Logo
Aktuell Prozess

Brandstiftung in Münsingen: Tat aus Verzweiflung?

Psychiatrisches Gutachten: Der Brandstifter von Münsingen ist voll schuldfähig. Angeklagter kündigt an, wieder Feuer legen zu wollen.

Gutachten im Prozess vor dem Tübinger Landgericht: Brandstifter von Münsingen ist nicht psychisch krank.
Gutachten im Prozess vor dem Tübinger Landgericht: Brandstifter von Münsingen ist nicht psychisch krank. Foto: Tom Weller/dpa
Gutachten im Prozess vor dem Tübinger Landgericht: Brandstifter von Münsingen ist nicht psychisch krank.
Foto: Tom Weller/dpa

MÜNSINGEN/TÜBINGEN. Krankheit, Scheidung, arbeitslos, Schulden, Kündigung der Wohnung, Angst vor Obdachlosigkeit, keine sozialen Kontakte, Einsamkeit – die Zukunft für den 61-Jährigen aus Münsingen sah nicht sehr rosig aus. Deshalb kam der Mann im Juli 2024 auf die Idee, »seinen Lebensabend in Haft zu verbringen«, um versorgt zu sein, wie der psychiatrische Gutachter am Dienstag erklärte. Der Angeklagte legte deshalb in dem Haus, in dem er lebte, »im Zustand der Verzweiflung« Feuer, um eine hohe Haftstrafe zu erhalten.

Diese droht ihm nun auch, denn er muss sich seit Ende April wegen mehrfachen versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung vor der Schwurgerichtskammer des Tübinger Landgerichts verantworten. Aber war der 61-Jährige bei der Tat überhaupt zurechnungsfähig? Ist er psychisch krank? Das sollte jetzt der psychiatrische Gutachter Dr. Alex Theodor Gogolkiewicz klären.

Depressive Lebensphase

Gogolkiewicz sprach in der Haftanstalt ausführlich mit dem Angeklagten und zog Akten von früheren Behandlungen heran. Außerdem stützte er sich bei seiner Beurteilung des 61-Jährigen auch auf die Zeugenaussagen im Prozess vor dem Landgericht. Das Ergebnis: Eine psychische Krankheit liegt bei dem 61-Jährigen, der allenfalls eine depressive Lebensphase erlebe, nicht vor. Damit ist der Angeklagte nach Ansicht des Psychiaters voll schuldfähig.

Im Prozess vor dem Landgericht hat der 61-Jährige bisher geschwiegen. Er machte weder zu seiner Person noch zur Tat irgendwelche Angaben. Im Gespräch mit dem Psychiater war er allerdings auskunftsfreudiger. So berichtete der 61-Jährige von seinen schweren Durchblutungsstörungen, vom Scheitern der Ehe 2018, der schwierigen finanziellen Situation und den Streitigkeiten in dem Mehrfamilienhaus in Münsingen.

Mehrere Menschen in Lebensgefahr

Und auch zur Tat am 10. Juli machte er Angaben. So erzählte er dem Psychiater, dass er an dem Vormittag den Dachstuhl in Brand gesetzt habe. Er habe damit aber keine Menschen in Gefahr bringen wollen, weil er angenommen habe, dass das Feuer nach oben brennen und nicht auf die Wohnungen darunter übergreifen würde. Als die Rauchmelder anschlugen, habe er das Gebäude verlassen.

In dem Haus in einem reinen Wohngebiet in Münsingen wohnen sechs Parteien. Die meisten waren um die Tatzeit am Vormittag außer Haus, einige aber hielten sich sehr wohl in ihren Wohnungen auf. Und diese Menschen waren durchaus in Lebensgefahr, weniger durch das Feuer, mehr durch die Rauchgase, die sich im Treppenhaus ausbreiteten. Allerdings konnten sich alle Menschen rechtzeitig ins Freie retten. Zudem war die Münsinger Feuerwehr schnell vor Ort und konnte den Brand rasch löschen.

Angeklagter will Molotowcocktail werfen

So entstand »nur« ein Schaden am Dachstuhl. Die Wohnungen darunter wurden nicht in Mitleidenschaft gezogen. Die Schadenshöhe ist mit 150.000 Euro dennoch sehr hoch.

Der Verdacht fiel sofort auf den 61-Jährigen. Die Polizei suchte ihn in der Umgebung des Tatorts und entdeckte ihn kurz nach der Tat auf dem Parkplatz eines Supermarkts, allerdings erst als der 61-Jährige selbst auf sich aufmerksam gemacht hatte. Er ging auf die Beamten zu und erklärte, »ich bin der, den ihr sucht«. Dies bestätigten jetzt auch mehrere Zeugen vor Gericht.

Wie ernst er es meint, für lange Zeit hinter Gitter zu kommen, zeigte er jetzt auch in der Untersuchungshaft. Der Vorsitzende Richter Armin Ernst las am Dienstag die E-Mail eines Psychologen aus der Justizvollzugsanstalt vor. Der 61-Jährige hatte dem Psychologen mitgeteilt, dass er, wenn er in Freiheit käme, sofort wieder eine Straftat begehen würde. Er würde einen Molotowcocktail in ein Wohnhaus werfen. Er wolle eine lebenslange Haftstrafe. Außerdem sei er kampferfahren, weil er Soldat gewesen sei.

Widersprüche in den Aussagen

In den Aussagen des Angeklagten beim Psychiater wie auch bei der Polizei finden es allerdings eine Reihe von Widersprüchen und seltsamen Erklärungen. So redete er beispielsweise davon, dass er seinen Führerschein wegen seiner Krankheit verloren habe. Dies trifft allerdings nicht zu. Er verlor den Führerschein wegen einer Trunkenheitsfahrt. Diese Unstimmigkeiten gehören laut Gutachter beim Angeklagten wahrscheinlich zu »der Verarbeitung einer Lebensverzweiflung«.

Für den Angeklagten kommt eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nun nicht in Frage. Dennoch wäre eine Psychotherapie sicher sehr angebracht. Die sei allerdings in Haft sehr schwer zu bekommen, so Gogolkiewicz. Eine solche Therapie sei sehr gefragt, aber sehr rar. Es fehle an Psychologen. Nun muss das Gericht entscheiden, was es mit dem 61-Jährigen macht. Das Urteil soll am nächsten Verhandlungstag fallen. (GEA)

Im Gerichtssaal

Gericht: Armin Ernst (Vorsitzender Richter), Benjamin Meyer-Kuschmierz, Julia Merkle. Schöffen: Ralf Glausinger, Carolin Ruprecht. Staatsanwalt: Burkhard Werner. Verteidiger: Kay in der Stroth. Psychiatrischer Gutachter: Dr. Alex Theodor Gogolkiewicz.