MÜNSINGEN. Albanien zählt zu den ärmsten Ländern in Europa. Zur Unterstützung hilfsbedürftiger Menschen in Albanien und von Menschen albanischer Herkunft sowie zur Förderung des christlichen Glaubens dort gründete sich vor zehn Jahren der Verein »Besa« (Bildung – Evangelisation - Soziale Hilfe für Albanien) in Lonsingen. Der Vorsitzende, Pfarrer Jürgen Sachs, war mit seiner Familie von 1996 bis 1999 selbst vor Ort in Lushnja und half beim Aufbau von Hilfsprojekten. Dabei entstand der Kontakt zum albanischen Künstler Edmond Papathimiu, der aktuell in den Räumen der Reutter-Immobilien-Akademie zum ersten Mal in Deutschland 40 Bilder und Skulpturen ausstellt.
»Zweimal jährlich führen wir Ausstellungen mit jeweils 100 bis 150 Besuchern durch und geben damit vor allem jungen Künstlern eine Plattform«, erläutert Geschäftsführer Uwe Reutter. Aktuell möchte er jedoch mit einer Verkaufsausstellung auch wirtschaftliche Hilfe leisten. Papathimiu, so Kirsten Artes bei der Vernissage, ist 1973 in Berat geboren und absolvierte seine künstlerische Ausbildung in der »Academy of fine arts« in Tirana. Zahlreiche nationale und internationale Preise zeichnen sein Schaffen aus.
Blick in den Himmel
Inmitten der funktionalen Büroräume entführen die Werke in eine ganz eigene Welt. Papathimiu zeigt als Bildhauer herausragende Fähigkeiten, wenn er in »Awaking« drei Gesichter übereinander anordnet und das oberste voller Staunen in den Himmel blicken lässt. Bei »The Horse« hat er einen Pferdekopf mit all seinen Knochen, Muskeln und Sehnen aus einem Stück Holz herausgearbeitet. Doch die Ohren fehlen und die Mähne ist zum Ornament stilisiert. Papathimiu, der in seinem Beruf als Zeichner von archäologischen Artefakten an der Universität sehr exakt abbilden muss, weicht in seiner Kunst von der Realität ab. Er verfremdet die Wirklichkeit zu einer eigenen Formensprache, technisch perfekt und ästhetisch, jedoch herausfordernd und nicht selten verstörend. Dabei sind auch Anlehnungen an Salvador Dalí, Max Ernst, HR Giger oder die perspektivischen Experimente von M.C. Escher zu erkennen.
Viele der Bilder Papathimius wirken auf den ersten Blick wie detailreiche Druckgrafiken von Albrecht Dürer. Dürers »Rhinocerus« von 1515 erscheint tatsächlich auch als individuell interpretiertes Zitat. Doch Papathimiu druckt nicht, sondern setzt sorgfältig Tintenstrich an Tintenstrich, Punkt an Punkt. Daraus entstehen Menschen, die skurrilerweise einem Ei entschlüpfen, ein Oldtimer mit organischen Elementen und Soldaten mit Gewehren, halb Mensch, halb Maschine. Haben sie noch Menschliches in sich oder sind sie zu Kampfmaschinen mutiert? Düster erscheinen auch eine Brücke ins Nichts und ein verlassenes Schloss. Als »Lost Places« werden sie zu Symbolen für Verlorenheit und Verlust.
Beklemmende Erfahrungen
Der Künstler, der in seiner Heimat Kriegsflüchtlinge und eine Erziehung der Bevölkerung zu Angst, ständiger Wachsamkeit und Kampfbereitschaft erlebte, verarbeitet durch die Kunst seine beklemmenden Erfahrungen, wie sein Freund Ruben Sachs, Sohn des Pfarrers, berichtet.
Der christliche Glaube sei dem Künstler eine wichtige Stütze. In der Ausstellung findet sich ein Selbstporträt, in dem Papathimiu sich in Sepia und Tinte als jungen Mann mit hageren Wangen, gezeichnet von Entbehrung und mit Augen voller Befürchtungen wiedergibt. Der Duktus erinnert an das Christusantlitz auf dem »Schweißtuch der Veronika«. Der Überlieferung nach hatte die Heilige Christus auf dem Weg nach Golgatha ein Stoffstück gereicht, auf dem sich beim Abwischen von Blut und Schweiß sein Gesicht verewigte. Papathimius Zeichnung »The cross« erscheint geradezu als verbildlichtes Glaubensbekenntnis mit einer seit Jahrhunderten verwandten Ikonografie. Schädel stehen für den Tod, Pflanzenblätter für die Hoffnung, das Blut Christi für die ewige Rettungszusage an die Menschheit.
Die Ausstellung »Imaginary Notes« ist bis zum 22. Dezember in der Hauptstraße 11 in Münsingen zu sehen. (GEA)