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Biosphärengebiet: Erweiterung in Münsingen auf gutem Weg

Das Biosphärengebiet kann wachsen, weitere Kommunen wollen künftig mitspielen oder mehr Flächen einbringen.

So könnte das Biosphärengebiet nach der Erweiterung aussehen, Mehrstetten will draußen bleiben.
So könnte das Biosphärengebiet nach der Erweiterung aussehen, Mehrstetten will draußen bleiben. Foto: Regierungspräsidium
So könnte das Biosphärengebiet nach der Erweiterung aussehen, Mehrstetten will draußen bleiben.
Foto: Regierungspräsidium

MÜNSINGEN. Was hat eine Großstadt in einem Biosphärengebiet verloren? Was will Reutlingen im Biosphärengebiet und gehört die Echaz-Stadt überhaupt zur Alb? Und was hält die Unesco, die hinter dem Biosphärengebiet steht, von der Bewerbung? Viel, weiß Achim Nagel, Leiter der Geschäftsstelle des Biosphärengebiets in Münsingen. Reutlingen wäre die erste Großstadt, die Teil eines Biosphärengebiets würde, das sei für die Unesco eine ganz neue Herausforderung. Die Stadt bringt ja auch einiges mit, nicht nur die Pomologie und das Naturkundemuseum, was beides gut passt, sagt Regierungspräsident Klaus Tappeser. Er hat auch die sozialen Einrichtungen im Auge: »Da waren wir bisher ein bisschen schwach«. Positiv sieht Tappeser die Zusammenarbeit mit der Reutlinger Verwaltung: »Die wollen.« Und dass eine Führungskraft im Rathaus gleichzeitig im Albverein ganz oben aktiv sei, schade auch nicht.

Zahl der Biosphärenbewohner steigt um 80 Prozent

Reutlingen würde das Biosphärengebiet auf jeden Fall in eine ganz andere Liga heben. Rund 146.000 Menschen leben innerhalb der 2008 gezogenen Grenzen, wenn die Erweiterung abgeschlossen ist, werden es etwa 260.000 sein. Im Landkreis Reutlingen haben dem Thema Beitritt beziehungsweise Erweiterung mittlerweile alle Gemeinderäte zugestimmt. Im Alb-Donau-Kreis stehen noch Beschlüsse aus, in Schelklingen regt sich sogar vernehmlich Widerstand: »Da müssen wir noch Überzeugungsarbeit leisten«, sagt Tappeser.

Knackpunkt sind nicht nur dort die Kernzonen, die Urwälder von morgen, in denen keinerlei Nutzung mehr möglich sein wird. Um die Kernzonen gab es auch in Engstingen einige Diskussionen. Bürgermeister Mario Storz erklärt in einer Videokonferenz mit Tappeser, Achim Nagel und Volker Häring von der Biosphärenverwaltung sowie Katrin Rochner vom Regierungspräsidium die Gründe, warum seine Gemeinde beitreten will. Wobei Engstingen es mit den Kernzonen vergleichsweise leicht hat: Der Bundesforst hat ein schönes Stück mit militärischen Altlasten - vermintes Gelände - beigesteuert, in dem nicht mal ein Schelklinger freiwillig Holz machen würde.

Die Nachbargemeinde Hohenstein tut sich da schwerer, bringt prozentual wenig Kernzone ein. Aber letztlich müsse die Mischung in der gesamten Biosphäre stimmen, meinte Nagel. Das Gebiet sei ja gerade keine Käseglocke, Natur, Menschen und Wirtschaft sollten alle profitieren, so Tappeser. Es sei eine Solidargemeinschaft, und Kernzonen können sich für die Kommunen durch Ökopunkte rechnen. Mehr oder weniger Kernzone schlägt sich auch in den Mitgliedsbeiträgen nieder, ergänzte Nagel.

Solche Schilder könnten bald auch vor Reutlingen prangen.
Solche Schilder könnten bald auch vor Reutlingen prangen. Foto: Cordula Fischer
Solche Schilder könnten bald auch vor Reutlingen prangen.
Foto: Cordula Fischer

Auch in Engstingen waren die Vorbereitungen für den Beitrittsantrag herausfordernd. Es habe viele Diskussionen gegeben, wie der Ort als Biosphärengemeinde aussehen könnte. Unterm Strich gebe es aber ganz neue Möglichkeiten - in der Außendarstellung, bei der Vermarktung regionaler Produkte, beim Image. »Ich glaube, dass wir mit den Nachbargemeinden Hohenstein und Sonnenbühl eine sinnvolle Ergänzung der Biosphäre sein können«, ist Storz überzeugt.

Besucherlenkung wird immer wichtiger

Engstingen gehört nicht zu den touristischen Hotspots auf der Alb, die Biosphäre insgesamt bringe den Tourismus voran, sagt Achim Nagel mit Blick auf die ständig wachsenden Besucherzahlen. Es könne festgestellt werden, dass Reisende, die extra wegen des Biosphärengebiets auf die Alb kämen, länger blieben und mehr Geld für regionale Produkte ausgeben würden, nicht nur im Hotel, sondern eben auch beim Bäcker oder Metzger, bei Direktvermarktern oder (Kunst-)Handwerkern. Auch für Tagungen in schöner Umgebung sei das Gebiet zunehmend interessant, ergänzt Tappeser.

Der Fluch des Erfolgs: Die Besucherzahlen sind so angewachsen, dass sich die Biosphärenverwaltung über Besucherlenkung Gedanken machen muss. Zurzeit ist Nagels Team dabei, das Wanderwegenetz daraufhin zu betrachten, ob auf den einen oder anderen Steig verzichtet werden könnte. Auch die Biosphärenranger tragen ihren Teil bei. Wer genau wo läuft, wird an einigen Stellen bereits erhoben. An gut besuchten Orten, wie zum Beispiel dem Heidengraben, sind Zählgeräte aufgebaut, insgesamt sind es zwölf. Dazu kommen Informationen von den Gastronomen oder den Kommunen - indirektes Monitoring nennt das der Regierungspräsident.

Um Größe und Lage von Kernzonen wird hart gerungen.
Um Größe und Lage von Kernzonen wird hart gerungen. Foto: Steffen Wurster
Um Größe und Lage von Kernzonen wird hart gerungen.
Foto: Steffen Wurster

Die beitrittswilligen Kommunen zwischen der Stadt Reutlingen und dem kernzonenarmen Hohenstein können unterschiedlicher nicht sein. Aber alle haben den aufwändigen Bewerbungsprozess hinter sich gebracht und nur das kleine schwäbische Dorf Mehrstetten hat sich gegen eine Kandidatur entschieden. 16 Kommunen wollen weitere Flächen einbringen, sechs Gemeinden sind noch nicht dabei und planen den Beitritt. Das Biosphärengebiet würde damit um 40 Prozent auf 120.000 Hektar wachsen, die Bevölkerungszahl steigt sogar um 80 Prozent. Es werden allerdings noch weitere Kernzonen gesucht: 1.132 Hektar sollten es sein, es liegen aber erst für 966 Hektar Zusagen vor. Vielleicht sollte man die Beitrittskandidaten ab und an erinnern, dass der Natur- und Artenschutz neben Tourismus und Förderung der regionalen Wirtschaft auch eine Rolle spielt.

2018 wurde das Biosphärengebiet eingerichtet, 2019 hat es die Unesco anerkannt. »Das Selbstbewusstsein der Schwäbischen Alb hat seither zugenommen«, glaubt der Unterländer Klaus Tappeser, »das ist der Erfolg schlechthin«. Mal sehen, ob die Reutlinger demnächst Älbler werden wollen. (GEA)