wo es Raum gibt für Respekt und Versöhnung. Gruorn wurde wieder aufgebaut als ein Ort der Hoffnung und ein Ort, an dem die Stille gehört werden kann.« Schon vor 75 Jahren – ein Jahr nach Gründung der Bundesrepublik - kamen laut Günter Braun, Vorsitzender des Komitees, erste Vertriebene wieder in ihre verlassene Kirche zurück. Vorne im Chor gab es Emporen, im Schiff rechts und links ebenfalls. »Alles saß damals schon voll. Das zeigt, dass diese Kirche immer schon eine besondere Bedeutung für die Gruorner hatte und dass heute noch der Geist von Gruorn hier weht«, so Braun.

Zahlreiche Ehrenamtliche sind aktiv

Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl ging in seiner Predigt auf die Zwangsumsiedlung von Gruorn ein, weil die Nationalsozialisten 1939 den Ort zum Truppenübungsplatz erklärten. Die Häuser wurden durch militärische Nutzung zerschossen, die Stephanuskirche verfiel mit den Jahren. Dann aber suchten ehemalige Gruorner ihre alte Heimat immer wieder auf und machten aus dem einstigen Ort des Niedergangs einen zentralen Ort für die Erinnerung. »Denn Menschen brauchen Räume wie diese Kirche, die verlässlich da sind und Zuflucht bieten«, so Gohl. Für den Bundestagsabgeordneten Michael Donth ist die Erhaltung der Stephanuskirche der Arbeit zahlreicher Ehrenamtlicher zu verdanken, die damit einen verbindenden Treffpunkt und einen Anker für die einstige Dorfgemeinschaft geschaffen haben, einen Ort der Erinnerung und Begegnung. »Die Politik in Land und Bund weiß und schätzt, was hier getan wird«, sagte er.

Landrat Dr. Ulrich Fiedler nahm Gruorn angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Welt als besonderen Ort des Friedens wahr. »Wir sehen deutlich, was ein Krieg anrichten kann. Gruorn ist ein Mahnmal für den Frieden.« Heute müsse man sich mit dem Gedanken auseinandersetzen, wie man sich als Staat auf kriegerische Auseinandersetzungen und auf den Verteidigungsfall vorbereitet. Das sei völlig absurd und habe bei seinen früheren Besuchen hier nie eine Rolle gespielt. Gruorn könne aber dazu inspirieren, sich für Werte und Demokratie einzusetzen.

Ein Ort der Zukunft

Als »verlassenes Dorf mit Zukunft« bezeichnete der leitende Forstdirektor Marco Reeck Gruorn. Die Renaturierung der Hüle durch den Bundesforst habe gezeigt, dass sich gemeinsames Engagement lohne. Deshalb sei man bestrebt, alte Streuobstwiesen wieder mit alten Sorten zu bepflanzen und ihnen neues Leben einzuhauchen. Auch die Stephanuskirche soll laut Architekt Schmid wiederbelebt werden, was Vorkehrungen für Licht- und Toninstallationen im Boden verdeutlichen: »Wir wollen Gruorn weiter in die Öffentlichkeit rücken und mit verschiedenen Veranstaltungen erlebbar machen. Dies soll nicht nur ein Ort der Vergangenheit sein, sondern der Zukunft.« (GEA)